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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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tert und angespornt. In der That aber gingen die Geldsammlun¬
gen und andere Aufmunterungen nur vom französischen Volke aus:
wie weit sich die französische Regierung auf gewisse Zusagen einließ, ist
nicht klar geworden. Die Vertheidiger des Pariser Cabinets füh¬
ren zu seiner Entschuldigung an, wie einst General Jomini dem
Kaiser Napoleon in einer sehr detaillirten Denkschrift bewiesen,
daß "die Wiederherstellung Polens ohne die Mitwirkung einer der
drei Mächte, die es getheilt, ein leerer Traum sei, und daß, selbst
im Fall eines unverhofften Erfolges, dieser Traum Frankreich nur
zu ewiger Kriegführung zwingen würde, um ein Gebäude ohne
Grund aufrechtzuhalten." Napoleon habe, überrascht (?) von der
Nichtigkeit der angeführten Gründe, den Plan fahren lassen,
und nun wolle man, daß das Julyfrankreich, kaum hervorgegangen
aus einer noch nicht gestillten innern Bewegung, allein gelassen
von England und gegen die Coalition der drei Mächte, sechshun¬
dert Stunden weit von der polnischen Grenze Das unternehme,
was Napoleon am Riemen und mit einem Heere von K00,0ol)
Mann zu unternehmen nicht gewagt habe.

Indessen ist uns Jomini keine unfehlbare Autorität, obwohl
sich der Kaiser von der Nichtigkeit seiner Argumente (sehr gern)
überraschen ließ. Der Napoleon des Friedens und der Louis Phi¬
lippe des Krieges haben beide, wie es scheint, nur ihren sogenannten
guten, nicht ernsten Willen zeigen wollen. Napoleon pflegte sich
sonst von größern Schwierigkeiten nicht schrecken zu lassen, und
warum hätte es ihm, der Nichts für unmöglich hielt, so schwer
fallen sollen, die Mitwirkung einer der drei Mächte zu erlangen
oder zu erzwingen? --

Werfen wir noch einen Blick auf Czartoryskis Laufbahn. Im
Corps Ramarino's wohnte der Fürst, den 29. August, bei Mied-
zirzecz, dem letzten Triumphe des weißen Adlers bei. Im Augen¬
blick, wo Romarino Warschau zu Hilfe eilte, erfuhr er, daß die
Russen in der Hauptstadt eingezogen wären, und mußte vor der
Uebermacht bis ins galizische Gebiet zurückweichen. Czartoryski
konnte sich noch nicht entschließen, den Boden des Vaterlandes auf¬
zugeben und stieß mit einigen Officieren, im Sandomir'schen, noch
einmal zum Corps des Generals Nozycki. Aber dieses schwache


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tert und angespornt. In der That aber gingen die Geldsammlun¬
gen und andere Aufmunterungen nur vom französischen Volke aus:
wie weit sich die französische Regierung auf gewisse Zusagen einließ, ist
nicht klar geworden. Die Vertheidiger des Pariser Cabinets füh¬
ren zu seiner Entschuldigung an, wie einst General Jomini dem
Kaiser Napoleon in einer sehr detaillirten Denkschrift bewiesen,
daß „die Wiederherstellung Polens ohne die Mitwirkung einer der
drei Mächte, die es getheilt, ein leerer Traum sei, und daß, selbst
im Fall eines unverhofften Erfolges, dieser Traum Frankreich nur
zu ewiger Kriegführung zwingen würde, um ein Gebäude ohne
Grund aufrechtzuhalten." Napoleon habe, überrascht (?) von der
Nichtigkeit der angeführten Gründe, den Plan fahren lassen,
und nun wolle man, daß das Julyfrankreich, kaum hervorgegangen
aus einer noch nicht gestillten innern Bewegung, allein gelassen
von England und gegen die Coalition der drei Mächte, sechshun¬
dert Stunden weit von der polnischen Grenze Das unternehme,
was Napoleon am Riemen und mit einem Heere von K00,0ol)
Mann zu unternehmen nicht gewagt habe.

Indessen ist uns Jomini keine unfehlbare Autorität, obwohl
sich der Kaiser von der Nichtigkeit seiner Argumente (sehr gern)
überraschen ließ. Der Napoleon des Friedens und der Louis Phi¬
lippe des Krieges haben beide, wie es scheint, nur ihren sogenannten
guten, nicht ernsten Willen zeigen wollen. Napoleon pflegte sich
sonst von größern Schwierigkeiten nicht schrecken zu lassen, und
warum hätte es ihm, der Nichts für unmöglich hielt, so schwer
fallen sollen, die Mitwirkung einer der drei Mächte zu erlangen
oder zu erzwingen? —

Werfen wir noch einen Blick auf Czartoryskis Laufbahn. Im
Corps Ramarino's wohnte der Fürst, den 29. August, bei Mied-
zirzecz, dem letzten Triumphe des weißen Adlers bei. Im Augen¬
blick, wo Romarino Warschau zu Hilfe eilte, erfuhr er, daß die
Russen in der Hauptstadt eingezogen wären, und mußte vor der
Uebermacht bis ins galizische Gebiet zurückweichen. Czartoryski
konnte sich noch nicht entschließen, den Boden des Vaterlandes auf¬
zugeben und stieß mit einigen Officieren, im Sandomir'schen, noch
einmal zum Corps des Generals Nozycki. Aber dieses schwache


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[0363] tert und angespornt. In der That aber gingen die Geldsammlun¬ gen und andere Aufmunterungen nur vom französischen Volke aus: wie weit sich die französische Regierung auf gewisse Zusagen einließ, ist nicht klar geworden. Die Vertheidiger des Pariser Cabinets füh¬ ren zu seiner Entschuldigung an, wie einst General Jomini dem Kaiser Napoleon in einer sehr detaillirten Denkschrift bewiesen, daß „die Wiederherstellung Polens ohne die Mitwirkung einer der drei Mächte, die es getheilt, ein leerer Traum sei, und daß, selbst im Fall eines unverhofften Erfolges, dieser Traum Frankreich nur zu ewiger Kriegführung zwingen würde, um ein Gebäude ohne Grund aufrechtzuhalten." Napoleon habe, überrascht (?) von der Nichtigkeit der angeführten Gründe, den Plan fahren lassen, und nun wolle man, daß das Julyfrankreich, kaum hervorgegangen aus einer noch nicht gestillten innern Bewegung, allein gelassen von England und gegen die Coalition der drei Mächte, sechshun¬ dert Stunden weit von der polnischen Grenze Das unternehme, was Napoleon am Riemen und mit einem Heere von K00,0ol) Mann zu unternehmen nicht gewagt habe. Indessen ist uns Jomini keine unfehlbare Autorität, obwohl sich der Kaiser von der Nichtigkeit seiner Argumente (sehr gern) überraschen ließ. Der Napoleon des Friedens und der Louis Phi¬ lippe des Krieges haben beide, wie es scheint, nur ihren sogenannten guten, nicht ernsten Willen zeigen wollen. Napoleon pflegte sich sonst von größern Schwierigkeiten nicht schrecken zu lassen, und warum hätte es ihm, der Nichts für unmöglich hielt, so schwer fallen sollen, die Mitwirkung einer der drei Mächte zu erlangen oder zu erzwingen? — Werfen wir noch einen Blick auf Czartoryskis Laufbahn. Im Corps Ramarino's wohnte der Fürst, den 29. August, bei Mied- zirzecz, dem letzten Triumphe des weißen Adlers bei. Im Augen¬ blick, wo Romarino Warschau zu Hilfe eilte, erfuhr er, daß die Russen in der Hauptstadt eingezogen wären, und mußte vor der Uebermacht bis ins galizische Gebiet zurückweichen. Czartoryski konnte sich noch nicht entschließen, den Boden des Vaterlandes auf¬ zugeben und stieß mit einigen Officieren, im Sandomir'schen, noch einmal zum Corps des Generals Nozycki. Aber dieses schwache 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/363>, abgerufen am 02.09.2024.