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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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der schönen Pflicht des Wachestehenö befreit. -- Vom Doctor steht
nichts im Passe. -- Natürlich, weil der Doctor jünger ist als der
Paß. Es half nichts, keine Widerrede, keine Berufung auf meine
Doctonvürde, auf meine Ehrlichkeit, auf meine Bekanntschaften,
freilich war keine Durchlaucht und Excellenz, sondern nur ganz
schlichte, ehrliche Leute darunter, er blieb starr und unerweicht.
Wüthend rief er endlich aus: Gehen Sie....... Zum Teufel!
wollte er wahrscheinlich sagen; aber ich fügte schnell hinzu: Ich
gehe, aber nach Italien! -- Unterstehen Sie sich nur, rief er mir bis
an die Thüre nach. -- Der Versuch gilt dachte ich, und selben Nach¬
mittag fuhr ich wohlgemut!) und glücklich auf der Glognizcr Eisen¬
bahn, hin nach Süden.

In Wiener Neustadt hielt der Zug. Sogleich öffnete sich die
Waggonthüre und ein Polizeigesicht lugte herein. Jeder Einzelne
wurde nach seinem Reiseziele gefragt, und die ein ferneres hatten,
mußten aussteigen um sich zu legitimiren. Ich schloß die Augen
und schnarchte sehr. Vielleicht, dachte ich, wird die gutgermanisch-
christliche Polizeiseele den Schlaf des Gerechten nicht stören wollen.
Aber ich hörte ihn leisen Trittes an mich heranschleichen, und mich
an der rechten Schulter fassend, rief er mit Donnerstimme: Wohin
fährt man? Ich fuhr erschrocken auf, und sagte wie schlaftrunken:
In die Hölle! Wahrscheinlich glaubte er, ich meine das Höllen-
thal bei Reichenau, einen beliebten Ausflugsort der Wiener, denn
er ging wieder wie er gekommen war. Ich sah fröhlich zum Fen¬
ster hinaus, und ließ meine Blicke über die Stadt schweifen, und
dachte an Kaiser Maximilian, der in Wiener Neustadt ruht, an die
Mongolen und Türken, die hier gestreift, und pries mich glücklich,
daß ich keinen Paß hatte und bedauerte die Armen, die aussteigen
und hunderterlei Papiere vorzeigen, sich ausfragen und chikaniren
lassen mußten, und erinnerte mich an die köstliche Anekdote von ei¬
nem ungarischen Corporal, die ich einige Tage früher gehört hatte.
Derselbe wurde bei der Polizei angestellt und bekam seinen Posten
an einer der Barrieren Wiens. Ein Reisender kommt gefahren.
Der Corporal stürzt an den Wagen, reißt den Schlag-auf, und
fragt mit officieller Stentorstimme: Habens Paß? Nein, antwor¬
tet der Reisende zitternd. Habens großes Glück, sagt der gute Ungar,
sunst hättens große Schererei, und läßt ihn ruhig weiter fahren.


der schönen Pflicht des Wachestehenö befreit. — Vom Doctor steht
nichts im Passe. — Natürlich, weil der Doctor jünger ist als der
Paß. Es half nichts, keine Widerrede, keine Berufung auf meine
Doctonvürde, auf meine Ehrlichkeit, auf meine Bekanntschaften,
freilich war keine Durchlaucht und Excellenz, sondern nur ganz
schlichte, ehrliche Leute darunter, er blieb starr und unerweicht.
Wüthend rief er endlich aus: Gehen Sie....... Zum Teufel!
wollte er wahrscheinlich sagen; aber ich fügte schnell hinzu: Ich
gehe, aber nach Italien! — Unterstehen Sie sich nur, rief er mir bis
an die Thüre nach. — Der Versuch gilt dachte ich, und selben Nach¬
mittag fuhr ich wohlgemut!) und glücklich auf der Glognizcr Eisen¬
bahn, hin nach Süden.

In Wiener Neustadt hielt der Zug. Sogleich öffnete sich die
Waggonthüre und ein Polizeigesicht lugte herein. Jeder Einzelne
wurde nach seinem Reiseziele gefragt, und die ein ferneres hatten,
mußten aussteigen um sich zu legitimiren. Ich schloß die Augen
und schnarchte sehr. Vielleicht, dachte ich, wird die gutgermanisch-
christliche Polizeiseele den Schlaf des Gerechten nicht stören wollen.
Aber ich hörte ihn leisen Trittes an mich heranschleichen, und mich
an der rechten Schulter fassend, rief er mit Donnerstimme: Wohin
fährt man? Ich fuhr erschrocken auf, und sagte wie schlaftrunken:
In die Hölle! Wahrscheinlich glaubte er, ich meine das Höllen-
thal bei Reichenau, einen beliebten Ausflugsort der Wiener, denn
er ging wieder wie er gekommen war. Ich sah fröhlich zum Fen¬
ster hinaus, und ließ meine Blicke über die Stadt schweifen, und
dachte an Kaiser Maximilian, der in Wiener Neustadt ruht, an die
Mongolen und Türken, die hier gestreift, und pries mich glücklich,
daß ich keinen Paß hatte und bedauerte die Armen, die aussteigen
und hunderterlei Papiere vorzeigen, sich ausfragen und chikaniren
lassen mußten, und erinnerte mich an die köstliche Anekdote von ei¬
nem ungarischen Corporal, die ich einige Tage früher gehört hatte.
Derselbe wurde bei der Polizei angestellt und bekam seinen Posten
an einer der Barrieren Wiens. Ein Reisender kommt gefahren.
Der Corporal stürzt an den Wagen, reißt den Schlag-auf, und
fragt mit officieller Stentorstimme: Habens Paß? Nein, antwor¬
tet der Reisende zitternd. Habens großes Glück, sagt der gute Ungar,
sunst hättens große Schererei, und läßt ihn ruhig weiter fahren.


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[0396] der schönen Pflicht des Wachestehenö befreit. — Vom Doctor steht nichts im Passe. — Natürlich, weil der Doctor jünger ist als der Paß. Es half nichts, keine Widerrede, keine Berufung auf meine Doctonvürde, auf meine Ehrlichkeit, auf meine Bekanntschaften, freilich war keine Durchlaucht und Excellenz, sondern nur ganz schlichte, ehrliche Leute darunter, er blieb starr und unerweicht. Wüthend rief er endlich aus: Gehen Sie....... Zum Teufel! wollte er wahrscheinlich sagen; aber ich fügte schnell hinzu: Ich gehe, aber nach Italien! — Unterstehen Sie sich nur, rief er mir bis an die Thüre nach. — Der Versuch gilt dachte ich, und selben Nach¬ mittag fuhr ich wohlgemut!) und glücklich auf der Glognizcr Eisen¬ bahn, hin nach Süden. In Wiener Neustadt hielt der Zug. Sogleich öffnete sich die Waggonthüre und ein Polizeigesicht lugte herein. Jeder Einzelne wurde nach seinem Reiseziele gefragt, und die ein ferneres hatten, mußten aussteigen um sich zu legitimiren. Ich schloß die Augen und schnarchte sehr. Vielleicht, dachte ich, wird die gutgermanisch- christliche Polizeiseele den Schlaf des Gerechten nicht stören wollen. Aber ich hörte ihn leisen Trittes an mich heranschleichen, und mich an der rechten Schulter fassend, rief er mit Donnerstimme: Wohin fährt man? Ich fuhr erschrocken auf, und sagte wie schlaftrunken: In die Hölle! Wahrscheinlich glaubte er, ich meine das Höllen- thal bei Reichenau, einen beliebten Ausflugsort der Wiener, denn er ging wieder wie er gekommen war. Ich sah fröhlich zum Fen¬ ster hinaus, und ließ meine Blicke über die Stadt schweifen, und dachte an Kaiser Maximilian, der in Wiener Neustadt ruht, an die Mongolen und Türken, die hier gestreift, und pries mich glücklich, daß ich keinen Paß hatte und bedauerte die Armen, die aussteigen und hunderterlei Papiere vorzeigen, sich ausfragen und chikaniren lassen mußten, und erinnerte mich an die köstliche Anekdote von ei¬ nem ungarischen Corporal, die ich einige Tage früher gehört hatte. Derselbe wurde bei der Polizei angestellt und bekam seinen Posten an einer der Barrieren Wiens. Ein Reisender kommt gefahren. Der Corporal stürzt an den Wagen, reißt den Schlag-auf, und fragt mit officieller Stentorstimme: Habens Paß? Nein, antwor¬ tet der Reisende zitternd. Habens großes Glück, sagt der gute Ungar, sunst hättens große Schererei, und läßt ihn ruhig weiter fahren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/396>, abgerufen am 23.12.2024.