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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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chen, aber unter solchen Verhältnissen ist es unmöglich. Wir ha¬
ben gemessene Instruktionen in Bezug auf junge Leute, die nach Ita¬
lien reisen wollen. -- Ist denn das Land so gefährlich? fragte ich
mit dummem Gesichte. -- Gewiß! zumal für junge Menschen, deren
Grundsätze noch nicht gefestet sind. Auf diesen Paß sollte ich Sie,
wie sehr es mir leid thut, Ihnen das zu sagen, nicht vierundzwan¬
zig Stunden in Grätz leiden. Aber diese Frist will ich Ihnen gern
gewähren, daß Sie sich unsere Merkwürdigkeiten und schönen Um¬
gebungen mit Muße besehen können. -- Und mit halbem väterlichen,
halbem Criminalrichter-Tone setzte er noch hinzu: Ich muß Sie bit¬
ten, morgen ja nach Wien zurückzukehren, wenn Sie sich nicht Un¬
annehmlichkeiten aussetzen wollen. Unter dem zart verhüllenden
Worte Unannehmlichkeiten war offenbar, obwohl euphemistisch, der
Schub oder etwas dergleichen verstanden. Als ich die Treppe hin¬
unterstieg, stand mir gegenüber die Thüre des Postbureau'ö weit
offen. Ein Beamter stand darin und fertigte Pässe aus. Da er
mich aus dem Zimmer seines Chefs kommen sah, lächelte er mir
schon aus der Entfernung allerunterthänigst entgegen. Dieses Lä¬
cheln war mir wie das Leuchten eines Leuchtthurms von einem
Hafen, und lockte mich einzulaufen. Ich komme vom Herrn v. G.,
sagte ich mit vornehm-herablassenden Tone. Mit tiefen Bücklingen
stellte mir der Beamte einen Stuhl und nahm mir meinen Paß
aus der Hand, ohne mich weiter sprechen zu lassen. Wohin wün¬
schen Sie zu reisen? Ich möchte wohl sehr gern nach Italien!
Schon drückte der geliebte Stempel auf den Rücken meines Passes,
schon flog des Beamten Feder mit schnellster Dienstwilligkeit über
das Papier. Wir können blos bis Laibach Visiren, sagte er sich
entschuldigend, ohne den Paß nur anzusehen, dort wird er weiter
visirt. Und so bekam ich Glücklicher, dem so eben mit dem Schuhe
gedroht worden, meinen Paß visirt, während der loyale Plebs von
Kaufleuten und Handwerksburschen, die gewiß alle mit den solide¬
sten Papieren versehen waren, geduldig und demüthig harren mu߬
ten. Meine Seele knurrte und lachte zugleich.

Drei Tage darauf kam ich in Eilmärschen vor Laibach. Um
hier siegreich einzuziehen, wiederholte ich dasselbe Manöver wie in
Grätz. Es gelang. Als singender Wandersmann zog ich in Lai¬
bach ein. Ueberhaupt will ich den Gesang allen paßlos Reisenden


chen, aber unter solchen Verhältnissen ist es unmöglich. Wir ha¬
ben gemessene Instruktionen in Bezug auf junge Leute, die nach Ita¬
lien reisen wollen. — Ist denn das Land so gefährlich? fragte ich
mit dummem Gesichte. — Gewiß! zumal für junge Menschen, deren
Grundsätze noch nicht gefestet sind. Auf diesen Paß sollte ich Sie,
wie sehr es mir leid thut, Ihnen das zu sagen, nicht vierundzwan¬
zig Stunden in Grätz leiden. Aber diese Frist will ich Ihnen gern
gewähren, daß Sie sich unsere Merkwürdigkeiten und schönen Um¬
gebungen mit Muße besehen können. — Und mit halbem väterlichen,
halbem Criminalrichter-Tone setzte er noch hinzu: Ich muß Sie bit¬
ten, morgen ja nach Wien zurückzukehren, wenn Sie sich nicht Un¬
annehmlichkeiten aussetzen wollen. Unter dem zart verhüllenden
Worte Unannehmlichkeiten war offenbar, obwohl euphemistisch, der
Schub oder etwas dergleichen verstanden. Als ich die Treppe hin¬
unterstieg, stand mir gegenüber die Thüre des Postbureau'ö weit
offen. Ein Beamter stand darin und fertigte Pässe aus. Da er
mich aus dem Zimmer seines Chefs kommen sah, lächelte er mir
schon aus der Entfernung allerunterthänigst entgegen. Dieses Lä¬
cheln war mir wie das Leuchten eines Leuchtthurms von einem
Hafen, und lockte mich einzulaufen. Ich komme vom Herrn v. G.,
sagte ich mit vornehm-herablassenden Tone. Mit tiefen Bücklingen
stellte mir der Beamte einen Stuhl und nahm mir meinen Paß
aus der Hand, ohne mich weiter sprechen zu lassen. Wohin wün¬
schen Sie zu reisen? Ich möchte wohl sehr gern nach Italien!
Schon drückte der geliebte Stempel auf den Rücken meines Passes,
schon flog des Beamten Feder mit schnellster Dienstwilligkeit über
das Papier. Wir können blos bis Laibach Visiren, sagte er sich
entschuldigend, ohne den Paß nur anzusehen, dort wird er weiter
visirt. Und so bekam ich Glücklicher, dem so eben mit dem Schuhe
gedroht worden, meinen Paß visirt, während der loyale Plebs von
Kaufleuten und Handwerksburschen, die gewiß alle mit den solide¬
sten Papieren versehen waren, geduldig und demüthig harren mu߬
ten. Meine Seele knurrte und lachte zugleich.

Drei Tage darauf kam ich in Eilmärschen vor Laibach. Um
hier siegreich einzuziehen, wiederholte ich dasselbe Manöver wie in
Grätz. Es gelang. Als singender Wandersmann zog ich in Lai¬
bach ein. Ueberhaupt will ich den Gesang allen paßlos Reisenden


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[0398] chen, aber unter solchen Verhältnissen ist es unmöglich. Wir ha¬ ben gemessene Instruktionen in Bezug auf junge Leute, die nach Ita¬ lien reisen wollen. — Ist denn das Land so gefährlich? fragte ich mit dummem Gesichte. — Gewiß! zumal für junge Menschen, deren Grundsätze noch nicht gefestet sind. Auf diesen Paß sollte ich Sie, wie sehr es mir leid thut, Ihnen das zu sagen, nicht vierundzwan¬ zig Stunden in Grätz leiden. Aber diese Frist will ich Ihnen gern gewähren, daß Sie sich unsere Merkwürdigkeiten und schönen Um¬ gebungen mit Muße besehen können. — Und mit halbem väterlichen, halbem Criminalrichter-Tone setzte er noch hinzu: Ich muß Sie bit¬ ten, morgen ja nach Wien zurückzukehren, wenn Sie sich nicht Un¬ annehmlichkeiten aussetzen wollen. Unter dem zart verhüllenden Worte Unannehmlichkeiten war offenbar, obwohl euphemistisch, der Schub oder etwas dergleichen verstanden. Als ich die Treppe hin¬ unterstieg, stand mir gegenüber die Thüre des Postbureau'ö weit offen. Ein Beamter stand darin und fertigte Pässe aus. Da er mich aus dem Zimmer seines Chefs kommen sah, lächelte er mir schon aus der Entfernung allerunterthänigst entgegen. Dieses Lä¬ cheln war mir wie das Leuchten eines Leuchtthurms von einem Hafen, und lockte mich einzulaufen. Ich komme vom Herrn v. G., sagte ich mit vornehm-herablassenden Tone. Mit tiefen Bücklingen stellte mir der Beamte einen Stuhl und nahm mir meinen Paß aus der Hand, ohne mich weiter sprechen zu lassen. Wohin wün¬ schen Sie zu reisen? Ich möchte wohl sehr gern nach Italien! Schon drückte der geliebte Stempel auf den Rücken meines Passes, schon flog des Beamten Feder mit schnellster Dienstwilligkeit über das Papier. Wir können blos bis Laibach Visiren, sagte er sich entschuldigend, ohne den Paß nur anzusehen, dort wird er weiter visirt. Und so bekam ich Glücklicher, dem so eben mit dem Schuhe gedroht worden, meinen Paß visirt, während der loyale Plebs von Kaufleuten und Handwerksburschen, die gewiß alle mit den solide¬ sten Papieren versehen waren, geduldig und demüthig harren mu߬ ten. Meine Seele knurrte und lachte zugleich. Drei Tage darauf kam ich in Eilmärschen vor Laibach. Um hier siegreich einzuziehen, wiederholte ich dasselbe Manöver wie in Grätz. Es gelang. Als singender Wandersmann zog ich in Lai¬ bach ein. Ueberhaupt will ich den Gesang allen paßlos Reisenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/398>, abgerufen am 01.09.2024.