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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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An der Seite deö Grafen A., eines Sprößlings des bednitend-
sten, einflußreichsten Hauses in Steiermark, durchftchr ich das herr¬
liche Mürz- und Murthal. Er kannte meine Paßlosigkeit und war
auch der Ansicht, daß ein Reisender ohne Paß wie einer jener Ne-
venants in den Wallachischen Mährchen sei, die ohne Seele unter
den Menschen herumirren, und war schon besorgt um mich, vor¬
züglich da er die Strenge der Gräzer Polizei kannte. Wie, sagte
ich, fürchtet sich auch ein Graf vor der Polizei? sehen Sie, ich
schlechtes Bürgerblut habe nicht die geringste Sorge. Graz, l.l
vitio ach Fracks iuix lor"^ <jo t'imwnr, lag mit allen ihren Rei¬
zen vor uns. Ungefähr dreihundert Schritte vor der Barriere sprang
ich aus dem Wagen und zog singend und zu Fuße ein, nicht ach¬
tend auf die Uniformen, die mich rechts und links umstanden und
den fröhlichen Wanderer vielleicht beneideten. Ich war in Graz,
das wußte ich damals mit Bestimmtheit; heut zu Tage, nachdem
Hammer die große Controverse aufgeregt, wüßte ich nicht so genau,
in welcher Stadt ich mich befinde, ob in Grätz oder in Gratz.
So viel ist gewiß, daß wenn der Stadt auch von dem berühmten
Orientalisten ihr ä abgerungen wird, ihr doch die Polizei bleibt,
die sie als Grätz besessen: ä oder a, der Unterschied ist nicht groß;
Paß oder nicht Paß, das wäre etwas.

Drei glückliche Tage verbrachte ich in der Stadt der frischen
saftigen Schönheiten, der Heimat der schönen Gräzerinnen. Da
man mir aber überall von der strengen Aufsicht über Reisende nach
Italien erzählte, dachte ich endlich auch daran, meine Angelegen¬
heiten zu ordnen, und vertraute Herrn v. -i-, der meinen liebens¬
würdigen Cicerone machte, meine Paßbedrängniß. Sein Sie ohne
Sorgen, sagte er, ich stelle Sie meinem guten Bekannten, dein Po-
lizei-Director Herrn v. G. vor; er ist ein liberaler Mann und die
Sache wird sich machen. Wir gingen zu Herrn v. G. Da er mich
an der Seite eines bekannten hochgestellten Barons sah, nahm er
mich mit sehr freundlichem Lächeln auf; da wir aber unser Anliegen
vorbrachten, legte er sein Gesicht in officielle Falten. Als er mei¬
nen sogenannten Paß erst sah, rief er erschrocken aus: Wie, nicht
einmal das Visum von Wien! Himmel, das ist erschrecklich, daß
Sie sich mit einem solchen Passe ans die Reise wagen. Hätten
Sie wenigstens das Wiener Visum, so ließe sich noch etwas ma-


An der Seite deö Grafen A., eines Sprößlings des bednitend-
sten, einflußreichsten Hauses in Steiermark, durchftchr ich das herr¬
liche Mürz- und Murthal. Er kannte meine Paßlosigkeit und war
auch der Ansicht, daß ein Reisender ohne Paß wie einer jener Ne-
venants in den Wallachischen Mährchen sei, die ohne Seele unter
den Menschen herumirren, und war schon besorgt um mich, vor¬
züglich da er die Strenge der Gräzer Polizei kannte. Wie, sagte
ich, fürchtet sich auch ein Graf vor der Polizei? sehen Sie, ich
schlechtes Bürgerblut habe nicht die geringste Sorge. Graz, l.l
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zen vor uns. Ungefähr dreihundert Schritte vor der Barriere sprang
ich aus dem Wagen und zog singend und zu Fuße ein, nicht ach¬
tend auf die Uniformen, die mich rechts und links umstanden und
den fröhlichen Wanderer vielleicht beneideten. Ich war in Graz,
das wußte ich damals mit Bestimmtheit; heut zu Tage, nachdem
Hammer die große Controverse aufgeregt, wüßte ich nicht so genau,
in welcher Stadt ich mich befinde, ob in Grätz oder in Gratz.
So viel ist gewiß, daß wenn der Stadt auch von dem berühmten
Orientalisten ihr ä abgerungen wird, ihr doch die Polizei bleibt,
die sie als Grätz besessen: ä oder a, der Unterschied ist nicht groß;
Paß oder nicht Paß, das wäre etwas.

Drei glückliche Tage verbrachte ich in der Stadt der frischen
saftigen Schönheiten, der Heimat der schönen Gräzerinnen. Da
man mir aber überall von der strengen Aufsicht über Reisende nach
Italien erzählte, dachte ich endlich auch daran, meine Angelegen¬
heiten zu ordnen, und vertraute Herrn v. -i-, der meinen liebens¬
würdigen Cicerone machte, meine Paßbedrängniß. Sein Sie ohne
Sorgen, sagte er, ich stelle Sie meinem guten Bekannten, dein Po-
lizei-Director Herrn v. G. vor; er ist ein liberaler Mann und die
Sache wird sich machen. Wir gingen zu Herrn v. G. Da er mich
an der Seite eines bekannten hochgestellten Barons sah, nahm er
mich mit sehr freundlichem Lächeln auf; da wir aber unser Anliegen
vorbrachten, legte er sein Gesicht in officielle Falten. Als er mei¬
nen sogenannten Paß erst sah, rief er erschrocken aus: Wie, nicht
einmal das Visum von Wien! Himmel, das ist erschrecklich, daß
Sie sich mit einem solchen Passe ans die Reise wagen. Hätten
Sie wenigstens das Wiener Visum, so ließe sich noch etwas ma-


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[0397] An der Seite deö Grafen A., eines Sprößlings des bednitend- sten, einflußreichsten Hauses in Steiermark, durchftchr ich das herr¬ liche Mürz- und Murthal. Er kannte meine Paßlosigkeit und war auch der Ansicht, daß ein Reisender ohne Paß wie einer jener Ne- venants in den Wallachischen Mährchen sei, die ohne Seele unter den Menschen herumirren, und war schon besorgt um mich, vor¬ züglich da er die Strenge der Gräzer Polizei kannte. Wie, sagte ich, fürchtet sich auch ein Graf vor der Polizei? sehen Sie, ich schlechtes Bürgerblut habe nicht die geringste Sorge. Graz, l.l vitio ach Fracks iuix lor«^ <jo t'imwnr, lag mit allen ihren Rei¬ zen vor uns. Ungefähr dreihundert Schritte vor der Barriere sprang ich aus dem Wagen und zog singend und zu Fuße ein, nicht ach¬ tend auf die Uniformen, die mich rechts und links umstanden und den fröhlichen Wanderer vielleicht beneideten. Ich war in Graz, das wußte ich damals mit Bestimmtheit; heut zu Tage, nachdem Hammer die große Controverse aufgeregt, wüßte ich nicht so genau, in welcher Stadt ich mich befinde, ob in Grätz oder in Gratz. So viel ist gewiß, daß wenn der Stadt auch von dem berühmten Orientalisten ihr ä abgerungen wird, ihr doch die Polizei bleibt, die sie als Grätz besessen: ä oder a, der Unterschied ist nicht groß; Paß oder nicht Paß, das wäre etwas. Drei glückliche Tage verbrachte ich in der Stadt der frischen saftigen Schönheiten, der Heimat der schönen Gräzerinnen. Da man mir aber überall von der strengen Aufsicht über Reisende nach Italien erzählte, dachte ich endlich auch daran, meine Angelegen¬ heiten zu ordnen, und vertraute Herrn v. -i-, der meinen liebens¬ würdigen Cicerone machte, meine Paßbedrängniß. Sein Sie ohne Sorgen, sagte er, ich stelle Sie meinem guten Bekannten, dein Po- lizei-Director Herrn v. G. vor; er ist ein liberaler Mann und die Sache wird sich machen. Wir gingen zu Herrn v. G. Da er mich an der Seite eines bekannten hochgestellten Barons sah, nahm er mich mit sehr freundlichem Lächeln auf; da wir aber unser Anliegen vorbrachten, legte er sein Gesicht in officielle Falten. Als er mei¬ nen sogenannten Paß erst sah, rief er erschrocken aus: Wie, nicht einmal das Visum von Wien! Himmel, das ist erschrecklich, daß Sie sich mit einem solchen Passe ans die Reise wagen. Hätten Sie wenigstens das Wiener Visum, so ließe sich noch etwas ma-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/397>, abgerufen am 01.09.2024.