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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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da er im Ganzen derselben Politik huldigte, wie seine Vorfahren,
die ja das Werk der modernen Reform angefangen, und den
Gedanken der Emancipation des Bürger- und Bauernstandes zu¬
erst angeregt hatten. Es kann sich bei ihm nur darum handeln,
ob er nicht mit Unrecht den Zeitpunkt für sociale Verbesserungen
ungelegen glaubte.

"Jetzt ist nicht der Augenblick," sagte er in der erwähnten
Rede am Vorabende der ersten Schlacht," um an gesellschaftliche Ver¬
besserungen zu denken; das Getöse der Waffen hindert uns, solche
wichtige Angelegenheiten reiflich zu überlegen. Jetzt gilt es zu
kämpfen. Die Freiheit selbst, das kostbarste Gut der Menschheit,
muß man, im Augenblicke der Gefahr, der Nationalität und Selbst-
ständigkeit gegen Außen aufopfern. Die nationale Unabhängigkeit
zu erringen, ist unsere erste Aufgabe, vor der jede andere Rücksicht
verschwinden muß... Wir müssen die europäischen Mächte über¬
zeugen, daß unsere Revolution eine polnische ist, daß heißt, daß sie
nur die Erhaltung des Vaterlandes zum Zweck hat und nicht den
Umsturz socialer Principien und die Verbreitung der Anarchie..."

Diese Beredsamkeit, welche Reform mit Umsturz und Anarchie
zusammenwirft, scheint allerdings sehr stark nach aristokratischem
Haut Goul zu schmecken, aber der Fürst sagte auch: es ist jetzt
nicht der Augenblick, und warf dabei einen vielsagenden Seitenblick
auf die Mächte, und wir glauben, daß dies mehr als eine gewöhn¬
liche Ausflucht war. Wir haben hinterher gut Conjecturen ma¬
chen, die "Wenn"-Weisheit ist immer sehr wohlfeil. Wenn Polen
in jenem Augenblicke die Leibeigenen befreit und den Landsturm ent¬
fesselt hätte, so ist nicht zu zweifeln, daß die Bewegung einen noch
viel energischem und furchtbarem Charakter angenommen haben
würde. Vielleicht hätte sie aber auch die andern Nachbarn zu ac¬
tiven Feinden Polens gemacht; österreichische und preußische Heere
wären dann nicht an den Grenzen stehen geblieben, und damals wußten
ja die Nevolutionsführer noch nicht, daß es so wie so alles Eins
war; sie hofften vielmehr in aller Gutmüthigkeit, die Mächte wür¬
den ein Einsehen haben in die Gerechtigkeit ihrer Sache und nicht
blos nicht gegen, sondern für Polen sich verwenden. Man war aber
in den monarchischen Staaten nur zu geneigt, jeden noch so legiti¬
men Aufstand mit Pariser Sansculottismus und Laternenjustiz zu
identificiren. Gewisse hohe Herrschaften, denen der Schrecken von


da er im Ganzen derselben Politik huldigte, wie seine Vorfahren,
die ja das Werk der modernen Reform angefangen, und den
Gedanken der Emancipation des Bürger- und Bauernstandes zu¬
erst angeregt hatten. Es kann sich bei ihm nur darum handeln,
ob er nicht mit Unrecht den Zeitpunkt für sociale Verbesserungen
ungelegen glaubte.

„Jetzt ist nicht der Augenblick," sagte er in der erwähnten
Rede am Vorabende der ersten Schlacht," um an gesellschaftliche Ver¬
besserungen zu denken; das Getöse der Waffen hindert uns, solche
wichtige Angelegenheiten reiflich zu überlegen. Jetzt gilt es zu
kämpfen. Die Freiheit selbst, das kostbarste Gut der Menschheit,
muß man, im Augenblicke der Gefahr, der Nationalität und Selbst-
ständigkeit gegen Außen aufopfern. Die nationale Unabhängigkeit
zu erringen, ist unsere erste Aufgabe, vor der jede andere Rücksicht
verschwinden muß... Wir müssen die europäischen Mächte über¬
zeugen, daß unsere Revolution eine polnische ist, daß heißt, daß sie
nur die Erhaltung des Vaterlandes zum Zweck hat und nicht den
Umsturz socialer Principien und die Verbreitung der Anarchie..."

Diese Beredsamkeit, welche Reform mit Umsturz und Anarchie
zusammenwirft, scheint allerdings sehr stark nach aristokratischem
Haut Goul zu schmecken, aber der Fürst sagte auch: es ist jetzt
nicht der Augenblick, und warf dabei einen vielsagenden Seitenblick
auf die Mächte, und wir glauben, daß dies mehr als eine gewöhn¬
liche Ausflucht war. Wir haben hinterher gut Conjecturen ma¬
chen, die „Wenn"-Weisheit ist immer sehr wohlfeil. Wenn Polen
in jenem Augenblicke die Leibeigenen befreit und den Landsturm ent¬
fesselt hätte, so ist nicht zu zweifeln, daß die Bewegung einen noch
viel energischem und furchtbarem Charakter angenommen haben
würde. Vielleicht hätte sie aber auch die andern Nachbarn zu ac¬
tiven Feinden Polens gemacht; österreichische und preußische Heere
wären dann nicht an den Grenzen stehen geblieben, und damals wußten
ja die Nevolutionsführer noch nicht, daß es so wie so alles Eins
war; sie hofften vielmehr in aller Gutmüthigkeit, die Mächte wür¬
den ein Einsehen haben in die Gerechtigkeit ihrer Sache und nicht
blos nicht gegen, sondern für Polen sich verwenden. Man war aber
in den monarchischen Staaten nur zu geneigt, jeden noch so legiti¬
men Aufstand mit Pariser Sansculottismus und Laternenjustiz zu
identificiren. Gewisse hohe Herrschaften, denen der Schrecken von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/359>, abgerufen am 02.09.2024.