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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Pan, einem Nebenbuhler, der ihn zwar vAwundete, dagegen die
Veranlassung des Zweikampfes, die Hand und das Herz der Für¬
stin Anna Sapieha, an ihn verlor. Fürst Czartoryöki heirathete
1818 diese Dame, die seine patriotischen Bestrebungen theilte,
wie sie jetzt seine Verbannung theilt.

Mit der Thronbesteigung Nikolaj's (1825) kam ein sibirischer
Herbstwind über die letzten Hoffnungen des polnischen Patriotis¬
mus. Das jetzige Amalgimirungs - und Vernichtungssystem ist
nicht, wie Manche behaupteten, eine Folge und Strafe des polni¬
schen Ungehorsams im Jahre I83V. Nikolaj hat nicht, kraft seines
Sieges über die Rebellen, die "verwirkte" polnische Charte zerris¬
sen : er war es, der sie zuerst verletzte und dadurch zum Widerstand
herausforderte. Der gänzliche Untergang Polens war bei ihm be¬
schlossen, sobald er an's Ruder kam, und wie heilig er die von
Alexander beschworenen Rechte des Königreichs Polen hielt, zeigte
gleich seine erste kaiserliche Handlung. Die polnischen Patrioten,
die wegen Hochverraths vor Gericht gestellt waren, wurden, durch
Czartoryski's Anstrengungen, von allen Senatsstimmen, bis auf
eine, freigesprochen. Nikolaj war darüber wüthend, caßirte das
freisprechende Urtheil, verwandelte es, aus eigener Machtvollkom¬
menheit, in ein Verdammungsurtheil und schickte die vom Gericht
Unschuldig erkannten nach Sibirien. Zugleich ließ er seinem Bru¬
der Konstantin, gleichsam zum Dank für die Krone, auf die der¬
selbe zu seinen Gunsten verzichtet, absolute Macht und Willkür
über 4 Millionen armer Polen, und der toll barbarische Großfürst
wüthete nun nach Herzenslust.

Wir haben hier nicht die bekannte Geschichte des polnischen
Aufstandes zu schreiben, nur um die Rolle handelt es sich, die
Czartoryöki dabei spielte. Die polnische Revolution war wie alle
Revolutionen; der Grund ist 'längst vorhanden, die Veranlassung
(von Manchem mit der Ursache verwechselt) ist dann die erste,
beste; angefangen von einigen unbedeuteten Tumultuanten vollen¬
det sie oder verliert sie sich unter den Händen größerer Kapacitä¬
ten. Dies ist der gewöhnliche Verlauf aller Revolutionen, seit die
Welt steht, und es nutzt Nichts, daß man seine doctrinälen Glos¬
sen darüber macht; der Verlauf ist einmal so, und wird, so lange
die Welt steht, bei allen Wiederholungen derselbe bleiben, weil er


Pan, einem Nebenbuhler, der ihn zwar vAwundete, dagegen die
Veranlassung des Zweikampfes, die Hand und das Herz der Für¬
stin Anna Sapieha, an ihn verlor. Fürst Czartoryöki heirathete
1818 diese Dame, die seine patriotischen Bestrebungen theilte,
wie sie jetzt seine Verbannung theilt.

Mit der Thronbesteigung Nikolaj's (1825) kam ein sibirischer
Herbstwind über die letzten Hoffnungen des polnischen Patriotis¬
mus. Das jetzige Amalgimirungs - und Vernichtungssystem ist
nicht, wie Manche behaupteten, eine Folge und Strafe des polni¬
schen Ungehorsams im Jahre I83V. Nikolaj hat nicht, kraft seines
Sieges über die Rebellen, die „verwirkte" polnische Charte zerris¬
sen : er war es, der sie zuerst verletzte und dadurch zum Widerstand
herausforderte. Der gänzliche Untergang Polens war bei ihm be¬
schlossen, sobald er an's Ruder kam, und wie heilig er die von
Alexander beschworenen Rechte des Königreichs Polen hielt, zeigte
gleich seine erste kaiserliche Handlung. Die polnischen Patrioten,
die wegen Hochverraths vor Gericht gestellt waren, wurden, durch
Czartoryski's Anstrengungen, von allen Senatsstimmen, bis auf
eine, freigesprochen. Nikolaj war darüber wüthend, caßirte das
freisprechende Urtheil, verwandelte es, aus eigener Machtvollkom¬
menheit, in ein Verdammungsurtheil und schickte die vom Gericht
Unschuldig erkannten nach Sibirien. Zugleich ließ er seinem Bru¬
der Konstantin, gleichsam zum Dank für die Krone, auf die der¬
selbe zu seinen Gunsten verzichtet, absolute Macht und Willkür
über 4 Millionen armer Polen, und der toll barbarische Großfürst
wüthete nun nach Herzenslust.

Wir haben hier nicht die bekannte Geschichte des polnischen
Aufstandes zu schreiben, nur um die Rolle handelt es sich, die
Czartoryöki dabei spielte. Die polnische Revolution war wie alle
Revolutionen; der Grund ist 'längst vorhanden, die Veranlassung
(von Manchem mit der Ursache verwechselt) ist dann die erste,
beste; angefangen von einigen unbedeuteten Tumultuanten vollen¬
det sie oder verliert sie sich unter den Händen größerer Kapacitä¬
ten. Dies ist der gewöhnliche Verlauf aller Revolutionen, seit die
Welt steht, und es nutzt Nichts, daß man seine doctrinälen Glos¬
sen darüber macht; der Verlauf ist einmal so, und wird, so lange
die Welt steht, bei allen Wiederholungen derselbe bleiben, weil er


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[0356] Pan, einem Nebenbuhler, der ihn zwar vAwundete, dagegen die Veranlassung des Zweikampfes, die Hand und das Herz der Für¬ stin Anna Sapieha, an ihn verlor. Fürst Czartoryöki heirathete 1818 diese Dame, die seine patriotischen Bestrebungen theilte, wie sie jetzt seine Verbannung theilt. Mit der Thronbesteigung Nikolaj's (1825) kam ein sibirischer Herbstwind über die letzten Hoffnungen des polnischen Patriotis¬ mus. Das jetzige Amalgimirungs - und Vernichtungssystem ist nicht, wie Manche behaupteten, eine Folge und Strafe des polni¬ schen Ungehorsams im Jahre I83V. Nikolaj hat nicht, kraft seines Sieges über die Rebellen, die „verwirkte" polnische Charte zerris¬ sen : er war es, der sie zuerst verletzte und dadurch zum Widerstand herausforderte. Der gänzliche Untergang Polens war bei ihm be¬ schlossen, sobald er an's Ruder kam, und wie heilig er die von Alexander beschworenen Rechte des Königreichs Polen hielt, zeigte gleich seine erste kaiserliche Handlung. Die polnischen Patrioten, die wegen Hochverraths vor Gericht gestellt waren, wurden, durch Czartoryski's Anstrengungen, von allen Senatsstimmen, bis auf eine, freigesprochen. Nikolaj war darüber wüthend, caßirte das freisprechende Urtheil, verwandelte es, aus eigener Machtvollkom¬ menheit, in ein Verdammungsurtheil und schickte die vom Gericht Unschuldig erkannten nach Sibirien. Zugleich ließ er seinem Bru¬ der Konstantin, gleichsam zum Dank für die Krone, auf die der¬ selbe zu seinen Gunsten verzichtet, absolute Macht und Willkür über 4 Millionen armer Polen, und der toll barbarische Großfürst wüthete nun nach Herzenslust. Wir haben hier nicht die bekannte Geschichte des polnischen Aufstandes zu schreiben, nur um die Rolle handelt es sich, die Czartoryöki dabei spielte. Die polnische Revolution war wie alle Revolutionen; der Grund ist 'längst vorhanden, die Veranlassung (von Manchem mit der Ursache verwechselt) ist dann die erste, beste; angefangen von einigen unbedeuteten Tumultuanten vollen¬ det sie oder verliert sie sich unter den Händen größerer Kapacitä¬ ten. Dies ist der gewöhnliche Verlauf aller Revolutionen, seit die Welt steht, und es nutzt Nichts, daß man seine doctrinälen Glos¬ sen darüber macht; der Verlauf ist einmal so, und wird, so lange die Welt steht, bei allen Wiederholungen derselbe bleiben, weil er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/356>, abgerufen am 02.09.2024.