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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Bedingung, daß Adam Georg und dessen Bruder Konstantin als
Geißeln nach Petersburg kamen. Dies geschah, und zwischen dem
jungen Czartoryski und dem humanen 20jährigen Großfürsten
Thronfolger Alexander knüpfte sich bald ein so inniges Freund¬
schaftsbündnis; an, daß Kaiser Paul argwöhnisch wurde und den
Freund seines Sohnes mit einer Mission nach Sardinien beauf¬
tragte. Aber nach Paul's plötzlichem Tode berief Alexander
den Jugendfreund sogleich zu sich und ernannte ihn bald zum Mi¬
nister des Auswärtigen und zugleich zum Kurator des Unterrichts¬
und Erziehungswesens in den polnischen Provinzen. Man kann
sich denken, wie Czartoryski diese Stellung benützte. Er selbst sagte
darüber dreißig Jahre später: Das Schicksal hat gewollt, daß ich
den größten Theil meines Lebens in einer Zeit verbrachte, wo Po¬
len von der Karte Europas verschwunden war, und das Vater¬
land nur von dem Souverain der den größten seiner Ueberreste
besaß, etwas erwarten konnte. Eben so wollte das Schicksal, daß
der junge großherzige Fürst, dem ich diente, Polen aufrichtig liebte.
Dieser Hauptzug im Charakter Alexander's hatte mir eine tieft und
treue Anhänglichkeit an ihn eingeflößt. . . . Mein Ziel war, zu¬
gleich für Alexanders Ruhm und für die Wiedergeburt Polens zu
wirken. Es wird in den Annalen der Geschichte ein bewunderns-
werthes Bild für die Nachwelt sein, wie die Polen, während der
langen Unterjochung ihres Vaterlandes, jeder vom Schicksal an¬
derswohin verschlagen, der eine an die Newa, der andere an die
Seine, nicht aufhörten, von ihren verschiedensten, oft einander ent¬
gegengesetztesten Posten, und ohne mit einander in Verbindung zu
stehen, unwillkührlich und einmüthig nach Kräften dasselbe Ziel zu
verfolgen.

In der That, die polnische Tapferkeit unter den Fahnen Na¬
poleons wurde von demselben Gedanken entstammt, der Czartorsvki'S
Geduld und Ausdauer in Petersburg stählte. Als jedoch Fürst
Adam sah, wie seine Landsleute sich alle mit ihrem Vertrauen zu
Napoleon hinwandten, wollte er nicht zu sehr im Wiederspruch mit
ihren Wünschen stehen und zog sich vom russischen Ministerposten
zurück, blieb aber Curator des polnischen StudienwescnS. Indessen
täuschte der französische Kaiser die Hoffnungen der polnischen Pa¬
trioten, und zur Strafe dafür, wie für andere Eingebungen seines


Bedingung, daß Adam Georg und dessen Bruder Konstantin als
Geißeln nach Petersburg kamen. Dies geschah, und zwischen dem
jungen Czartoryski und dem humanen 20jährigen Großfürsten
Thronfolger Alexander knüpfte sich bald ein so inniges Freund¬
schaftsbündnis; an, daß Kaiser Paul argwöhnisch wurde und den
Freund seines Sohnes mit einer Mission nach Sardinien beauf¬
tragte. Aber nach Paul's plötzlichem Tode berief Alexander
den Jugendfreund sogleich zu sich und ernannte ihn bald zum Mi¬
nister des Auswärtigen und zugleich zum Kurator des Unterrichts¬
und Erziehungswesens in den polnischen Provinzen. Man kann
sich denken, wie Czartoryski diese Stellung benützte. Er selbst sagte
darüber dreißig Jahre später: Das Schicksal hat gewollt, daß ich
den größten Theil meines Lebens in einer Zeit verbrachte, wo Po¬
len von der Karte Europas verschwunden war, und das Vater¬
land nur von dem Souverain der den größten seiner Ueberreste
besaß, etwas erwarten konnte. Eben so wollte das Schicksal, daß
der junge großherzige Fürst, dem ich diente, Polen aufrichtig liebte.
Dieser Hauptzug im Charakter Alexander's hatte mir eine tieft und
treue Anhänglichkeit an ihn eingeflößt. . . . Mein Ziel war, zu¬
gleich für Alexanders Ruhm und für die Wiedergeburt Polens zu
wirken. Es wird in den Annalen der Geschichte ein bewunderns-
werthes Bild für die Nachwelt sein, wie die Polen, während der
langen Unterjochung ihres Vaterlandes, jeder vom Schicksal an¬
derswohin verschlagen, der eine an die Newa, der andere an die
Seine, nicht aufhörten, von ihren verschiedensten, oft einander ent¬
gegengesetztesten Posten, und ohne mit einander in Verbindung zu
stehen, unwillkührlich und einmüthig nach Kräften dasselbe Ziel zu
verfolgen.

In der That, die polnische Tapferkeit unter den Fahnen Na¬
poleons wurde von demselben Gedanken entstammt, der Czartorsvki'S
Geduld und Ausdauer in Petersburg stählte. Als jedoch Fürst
Adam sah, wie seine Landsleute sich alle mit ihrem Vertrauen zu
Napoleon hinwandten, wollte er nicht zu sehr im Wiederspruch mit
ihren Wünschen stehen und zog sich vom russischen Ministerposten
zurück, blieb aber Curator des polnischen StudienwescnS. Indessen
täuschte der französische Kaiser die Hoffnungen der polnischen Pa¬
trioten, und zur Strafe dafür, wie für andere Eingebungen seines


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[0354] Bedingung, daß Adam Georg und dessen Bruder Konstantin als Geißeln nach Petersburg kamen. Dies geschah, und zwischen dem jungen Czartoryski und dem humanen 20jährigen Großfürsten Thronfolger Alexander knüpfte sich bald ein so inniges Freund¬ schaftsbündnis; an, daß Kaiser Paul argwöhnisch wurde und den Freund seines Sohnes mit einer Mission nach Sardinien beauf¬ tragte. Aber nach Paul's plötzlichem Tode berief Alexander den Jugendfreund sogleich zu sich und ernannte ihn bald zum Mi¬ nister des Auswärtigen und zugleich zum Kurator des Unterrichts¬ und Erziehungswesens in den polnischen Provinzen. Man kann sich denken, wie Czartoryski diese Stellung benützte. Er selbst sagte darüber dreißig Jahre später: Das Schicksal hat gewollt, daß ich den größten Theil meines Lebens in einer Zeit verbrachte, wo Po¬ len von der Karte Europas verschwunden war, und das Vater¬ land nur von dem Souverain der den größten seiner Ueberreste besaß, etwas erwarten konnte. Eben so wollte das Schicksal, daß der junge großherzige Fürst, dem ich diente, Polen aufrichtig liebte. Dieser Hauptzug im Charakter Alexander's hatte mir eine tieft und treue Anhänglichkeit an ihn eingeflößt. . . . Mein Ziel war, zu¬ gleich für Alexanders Ruhm und für die Wiedergeburt Polens zu wirken. Es wird in den Annalen der Geschichte ein bewunderns- werthes Bild für die Nachwelt sein, wie die Polen, während der langen Unterjochung ihres Vaterlandes, jeder vom Schicksal an¬ derswohin verschlagen, der eine an die Newa, der andere an die Seine, nicht aufhörten, von ihren verschiedensten, oft einander ent¬ gegengesetztesten Posten, und ohne mit einander in Verbindung zu stehen, unwillkührlich und einmüthig nach Kräften dasselbe Ziel zu verfolgen. In der That, die polnische Tapferkeit unter den Fahnen Na¬ poleons wurde von demselben Gedanken entstammt, der Czartorsvki'S Geduld und Ausdauer in Petersburg stählte. Als jedoch Fürst Adam sah, wie seine Landsleute sich alle mit ihrem Vertrauen zu Napoleon hinwandten, wollte er nicht zu sehr im Wiederspruch mit ihren Wünschen stehen und zog sich vom russischen Ministerposten zurück, blieb aber Curator des polnischen StudienwescnS. Indessen täuschte der französische Kaiser die Hoffnungen der polnischen Pa¬ trioten, und zur Strafe dafür, wie für andere Eingebungen seines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/354>, abgerufen am 02.09.2024.