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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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möglich in dem Blinden- und Taubstummeninstitut einzuführen; die
Befähigung des Blinden für Leibesübungen ist außer allem Zweifel
und die gymnastischen Künste, die in der Blindenanstalt zu Paris
stattünden, liefern den praktischen Beweis von der Möglichkeit, auch
die lichtlosen Unglücklichen an einer Sache Theil nehmen zu lassen,
welche bei der ängstlichen Langsamkeit ihrer sonstigen Lebensweise, welche
nothwendig eine physische Erschlaffung herbeiführen muß, doppelt nütz¬
lich und dringend erscheint. Nicht minder förderlich ist das gymnasti¬
sche Element für den Taubstummen, bei dem obenein die aus der
Blindheit hergeleiteten Bedenklichkeiten gänzlich wegfallen, indem die
geringe Anstrengung der Lunge bei Sprachlosen dieses wichtige Lcbens-
organ in der Regel sehr bald verkümmern läßt, so daß ein beschleu¬
nigter Athmungsproceß in Folge physischer Anstrengung höchst gesund
erscheint und nicht wenig vortheilhaft auf das leibliche Wohlbefinden
taubstummer Zöglinge einzuwirken im Stande wäre. Hat doch die
Wahrnehmung der schädlichen Folgen der geringen Lungenthätigkeit
schon die Lippensprache bei den Taubstummen in Aufnahme gebracht,
womit wohl weniger ein Medium allgemeiner Mittheilung, als ein
Ersatz für jene wohlthätige Wirkung geboten werden sollte, die die
Sprachthätigkeit auf die Lunge des Menschen überhaupt ausübt.

Man beschäftigt sich hier seit längerer Zeit mit der Errichtung
eines Censurcollegiums, das die Stelle des in Preußen geschaffenen
Obercensurgerichtes vertreten soll und als dessen Präsidenten man den
Hofrath Doctor Hurter bezeichnet, welcher das vollste Vertrauen
des Sraatskanzlers besitzt. Doch macht Doctor Hurter die An¬
nahme der ihm zugedachten Präsidentenstelle von der Bedingniß ab¬
hängig, daß das zu errichtende Censurcollegium als die oberste
Behörde in Preßangelegcnheiten aufgestellt werde und in keinerlei Ab¬
hängigkeit von der Polizeihofstelle sei. Durch diese kategorische Be¬
dingung ist die ganze Sache schwierig geworden, denn von Seiten des
Polizeipräsidenten würde ohne Zweifel die Lostrennung des Censur-
wescns, womit er bis jetzt betraut war, als eine verletzende Handlung,
als ein Beweis vor Unzufriedenheit betrachtet werden, deren sich die
Regierung nicht schuldig machen will. Unsere Prcßzustände haben
eine so unglückliche Wendung genommen, daß man jede Neue¬
rung willkommen heißen muß; mit Beginn des Jahres ist dem
adeligen und kaufmännischen Casino, dem juridisch-politischen Lesever¬
ein und mehreren anderen Privatgesellschaften der Fortbezug einer be¬
deutenden Anzahl, unter deutscher Censur erscheinender Blätter unter¬
sagt worden, worunter der Herold, die Deutsche Allgemeine, die Bre¬
mer und Weserzeitung,, ja sogar die Kölnische Zeitung und die --
unschuldige Europa!

, Die berüchtigten Angelegenheiten der ungarischen Centralbahn
fangen an immer verwickelter zu werden und es zieht sich ein furcht-


möglich in dem Blinden- und Taubstummeninstitut einzuführen; die
Befähigung des Blinden für Leibesübungen ist außer allem Zweifel
und die gymnastischen Künste, die in der Blindenanstalt zu Paris
stattünden, liefern den praktischen Beweis von der Möglichkeit, auch
die lichtlosen Unglücklichen an einer Sache Theil nehmen zu lassen,
welche bei der ängstlichen Langsamkeit ihrer sonstigen Lebensweise, welche
nothwendig eine physische Erschlaffung herbeiführen muß, doppelt nütz¬
lich und dringend erscheint. Nicht minder förderlich ist das gymnasti¬
sche Element für den Taubstummen, bei dem obenein die aus der
Blindheit hergeleiteten Bedenklichkeiten gänzlich wegfallen, indem die
geringe Anstrengung der Lunge bei Sprachlosen dieses wichtige Lcbens-
organ in der Regel sehr bald verkümmern läßt, so daß ein beschleu¬
nigter Athmungsproceß in Folge physischer Anstrengung höchst gesund
erscheint und nicht wenig vortheilhaft auf das leibliche Wohlbefinden
taubstummer Zöglinge einzuwirken im Stande wäre. Hat doch die
Wahrnehmung der schädlichen Folgen der geringen Lungenthätigkeit
schon die Lippensprache bei den Taubstummen in Aufnahme gebracht,
womit wohl weniger ein Medium allgemeiner Mittheilung, als ein
Ersatz für jene wohlthätige Wirkung geboten werden sollte, die die
Sprachthätigkeit auf die Lunge des Menschen überhaupt ausübt.

Man beschäftigt sich hier seit längerer Zeit mit der Errichtung
eines Censurcollegiums, das die Stelle des in Preußen geschaffenen
Obercensurgerichtes vertreten soll und als dessen Präsidenten man den
Hofrath Doctor Hurter bezeichnet, welcher das vollste Vertrauen
des Sraatskanzlers besitzt. Doch macht Doctor Hurter die An¬
nahme der ihm zugedachten Präsidentenstelle von der Bedingniß ab¬
hängig, daß das zu errichtende Censurcollegium als die oberste
Behörde in Preßangelegcnheiten aufgestellt werde und in keinerlei Ab¬
hängigkeit von der Polizeihofstelle sei. Durch diese kategorische Be¬
dingung ist die ganze Sache schwierig geworden, denn von Seiten des
Polizeipräsidenten würde ohne Zweifel die Lostrennung des Censur-
wescns, womit er bis jetzt betraut war, als eine verletzende Handlung,
als ein Beweis vor Unzufriedenheit betrachtet werden, deren sich die
Regierung nicht schuldig machen will. Unsere Prcßzustände haben
eine so unglückliche Wendung genommen, daß man jede Neue¬
rung willkommen heißen muß; mit Beginn des Jahres ist dem
adeligen und kaufmännischen Casino, dem juridisch-politischen Lesever¬
ein und mehreren anderen Privatgesellschaften der Fortbezug einer be¬
deutenden Anzahl, unter deutscher Censur erscheinender Blätter unter¬
sagt worden, worunter der Herold, die Deutsche Allgemeine, die Bre¬
mer und Weserzeitung,, ja sogar die Kölnische Zeitung und die —
unschuldige Europa!

, Die berüchtigten Angelegenheiten der ungarischen Centralbahn
fangen an immer verwickelter zu werden und es zieht sich ein furcht-


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[0328] möglich in dem Blinden- und Taubstummeninstitut einzuführen; die Befähigung des Blinden für Leibesübungen ist außer allem Zweifel und die gymnastischen Künste, die in der Blindenanstalt zu Paris stattünden, liefern den praktischen Beweis von der Möglichkeit, auch die lichtlosen Unglücklichen an einer Sache Theil nehmen zu lassen, welche bei der ängstlichen Langsamkeit ihrer sonstigen Lebensweise, welche nothwendig eine physische Erschlaffung herbeiführen muß, doppelt nütz¬ lich und dringend erscheint. Nicht minder förderlich ist das gymnasti¬ sche Element für den Taubstummen, bei dem obenein die aus der Blindheit hergeleiteten Bedenklichkeiten gänzlich wegfallen, indem die geringe Anstrengung der Lunge bei Sprachlosen dieses wichtige Lcbens- organ in der Regel sehr bald verkümmern läßt, so daß ein beschleu¬ nigter Athmungsproceß in Folge physischer Anstrengung höchst gesund erscheint und nicht wenig vortheilhaft auf das leibliche Wohlbefinden taubstummer Zöglinge einzuwirken im Stande wäre. Hat doch die Wahrnehmung der schädlichen Folgen der geringen Lungenthätigkeit schon die Lippensprache bei den Taubstummen in Aufnahme gebracht, womit wohl weniger ein Medium allgemeiner Mittheilung, als ein Ersatz für jene wohlthätige Wirkung geboten werden sollte, die die Sprachthätigkeit auf die Lunge des Menschen überhaupt ausübt. Man beschäftigt sich hier seit längerer Zeit mit der Errichtung eines Censurcollegiums, das die Stelle des in Preußen geschaffenen Obercensurgerichtes vertreten soll und als dessen Präsidenten man den Hofrath Doctor Hurter bezeichnet, welcher das vollste Vertrauen des Sraatskanzlers besitzt. Doch macht Doctor Hurter die An¬ nahme der ihm zugedachten Präsidentenstelle von der Bedingniß ab¬ hängig, daß das zu errichtende Censurcollegium als die oberste Behörde in Preßangelegcnheiten aufgestellt werde und in keinerlei Ab¬ hängigkeit von der Polizeihofstelle sei. Durch diese kategorische Be¬ dingung ist die ganze Sache schwierig geworden, denn von Seiten des Polizeipräsidenten würde ohne Zweifel die Lostrennung des Censur- wescns, womit er bis jetzt betraut war, als eine verletzende Handlung, als ein Beweis vor Unzufriedenheit betrachtet werden, deren sich die Regierung nicht schuldig machen will. Unsere Prcßzustände haben eine so unglückliche Wendung genommen, daß man jede Neue¬ rung willkommen heißen muß; mit Beginn des Jahres ist dem adeligen und kaufmännischen Casino, dem juridisch-politischen Lesever¬ ein und mehreren anderen Privatgesellschaften der Fortbezug einer be¬ deutenden Anzahl, unter deutscher Censur erscheinender Blätter unter¬ sagt worden, worunter der Herold, die Deutsche Allgemeine, die Bre¬ mer und Weserzeitung,, ja sogar die Kölnische Zeitung und die — unschuldige Europa! , Die berüchtigten Angelegenheiten der ungarischen Centralbahn fangen an immer verwickelter zu werden und es zieht sich ein furcht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/328>, abgerufen am 01.09.2024.