Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

beiden; kein Mittel war ihm zu gering oder zu schlecht, um die
anarchischen Gelüste der altpolnischen Partei aufzustacheln; es ge¬
lang ihm, die Targowitzer Consöderation zu schmieden, und kaum
war dadurch das Land wieder in Brand 'gesetzt, als, auf Grund
dieser Unruhen, die zweite Theilung (1793) erfolgte. Darauf kam
ein kurzer, aber furchtbarer Kampf bis zur Schlacht bei Maczie-
jowicze, wo Kvsciuszko, von Wunden bedeckt, sein prophetisches: tuüs
j>"Imnao rufend, in die Hände der Nüssen fiel. Dreihundert Polen
kämpften damals noch im letzten Augenblick allein gegen die mos¬
kowitischen Bataillone vor dem Hause, wo Kosciuszko gefangen lag
und General Fersen's Stabsquartier war, und wichen nicht, bis
sie alle, die Brust von Bayonetten durchbohrt, in Reih und Glied
das Feld bedeckten*). Einige Monate darauf vollendeten die drei
Schutzmächte, welche die Integrität Polens garantirt, ihr
Werk durch die dritte und letzte Theilung des polnischen Reiches.

Man hat sich vielfach abgemüht, diesen himmelschreienden
Raub, diesen Beweis von der "Moral der Kabinette," wie es Her¬
der nannte, vor dem sittlichen Gefühle der Völker durch allerhand
künstliche Gründe, durch quasihöhere Standpunkte, Anschauungen,
Nothwendigkeiten :c. zu beschönigen. Man wollte die drei Mächte
als die natürlichen Erben, und als die nothgcdrungenen Ueberneh-
mer und Verwalter eines von selbst auseinanderfaltenden Reiches
darstellen, und hob fortwährend die politische Unfähigkeit der Polen
hervor. Solche Verdrehungen und Lügen haben sogar eine gewisse
Verbreitung erlangt. Aber diese jesuitischen Beschönigungen datiren
aus neuerer Zeit; die theilenden Mächte selbst haben ihrer Zeit
an diese künstlichen Gründe nicht im Entferntesten gedacht. Die
ftomme Maria Theresia z. B. hat (in ihrem Brief an Kaunitz)
die Schlechtigkeit des ganzen Treibens herzlich bekannt und mit
lütterer Neue im Voraus ihre Theilnahme an dem Raub angeklagt.
Der Philosophische "große" Friederich und die voltairisch gebildete
Parvcnue Katharina empfanden nicht einmal diese Gewissensmah¬
nung und sahen ihr Recht gradezu in ihrer Macht. Daß Polen



Siehe die interessante Schrift: "Meine Gefangenschaft in Petersburg"
von dem Dichter Niemcewicz, dem Freunde von Koscziuszko, (Deutsch von L.
Eichler. Leipzig, bei Thomas.)

beiden; kein Mittel war ihm zu gering oder zu schlecht, um die
anarchischen Gelüste der altpolnischen Partei aufzustacheln; es ge¬
lang ihm, die Targowitzer Consöderation zu schmieden, und kaum
war dadurch das Land wieder in Brand 'gesetzt, als, auf Grund
dieser Unruhen, die zweite Theilung (1793) erfolgte. Darauf kam
ein kurzer, aber furchtbarer Kampf bis zur Schlacht bei Maczie-
jowicze, wo Kvsciuszko, von Wunden bedeckt, sein prophetisches: tuüs
j>»Imnao rufend, in die Hände der Nüssen fiel. Dreihundert Polen
kämpften damals noch im letzten Augenblick allein gegen die mos¬
kowitischen Bataillone vor dem Hause, wo Kosciuszko gefangen lag
und General Fersen's Stabsquartier war, und wichen nicht, bis
sie alle, die Brust von Bayonetten durchbohrt, in Reih und Glied
das Feld bedeckten*). Einige Monate darauf vollendeten die drei
Schutzmächte, welche die Integrität Polens garantirt, ihr
Werk durch die dritte und letzte Theilung des polnischen Reiches.

Man hat sich vielfach abgemüht, diesen himmelschreienden
Raub, diesen Beweis von der „Moral der Kabinette," wie es Her¬
der nannte, vor dem sittlichen Gefühle der Völker durch allerhand
künstliche Gründe, durch quasihöhere Standpunkte, Anschauungen,
Nothwendigkeiten :c. zu beschönigen. Man wollte die drei Mächte
als die natürlichen Erben, und als die nothgcdrungenen Ueberneh-
mer und Verwalter eines von selbst auseinanderfaltenden Reiches
darstellen, und hob fortwährend die politische Unfähigkeit der Polen
hervor. Solche Verdrehungen und Lügen haben sogar eine gewisse
Verbreitung erlangt. Aber diese jesuitischen Beschönigungen datiren
aus neuerer Zeit; die theilenden Mächte selbst haben ihrer Zeit
an diese künstlichen Gründe nicht im Entferntesten gedacht. Die
ftomme Maria Theresia z. B. hat (in ihrem Brief an Kaunitz)
die Schlechtigkeit des ganzen Treibens herzlich bekannt und mit
lütterer Neue im Voraus ihre Theilnahme an dem Raub angeklagt.
Der Philosophische „große" Friederich und die voltairisch gebildete
Parvcnue Katharina empfanden nicht einmal diese Gewissensmah¬
nung und sahen ihr Recht gradezu in ihrer Macht. Daß Polen



Siehe die interessante Schrift: „Meine Gefangenschaft in Petersburg"
von dem Dichter Niemcewicz, dem Freunde von Koscziuszko, (Deutsch von L.
Eichler. Leipzig, bei Thomas.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182161"/>
          <p xml:id="ID_784" prev="#ID_783"> beiden; kein Mittel war ihm zu gering oder zu schlecht, um die<lb/>
anarchischen Gelüste der altpolnischen Partei aufzustacheln; es ge¬<lb/>
lang ihm, die Targowitzer Consöderation zu schmieden, und kaum<lb/>
war dadurch das Land wieder in Brand 'gesetzt, als, auf Grund<lb/>
dieser Unruhen, die zweite Theilung (1793) erfolgte. Darauf kam<lb/>
ein kurzer, aber furchtbarer Kampf bis zur Schlacht bei Maczie-<lb/>
jowicze, wo Kvsciuszko, von Wunden bedeckt, sein prophetisches: tuüs<lb/>
j&gt;»Imnao rufend, in die Hände der Nüssen fiel. Dreihundert Polen<lb/>
kämpften damals noch im letzten Augenblick allein gegen die mos¬<lb/>
kowitischen Bataillone vor dem Hause, wo Kosciuszko gefangen lag<lb/>
und General Fersen's Stabsquartier war, und wichen nicht, bis<lb/>
sie alle, die Brust von Bayonetten durchbohrt, in Reih und Glied<lb/>
das Feld bedeckten*). Einige Monate darauf vollendeten die drei<lb/>
Schutzmächte, welche die Integrität Polens garantirt, ihr<lb/>
Werk durch die dritte und letzte Theilung des polnischen Reiches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_785" next="#ID_786"> Man hat sich vielfach abgemüht, diesen himmelschreienden<lb/>
Raub, diesen Beweis von der &#x201E;Moral der Kabinette," wie es Her¬<lb/>
der nannte, vor dem sittlichen Gefühle der Völker durch allerhand<lb/>
künstliche Gründe, durch quasihöhere Standpunkte, Anschauungen,<lb/>
Nothwendigkeiten :c. zu beschönigen. Man wollte die drei Mächte<lb/>
als die natürlichen Erben, und als die nothgcdrungenen Ueberneh-<lb/>
mer und Verwalter eines von selbst auseinanderfaltenden Reiches<lb/>
darstellen, und hob fortwährend die politische Unfähigkeit der Polen<lb/>
hervor. Solche Verdrehungen und Lügen haben sogar eine gewisse<lb/>
Verbreitung erlangt. Aber diese jesuitischen Beschönigungen datiren<lb/>
aus neuerer Zeit; die theilenden Mächte selbst haben ihrer Zeit<lb/>
an diese künstlichen Gründe nicht im Entferntesten gedacht. Die<lb/>
ftomme Maria Theresia z. B. hat (in ihrem Brief an Kaunitz)<lb/>
die Schlechtigkeit des ganzen Treibens herzlich bekannt und mit<lb/>
lütterer Neue im Voraus ihre Theilnahme an dem Raub angeklagt.<lb/>
Der Philosophische &#x201E;große" Friederich und die voltairisch gebildete<lb/>
Parvcnue Katharina empfanden nicht einmal diese Gewissensmah¬<lb/>
nung und sahen ihr Recht gradezu in ihrer Macht.  Daß Polen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_12" place="foot"> Siehe die interessante Schrift: &#x201E;Meine Gefangenschaft in Petersburg"<lb/>
von dem Dichter Niemcewicz, dem Freunde von Koscziuszko, (Deutsch von L.<lb/>
Eichler. Leipzig, bei Thomas.)</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] beiden; kein Mittel war ihm zu gering oder zu schlecht, um die anarchischen Gelüste der altpolnischen Partei aufzustacheln; es ge¬ lang ihm, die Targowitzer Consöderation zu schmieden, und kaum war dadurch das Land wieder in Brand 'gesetzt, als, auf Grund dieser Unruhen, die zweite Theilung (1793) erfolgte. Darauf kam ein kurzer, aber furchtbarer Kampf bis zur Schlacht bei Maczie- jowicze, wo Kvsciuszko, von Wunden bedeckt, sein prophetisches: tuüs j>»Imnao rufend, in die Hände der Nüssen fiel. Dreihundert Polen kämpften damals noch im letzten Augenblick allein gegen die mos¬ kowitischen Bataillone vor dem Hause, wo Kosciuszko gefangen lag und General Fersen's Stabsquartier war, und wichen nicht, bis sie alle, die Brust von Bayonetten durchbohrt, in Reih und Glied das Feld bedeckten*). Einige Monate darauf vollendeten die drei Schutzmächte, welche die Integrität Polens garantirt, ihr Werk durch die dritte und letzte Theilung des polnischen Reiches. Man hat sich vielfach abgemüht, diesen himmelschreienden Raub, diesen Beweis von der „Moral der Kabinette," wie es Her¬ der nannte, vor dem sittlichen Gefühle der Völker durch allerhand künstliche Gründe, durch quasihöhere Standpunkte, Anschauungen, Nothwendigkeiten :c. zu beschönigen. Man wollte die drei Mächte als die natürlichen Erben, und als die nothgcdrungenen Ueberneh- mer und Verwalter eines von selbst auseinanderfaltenden Reiches darstellen, und hob fortwährend die politische Unfähigkeit der Polen hervor. Solche Verdrehungen und Lügen haben sogar eine gewisse Verbreitung erlangt. Aber diese jesuitischen Beschönigungen datiren aus neuerer Zeit; die theilenden Mächte selbst haben ihrer Zeit an diese künstlichen Gründe nicht im Entferntesten gedacht. Die ftomme Maria Theresia z. B. hat (in ihrem Brief an Kaunitz) die Schlechtigkeit des ganzen Treibens herzlich bekannt und mit lütterer Neue im Voraus ihre Theilnahme an dem Raub angeklagt. Der Philosophische „große" Friederich und die voltairisch gebildete Parvcnue Katharina empfanden nicht einmal diese Gewissensmah¬ nung und sahen ihr Recht gradezu in ihrer Macht. Daß Polen Siehe die interessante Schrift: „Meine Gefangenschaft in Petersburg" von dem Dichter Niemcewicz, dem Freunde von Koscziuszko, (Deutsch von L. Eichler. Leipzig, bei Thomas.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/351>, abgerufen am 02.09.2024.