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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Die Veranlassung dieses festlichen Zusammenströmens der Volksmas-
sen im kalten Jänner gab das feierliche Leichenbegräbniß der in dem
Alter von 83 Jahren verstorbenen Witwe des berühmten Schäbve-
rarmajors Speckbacher, welche lange Jahre hindurch in dem friedlichen
Bergstädtchen wohnte und seit dem Tode ihres wackern Gatten, der
im Jahre 1820 starb, eine Staatspension von 500 Gulden (5. M.
bezog. Die würdige Matrone hatte in der Zeit der Bedrängniß alle
Gefahren der Insurgenten getheilt und stand gleich einer beherzter
Spartanerin ihrem tapfern Mann zur Seite in Kampf und Noth.
In dieser alten Frau verehrte das Volk, das trotz aller bitteren Täu¬
schungen noch immer mit wehmüthiger Begeisterung an den Erinne¬
rungen des ruhmvollen Nationalkampfes hangt, den Genius jener
verklungen?" Tage, die Velleda seiner schmerzlich erhobenen Vergan¬
genheit! Man kann sich den Eindruck denken, den die Kunde von
dem Hintritt der Matrone machte, deren Persönlichkeit mit dem Ruhm
und dem Streben des Volkes so innig verwachsen ist, daß mit der
Auflösung der einen auch die andern zu verschwinden scheinen. Das
harmlose Volk in den Bergen liest keine Bücher und kennt die histo¬
rischen Verherrlichungen nicht, womit die deutsche Presse es alljährlich
in hübschen Schriften mit prächtigen Stahlstichen oder schmucken Holz¬
schnitten beschenkt, es kennt seine Vergangenheit blos aus den Kopf¬
narben des alten Vaters der immer so kläglich wimmert, wenn der
Eiswind über die Firmen streicht und die verharrschte Wunde zu
schmerzen anfängt, aus dem grünen Grabeshügel, der die Leiche des
durch eine bairische Flintenkugel getödteten Bruders deckt und aus
den verkohlten, schwarzen Ruinen, die noch hie und da, selbst in dem
lebendigen Schwätz, aus der Zeit der Mordbrennerei unter Wrede
und Lefebre zu sehen sind. Der Tod der Frau Speckbacher ist für
das historische Gedächtniß des Bergvolks derselbe Verlust, als der Un¬
tergang der verloren gegangenen Bücher der römischen Geschichte des
Livius für den Gelehrten; die Verstorbene war für das Landvolk in
Tvrol ein recht lebendig geschriebenes Kapitel aus der Geschichte des
Jahres 1809 und Illustration dazu und nun kommt das Schicksal
und reißt mit kalter Hand Kapitel und Illustration aus der histori¬
schen Landesbibel! Die Art, wie das Leichenbegängniß gefeiert ward,
entsprach der Bedeutung der Verblichenen für das Land. Außer den
langen Reihen der Bürger und Bauern, erblickte man auch Beamten
und das Offizierskorps des dort garnisonirenden ungarischen Infante¬
rieregiments Erzherzog Ferdinand Esta und die Knaben des k. k. Er-
ziehungshauscs vom Tyroler Jägerregiment folgten als Inbegriff der
militärischen Jugend, der muthigen Streiterin zum Grabe. Es war
ein echtes Volksfest, eine ungeheuchelte Trauer, kein offizielles Ge¬
pränge geleitete die edle Patriotin zur letzten Ruhestätte. Möge ihr
die Erde leichter sein, als ihr prüsungsvolles Dasein.


Die Veranlassung dieses festlichen Zusammenströmens der Volksmas-
sen im kalten Jänner gab das feierliche Leichenbegräbniß der in dem
Alter von 83 Jahren verstorbenen Witwe des berühmten Schäbve-
rarmajors Speckbacher, welche lange Jahre hindurch in dem friedlichen
Bergstädtchen wohnte und seit dem Tode ihres wackern Gatten, der
im Jahre 1820 starb, eine Staatspension von 500 Gulden (5. M.
bezog. Die würdige Matrone hatte in der Zeit der Bedrängniß alle
Gefahren der Insurgenten getheilt und stand gleich einer beherzter
Spartanerin ihrem tapfern Mann zur Seite in Kampf und Noth.
In dieser alten Frau verehrte das Volk, das trotz aller bitteren Täu¬
schungen noch immer mit wehmüthiger Begeisterung an den Erinne¬
rungen des ruhmvollen Nationalkampfes hangt, den Genius jener
verklungen?» Tage, die Velleda seiner schmerzlich erhobenen Vergan¬
genheit! Man kann sich den Eindruck denken, den die Kunde von
dem Hintritt der Matrone machte, deren Persönlichkeit mit dem Ruhm
und dem Streben des Volkes so innig verwachsen ist, daß mit der
Auflösung der einen auch die andern zu verschwinden scheinen. Das
harmlose Volk in den Bergen liest keine Bücher und kennt die histo¬
rischen Verherrlichungen nicht, womit die deutsche Presse es alljährlich
in hübschen Schriften mit prächtigen Stahlstichen oder schmucken Holz¬
schnitten beschenkt, es kennt seine Vergangenheit blos aus den Kopf¬
narben des alten Vaters der immer so kläglich wimmert, wenn der
Eiswind über die Firmen streicht und die verharrschte Wunde zu
schmerzen anfängt, aus dem grünen Grabeshügel, der die Leiche des
durch eine bairische Flintenkugel getödteten Bruders deckt und aus
den verkohlten, schwarzen Ruinen, die noch hie und da, selbst in dem
lebendigen Schwätz, aus der Zeit der Mordbrennerei unter Wrede
und Lefebre zu sehen sind. Der Tod der Frau Speckbacher ist für
das historische Gedächtniß des Bergvolks derselbe Verlust, als der Un¬
tergang der verloren gegangenen Bücher der römischen Geschichte des
Livius für den Gelehrten; die Verstorbene war für das Landvolk in
Tvrol ein recht lebendig geschriebenes Kapitel aus der Geschichte des
Jahres 1809 und Illustration dazu und nun kommt das Schicksal
und reißt mit kalter Hand Kapitel und Illustration aus der histori¬
schen Landesbibel! Die Art, wie das Leichenbegängniß gefeiert ward,
entsprach der Bedeutung der Verblichenen für das Land. Außer den
langen Reihen der Bürger und Bauern, erblickte man auch Beamten
und das Offizierskorps des dort garnisonirenden ungarischen Infante¬
rieregiments Erzherzog Ferdinand Esta und die Knaben des k. k. Er-
ziehungshauscs vom Tyroler Jägerregiment folgten als Inbegriff der
militärischen Jugend, der muthigen Streiterin zum Grabe. Es war
ein echtes Volksfest, eine ungeheuchelte Trauer, kein offizielles Ge¬
pränge geleitete die edle Patriotin zur letzten Ruhestätte. Möge ihr
die Erde leichter sein, als ihr prüsungsvolles Dasein.


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[0334] Die Veranlassung dieses festlichen Zusammenströmens der Volksmas- sen im kalten Jänner gab das feierliche Leichenbegräbniß der in dem Alter von 83 Jahren verstorbenen Witwe des berühmten Schäbve- rarmajors Speckbacher, welche lange Jahre hindurch in dem friedlichen Bergstädtchen wohnte und seit dem Tode ihres wackern Gatten, der im Jahre 1820 starb, eine Staatspension von 500 Gulden (5. M. bezog. Die würdige Matrone hatte in der Zeit der Bedrängniß alle Gefahren der Insurgenten getheilt und stand gleich einer beherzter Spartanerin ihrem tapfern Mann zur Seite in Kampf und Noth. In dieser alten Frau verehrte das Volk, das trotz aller bitteren Täu¬ schungen noch immer mit wehmüthiger Begeisterung an den Erinne¬ rungen des ruhmvollen Nationalkampfes hangt, den Genius jener verklungen?» Tage, die Velleda seiner schmerzlich erhobenen Vergan¬ genheit! Man kann sich den Eindruck denken, den die Kunde von dem Hintritt der Matrone machte, deren Persönlichkeit mit dem Ruhm und dem Streben des Volkes so innig verwachsen ist, daß mit der Auflösung der einen auch die andern zu verschwinden scheinen. Das harmlose Volk in den Bergen liest keine Bücher und kennt die histo¬ rischen Verherrlichungen nicht, womit die deutsche Presse es alljährlich in hübschen Schriften mit prächtigen Stahlstichen oder schmucken Holz¬ schnitten beschenkt, es kennt seine Vergangenheit blos aus den Kopf¬ narben des alten Vaters der immer so kläglich wimmert, wenn der Eiswind über die Firmen streicht und die verharrschte Wunde zu schmerzen anfängt, aus dem grünen Grabeshügel, der die Leiche des durch eine bairische Flintenkugel getödteten Bruders deckt und aus den verkohlten, schwarzen Ruinen, die noch hie und da, selbst in dem lebendigen Schwätz, aus der Zeit der Mordbrennerei unter Wrede und Lefebre zu sehen sind. Der Tod der Frau Speckbacher ist für das historische Gedächtniß des Bergvolks derselbe Verlust, als der Un¬ tergang der verloren gegangenen Bücher der römischen Geschichte des Livius für den Gelehrten; die Verstorbene war für das Landvolk in Tvrol ein recht lebendig geschriebenes Kapitel aus der Geschichte des Jahres 1809 und Illustration dazu und nun kommt das Schicksal und reißt mit kalter Hand Kapitel und Illustration aus der histori¬ schen Landesbibel! Die Art, wie das Leichenbegängniß gefeiert ward, entsprach der Bedeutung der Verblichenen für das Land. Außer den langen Reihen der Bürger und Bauern, erblickte man auch Beamten und das Offizierskorps des dort garnisonirenden ungarischen Infante¬ rieregiments Erzherzog Ferdinand Esta und die Knaben des k. k. Er- ziehungshauscs vom Tyroler Jägerregiment folgten als Inbegriff der militärischen Jugend, der muthigen Streiterin zum Grabe. Es war ein echtes Volksfest, eine ungeheuchelte Trauer, kein offizielles Ge¬ pränge geleitete die edle Patriotin zur letzten Ruhestätte. Möge ihr die Erde leichter sein, als ihr prüsungsvolles Dasein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/334>, abgerufen am 23.12.2024.