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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Witterlandes erregen, denn sie führt uns in jene unglückseligste Periode
der böhmischen Historie, wo die Nationalität den Todesstoß erhielt
und der geistige Horizont des Landes für ewig verfinstert wurde.
Die schmucklose Erzählung des wackern Rosacius von dem Todesgange
der herrlichsten Männer des Volkes macht das Herz des Lesers krank
vom Schmerz der heiligsten Wehmuth, während die von moder¬
ner Feder geschriebene Einleitung nicht geeignet sein dürste, diese
Stimmung zu erheitern und einen Balsam zu gießen in die Wun¬
den eines patriotischen Herzens.

Der Proceß einiger Cavaliere, worunter der Fürst Windischratz als
Hauptbetheiligter, gegen den Fiscus in Betreff der Wallenstein'schen Erb¬
schaft, ist bekanntlich nun doch zu Gunsten des Staates entschieden
worden; und es war auch nicht anders zu erwarten denn zu wel¬
chen Weitläufigkeiten, zu welcher totalen Umwälzung des gesammten
aristokratischen Besitzstandes in Böhmen hätte nicht eine Entscheidung
zu Gunsten der Erben führen müssen! Die Entwickelungsgeschichte
dieser Rechtsfrage ist höchst interessant und verdiente wirklich gründlich
und unparteiisch dargestellt zu werden, als ein kostbarer Beitrag zur
Geschichte der Hochverrathsprocesse und politischen Verbrechen. Im
zweiten Decenium des laufenden Jahrhunderts wandten sich einige
mit dem Geschlecht des Wallensteiners verschwägerte Adelige mit der
Bitte an den damaligen Kaiser, auf Grund der neuesten Geschichts¬
forschungen, welche das Andenken des Herzogs von Friedland von der
Schuld des Majestätsverbrechens frei sprechen, den Gemordeten
durch eine großmüthige Erklärung von dem Brandmal szu reinigen,
das die Tradition ihm aufgedrückt hatte. Der Kaiser faßte dieses
Anliegen lediglich vom Standpunkte der Familienehre auf und bewil¬
ligte diese Genugthuung, als ein leicht zu gewährendes Gnadenmittel,
wodurch jede bittere Erinnerung ausgelöscht würde, ohne der Gegen¬
wart irgend etwas zu vergeben. Doch kaum war dieser Act gesche¬
hen, als die Verwandten mit den juristischen Eonsequenzen desselben
hervortraten, und die Staatsregierung in keine geringe Verlegenheit
setzten. Nach den vorausgegangenen Prämissen konnte die Regierung
nicht anders, als die Proceßfähigkeit der Sache anerkennen, und so
hat denn diese zu einer publicistischen Wichtigkeit erwachsene Rechts¬
frage alle Instanzen durchgemacht, bis sie zuletzt im Sinne des
Fiscus ihre Erledigung fand. Unter diesen Umstanden mag es nicht
ohne Interresse sein zu erfahren, daß soeben von dem mährisch-stän¬
dischen Bibliothekar Bolczek in der Bücherei zu Pirnitz mehrere Brief¬
schaften von der Hand des Friedländers entdeckt worden sind, welche
die Person des merkwürdigen Mannes in einem neuen, aufschlußrei¬
chen Lichte erscheinen lassen.

Zuletzt noch ein Beitrag zur Charakteristik unserer inneren Zu¬
stände und der mannigfachen Gelüste, die sich im Verborgenen bewegen


Witterlandes erregen, denn sie führt uns in jene unglückseligste Periode
der böhmischen Historie, wo die Nationalität den Todesstoß erhielt
und der geistige Horizont des Landes für ewig verfinstert wurde.
Die schmucklose Erzählung des wackern Rosacius von dem Todesgange
der herrlichsten Männer des Volkes macht das Herz des Lesers krank
vom Schmerz der heiligsten Wehmuth, während die von moder¬
ner Feder geschriebene Einleitung nicht geeignet sein dürste, diese
Stimmung zu erheitern und einen Balsam zu gießen in die Wun¬
den eines patriotischen Herzens.

Der Proceß einiger Cavaliere, worunter der Fürst Windischratz als
Hauptbetheiligter, gegen den Fiscus in Betreff der Wallenstein'schen Erb¬
schaft, ist bekanntlich nun doch zu Gunsten des Staates entschieden
worden; und es war auch nicht anders zu erwarten denn zu wel¬
chen Weitläufigkeiten, zu welcher totalen Umwälzung des gesammten
aristokratischen Besitzstandes in Böhmen hätte nicht eine Entscheidung
zu Gunsten der Erben führen müssen! Die Entwickelungsgeschichte
dieser Rechtsfrage ist höchst interessant und verdiente wirklich gründlich
und unparteiisch dargestellt zu werden, als ein kostbarer Beitrag zur
Geschichte der Hochverrathsprocesse und politischen Verbrechen. Im
zweiten Decenium des laufenden Jahrhunderts wandten sich einige
mit dem Geschlecht des Wallensteiners verschwägerte Adelige mit der
Bitte an den damaligen Kaiser, auf Grund der neuesten Geschichts¬
forschungen, welche das Andenken des Herzogs von Friedland von der
Schuld des Majestätsverbrechens frei sprechen, den Gemordeten
durch eine großmüthige Erklärung von dem Brandmal szu reinigen,
das die Tradition ihm aufgedrückt hatte. Der Kaiser faßte dieses
Anliegen lediglich vom Standpunkte der Familienehre auf und bewil¬
ligte diese Genugthuung, als ein leicht zu gewährendes Gnadenmittel,
wodurch jede bittere Erinnerung ausgelöscht würde, ohne der Gegen¬
wart irgend etwas zu vergeben. Doch kaum war dieser Act gesche¬
hen, als die Verwandten mit den juristischen Eonsequenzen desselben
hervortraten, und die Staatsregierung in keine geringe Verlegenheit
setzten. Nach den vorausgegangenen Prämissen konnte die Regierung
nicht anders, als die Proceßfähigkeit der Sache anerkennen, und so
hat denn diese zu einer publicistischen Wichtigkeit erwachsene Rechts¬
frage alle Instanzen durchgemacht, bis sie zuletzt im Sinne des
Fiscus ihre Erledigung fand. Unter diesen Umstanden mag es nicht
ohne Interresse sein zu erfahren, daß soeben von dem mährisch-stän¬
dischen Bibliothekar Bolczek in der Bücherei zu Pirnitz mehrere Brief¬
schaften von der Hand des Friedländers entdeckt worden sind, welche
die Person des merkwürdigen Mannes in einem neuen, aufschlußrei¬
chen Lichte erscheinen lassen.

Zuletzt noch ein Beitrag zur Charakteristik unserer inneren Zu¬
stände und der mannigfachen Gelüste, die sich im Verborgenen bewegen


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[0332] Witterlandes erregen, denn sie führt uns in jene unglückseligste Periode der böhmischen Historie, wo die Nationalität den Todesstoß erhielt und der geistige Horizont des Landes für ewig verfinstert wurde. Die schmucklose Erzählung des wackern Rosacius von dem Todesgange der herrlichsten Männer des Volkes macht das Herz des Lesers krank vom Schmerz der heiligsten Wehmuth, während die von moder¬ ner Feder geschriebene Einleitung nicht geeignet sein dürste, diese Stimmung zu erheitern und einen Balsam zu gießen in die Wun¬ den eines patriotischen Herzens. Der Proceß einiger Cavaliere, worunter der Fürst Windischratz als Hauptbetheiligter, gegen den Fiscus in Betreff der Wallenstein'schen Erb¬ schaft, ist bekanntlich nun doch zu Gunsten des Staates entschieden worden; und es war auch nicht anders zu erwarten denn zu wel¬ chen Weitläufigkeiten, zu welcher totalen Umwälzung des gesammten aristokratischen Besitzstandes in Böhmen hätte nicht eine Entscheidung zu Gunsten der Erben führen müssen! Die Entwickelungsgeschichte dieser Rechtsfrage ist höchst interessant und verdiente wirklich gründlich und unparteiisch dargestellt zu werden, als ein kostbarer Beitrag zur Geschichte der Hochverrathsprocesse und politischen Verbrechen. Im zweiten Decenium des laufenden Jahrhunderts wandten sich einige mit dem Geschlecht des Wallensteiners verschwägerte Adelige mit der Bitte an den damaligen Kaiser, auf Grund der neuesten Geschichts¬ forschungen, welche das Andenken des Herzogs von Friedland von der Schuld des Majestätsverbrechens frei sprechen, den Gemordeten durch eine großmüthige Erklärung von dem Brandmal szu reinigen, das die Tradition ihm aufgedrückt hatte. Der Kaiser faßte dieses Anliegen lediglich vom Standpunkte der Familienehre auf und bewil¬ ligte diese Genugthuung, als ein leicht zu gewährendes Gnadenmittel, wodurch jede bittere Erinnerung ausgelöscht würde, ohne der Gegen¬ wart irgend etwas zu vergeben. Doch kaum war dieser Act gesche¬ hen, als die Verwandten mit den juristischen Eonsequenzen desselben hervortraten, und die Staatsregierung in keine geringe Verlegenheit setzten. Nach den vorausgegangenen Prämissen konnte die Regierung nicht anders, als die Proceßfähigkeit der Sache anerkennen, und so hat denn diese zu einer publicistischen Wichtigkeit erwachsene Rechts¬ frage alle Instanzen durchgemacht, bis sie zuletzt im Sinne des Fiscus ihre Erledigung fand. Unter diesen Umstanden mag es nicht ohne Interresse sein zu erfahren, daß soeben von dem mährisch-stän¬ dischen Bibliothekar Bolczek in der Bücherei zu Pirnitz mehrere Brief¬ schaften von der Hand des Friedländers entdeckt worden sind, welche die Person des merkwürdigen Mannes in einem neuen, aufschlußrei¬ chen Lichte erscheinen lassen. Zuletzt noch ein Beitrag zur Charakteristik unserer inneren Zu¬ stände und der mannigfachen Gelüste, die sich im Verborgenen bewegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/332>, abgerufen am 23.12.2024.