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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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recti, unzufrieden und konnte sein Zaudersystem, dem er nach den
glänzendsten und unverhofftesten Erfolgen treu blieb, nicht begrei¬
fen. Wir haben schon bemerkt, daß der Regierungspräsident durch¬
aus keinen gesetzlichen Einfluß auf die militärischen Operationen
hatte, und wir wissen nicht, ob seine factische Autorität größer war,
doch ist so viel gewiß, daß Czartoryski bei der Deputation war,
die vom Landtag an die Armee geschickt wurde, um eine Untersu¬
chung einzuleiten, in Folge deren Skrzynecki abgesetzt wurde. In¬
zwischen brachte die Aufregung über die Unthätigkeit des Genera-
lissimus und die Fortschritte der Russen in Warschau eine Emeute
hervor, die den Sturz der Negierung zur Folge hatte. Einige Affen
des französischen Terrorismus spielten Scptembcrmord, und dieses
"revolutionäre Hausmittelchen," welches das Vaterland retten sollte,
gab ihm den letzten Stoß, indem es den Oberbefehl in die Hände
Krukowiecki'S brachte, den man jetzt allgemein im Verdacht des
Verrathes hat. Czartoryski aber, der nun sah, daß er in War¬
schau nichts mehr nützen konnte, nahm das Gewehr als einfacher
Freiwilliger im Corps des Generals Nomarino.

Großartig, wie das Schauspiel der polnischen Heldenthaten
bei Grochow, Ostrolenka u. s. w. war, so interessant, wenn auch
mitunter unwürdig und kleinlich, war die Zuschaucrmienc Europa's
bei diesem Kampf auf Tod und Leben. Das Merkwürdigste ist,
daß in Rußland selbst, besonders im Süden, nicht unbedeutende
polnische Sympathien auftauchten. Man erzählt sogar, daß der
bizarre Konstantin, so oft er von einem Siege der Insurgenten
hörte, freudig ausrief: Das sind prächtige Soldaten, die Polen!
Die schlagen sich! Das haben sie von mir gelernt! -- -- Der
Großfürst hatte nämlich die polnische Armee, vor der Revolution,
entsetzlich mit allen Kleinlichkeiten russischen Kamaschendienstes ge¬
plagt, und bildete sich nun ein, daher komme ihre Tapferkeit. So
seltsam es klingen mag, so ist es doch unläugbar, daß Konstantin,
in seiner Weise, die Polen liebte, und daß seine Brutalität gegen
sie immer noch einen Beigeschmack von Zärtlichkeit hatte, die er ge¬
gen Russen selbst niemals äußerte! Ueberhaupt hat man in Ru߬
land eine Vorliebe sür die Polen und befördert die Dienstwilligen
unter ihnen auf eine Weise, die gar oft den moskowitischen Neid
erregt. Die Polenliebe der Russen ist allerdings keine gemüthliche


Grenzboten, Is4K. I. 45

recti, unzufrieden und konnte sein Zaudersystem, dem er nach den
glänzendsten und unverhofftesten Erfolgen treu blieb, nicht begrei¬
fen. Wir haben schon bemerkt, daß der Regierungspräsident durch¬
aus keinen gesetzlichen Einfluß auf die militärischen Operationen
hatte, und wir wissen nicht, ob seine factische Autorität größer war,
doch ist so viel gewiß, daß Czartoryski bei der Deputation war,
die vom Landtag an die Armee geschickt wurde, um eine Untersu¬
chung einzuleiten, in Folge deren Skrzynecki abgesetzt wurde. In¬
zwischen brachte die Aufregung über die Unthätigkeit des Genera-
lissimus und die Fortschritte der Russen in Warschau eine Emeute
hervor, die den Sturz der Negierung zur Folge hatte. Einige Affen
des französischen Terrorismus spielten Scptembcrmord, und dieses
„revolutionäre Hausmittelchen," welches das Vaterland retten sollte,
gab ihm den letzten Stoß, indem es den Oberbefehl in die Hände
Krukowiecki'S brachte, den man jetzt allgemein im Verdacht des
Verrathes hat. Czartoryski aber, der nun sah, daß er in War¬
schau nichts mehr nützen konnte, nahm das Gewehr als einfacher
Freiwilliger im Corps des Generals Nomarino.

Großartig, wie das Schauspiel der polnischen Heldenthaten
bei Grochow, Ostrolenka u. s. w. war, so interessant, wenn auch
mitunter unwürdig und kleinlich, war die Zuschaucrmienc Europa's
bei diesem Kampf auf Tod und Leben. Das Merkwürdigste ist,
daß in Rußland selbst, besonders im Süden, nicht unbedeutende
polnische Sympathien auftauchten. Man erzählt sogar, daß der
bizarre Konstantin, so oft er von einem Siege der Insurgenten
hörte, freudig ausrief: Das sind prächtige Soldaten, die Polen!
Die schlagen sich! Das haben sie von mir gelernt! — — Der
Großfürst hatte nämlich die polnische Armee, vor der Revolution,
entsetzlich mit allen Kleinlichkeiten russischen Kamaschendienstes ge¬
plagt, und bildete sich nun ein, daher komme ihre Tapferkeit. So
seltsam es klingen mag, so ist es doch unläugbar, daß Konstantin,
in seiner Weise, die Polen liebte, und daß seine Brutalität gegen
sie immer noch einen Beigeschmack von Zärtlichkeit hatte, die er ge¬
gen Russen selbst niemals äußerte! Ueberhaupt hat man in Ru߬
land eine Vorliebe sür die Polen und befördert die Dienstwilligen
unter ihnen auf eine Weise, die gar oft den moskowitischen Neid
erregt. Die Polenliebe der Russen ist allerdings keine gemüthliche


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[0361] recti, unzufrieden und konnte sein Zaudersystem, dem er nach den glänzendsten und unverhofftesten Erfolgen treu blieb, nicht begrei¬ fen. Wir haben schon bemerkt, daß der Regierungspräsident durch¬ aus keinen gesetzlichen Einfluß auf die militärischen Operationen hatte, und wir wissen nicht, ob seine factische Autorität größer war, doch ist so viel gewiß, daß Czartoryski bei der Deputation war, die vom Landtag an die Armee geschickt wurde, um eine Untersu¬ chung einzuleiten, in Folge deren Skrzynecki abgesetzt wurde. In¬ zwischen brachte die Aufregung über die Unthätigkeit des Genera- lissimus und die Fortschritte der Russen in Warschau eine Emeute hervor, die den Sturz der Negierung zur Folge hatte. Einige Affen des französischen Terrorismus spielten Scptembcrmord, und dieses „revolutionäre Hausmittelchen," welches das Vaterland retten sollte, gab ihm den letzten Stoß, indem es den Oberbefehl in die Hände Krukowiecki'S brachte, den man jetzt allgemein im Verdacht des Verrathes hat. Czartoryski aber, der nun sah, daß er in War¬ schau nichts mehr nützen konnte, nahm das Gewehr als einfacher Freiwilliger im Corps des Generals Nomarino. Großartig, wie das Schauspiel der polnischen Heldenthaten bei Grochow, Ostrolenka u. s. w. war, so interessant, wenn auch mitunter unwürdig und kleinlich, war die Zuschaucrmienc Europa's bei diesem Kampf auf Tod und Leben. Das Merkwürdigste ist, daß in Rußland selbst, besonders im Süden, nicht unbedeutende polnische Sympathien auftauchten. Man erzählt sogar, daß der bizarre Konstantin, so oft er von einem Siege der Insurgenten hörte, freudig ausrief: Das sind prächtige Soldaten, die Polen! Die schlagen sich! Das haben sie von mir gelernt! — — Der Großfürst hatte nämlich die polnische Armee, vor der Revolution, entsetzlich mit allen Kleinlichkeiten russischen Kamaschendienstes ge¬ plagt, und bildete sich nun ein, daher komme ihre Tapferkeit. So seltsam es klingen mag, so ist es doch unläugbar, daß Konstantin, in seiner Weise, die Polen liebte, und daß seine Brutalität gegen sie immer noch einen Beigeschmack von Zärtlichkeit hatte, die er ge¬ gen Russen selbst niemals äußerte! Ueberhaupt hat man in Ru߬ land eine Vorliebe sür die Polen und befördert die Dienstwilligen unter ihnen auf eine Weise, die gar oft den moskowitischen Neid erregt. Die Polenliebe der Russen ist allerdings keine gemüthliche Grenzboten, Is4K. I. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/361>, abgerufen am 02.09.2024.