Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.sein lüxzi-um volo die Wahl eines Königs hindern konnte, wenn Dies war der Zustand Polens, als die Brüder Czartoryski, sein lüxzi-um volo die Wahl eines Königs hindern konnte, wenn Dies war der Zustand Polens, als die Brüder Czartoryski, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182158"/> <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> sein lüxzi-um volo die Wahl eines Königs hindern konnte, wenn<lb/> ihm dessen Nase mißfiel. Das war nicht Aristokratie, nicht einmal<lb/> Oligarchie, sondern Herrschaft von 100,000 souverainen, mit ei¬<lb/> nem Worte Anarchie zu nennen. Das Allerschönste aber war, daß<lb/> die drei großen Nachbarn die Integrität Polens garantirten!<lb/> Man weiß, was diese diplomatische Phrase zu sagen hat. Die polnischen<lb/> Parteien waren von da an blos blinde Werkzeuge der fremden<lb/> Habsucht und vergaßen die Gefahr des Vaterlandes über dem üp¬<lb/> pigen Mißbrauch einer scheinbaren Freiheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_778" next="#ID_779"> Dies war der Zustand Polens, als die Brüder Czartoryski,<lb/> Michael, Großkanzler von Lithauen, und August, russischer Palatin,<lb/> als politische Reformatoren auftraten. Sie beschlossen das iibvrum<lb/> veto abzuschaffen, eine nationale Dynastieund die Erblichkeit der Krone<lb/> einzuführen, die königliche Macht zu erweitern, die der Aristokratie zu be¬<lb/> schränken, die Unabhängigkeit der Gerichte zu befestigen, den Volksunter¬<lb/> richt und den Gewcrbfleißzu begünstigen. Klügeres konnte freilich nicht<lb/> unternommen werden, wenn es nur mit nationalen Mitteln ausgeführt<lb/> wurde. Die Czartoryskis wußten, daß sie von den ersten polnischen<lb/> Familien den blindesten Widerstand erfahren würden, und da die Frem¬<lb/> deneinmischung längst gebräuchlich war, so schraken auch sie nicht vor<lb/> dem Gedanken zurück, dcnBock zum Gärtner und den Wolf zum Hüter<lb/> zu machen ; namentlich da der Wolf gleich in der Nähe wohnte und<lb/> ein dienstwilliger Nachbar war. Sie warfen sich Rußland in<lb/> die Arme, welches bereits die Wahl des sächsischen August durch¬<lb/> gesetzt hatte, und gleich nach August III. Tode stellten sie ihren<lb/> Neffen, den jungen Stanislaus Poniatowski, Katharina's früheren<lb/> Geliebten, als Throncanditaten auf. Der schöne junge Mann ward<lb/> von der Czarin begünstigt, weil sie ihn als ihre Marionette zu<lb/> lenken hoffte; während die beiden Oheime desselben seine Nichtigkeit<lb/> benützen wollten, um statt seiner zu herrschen. Der polnische Adel<lb/> sträubte sich gegen die Creatur Catharina'ö, und die Czartoryskis<lb/> riefen eine russische Armee ins Land. Da zum ersten Mal sah Po¬<lb/> len mit Zorn und böser Ahnung russische Bajonette auf seinem<lb/> Wahlfelde erscheinen, während die beiden strengen Greise auf die<lb/> Wirksamkeit ihres gefährlichen Mittels sich verließen und im Be¬<lb/> wußtsein ihrer guten Absicht den Muth und die Kraft fanden, dem<lb/> öffentlichen Unwillen zu trotzen. Ihr Neffe wurde König und un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0348]
sein lüxzi-um volo die Wahl eines Königs hindern konnte, wenn
ihm dessen Nase mißfiel. Das war nicht Aristokratie, nicht einmal
Oligarchie, sondern Herrschaft von 100,000 souverainen, mit ei¬
nem Worte Anarchie zu nennen. Das Allerschönste aber war, daß
die drei großen Nachbarn die Integrität Polens garantirten!
Man weiß, was diese diplomatische Phrase zu sagen hat. Die polnischen
Parteien waren von da an blos blinde Werkzeuge der fremden
Habsucht und vergaßen die Gefahr des Vaterlandes über dem üp¬
pigen Mißbrauch einer scheinbaren Freiheit.
Dies war der Zustand Polens, als die Brüder Czartoryski,
Michael, Großkanzler von Lithauen, und August, russischer Palatin,
als politische Reformatoren auftraten. Sie beschlossen das iibvrum
veto abzuschaffen, eine nationale Dynastieund die Erblichkeit der Krone
einzuführen, die königliche Macht zu erweitern, die der Aristokratie zu be¬
schränken, die Unabhängigkeit der Gerichte zu befestigen, den Volksunter¬
richt und den Gewcrbfleißzu begünstigen. Klügeres konnte freilich nicht
unternommen werden, wenn es nur mit nationalen Mitteln ausgeführt
wurde. Die Czartoryskis wußten, daß sie von den ersten polnischen
Familien den blindesten Widerstand erfahren würden, und da die Frem¬
deneinmischung längst gebräuchlich war, so schraken auch sie nicht vor
dem Gedanken zurück, dcnBock zum Gärtner und den Wolf zum Hüter
zu machen ; namentlich da der Wolf gleich in der Nähe wohnte und
ein dienstwilliger Nachbar war. Sie warfen sich Rußland in
die Arme, welches bereits die Wahl des sächsischen August durch¬
gesetzt hatte, und gleich nach August III. Tode stellten sie ihren
Neffen, den jungen Stanislaus Poniatowski, Katharina's früheren
Geliebten, als Throncanditaten auf. Der schöne junge Mann ward
von der Czarin begünstigt, weil sie ihn als ihre Marionette zu
lenken hoffte; während die beiden Oheime desselben seine Nichtigkeit
benützen wollten, um statt seiner zu herrschen. Der polnische Adel
sträubte sich gegen die Creatur Catharina'ö, und die Czartoryskis
riefen eine russische Armee ins Land. Da zum ersten Mal sah Po¬
len mit Zorn und böser Ahnung russische Bajonette auf seinem
Wahlfelde erscheinen, während die beiden strengen Greise auf die
Wirksamkeit ihres gefährlichen Mittels sich verließen und im Be¬
wußtsein ihrer guten Absicht den Muth und die Kraft fanden, dem
öffentlichen Unwillen zu trotzen. Ihr Neffe wurde König und un-
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