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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Schüchtern fragte ich nun noch, ob sich das Gerücht, daß er seine
einzelnen Gedichte zu einer Gesammtausgabe sammle, bestätige?
Er verneinte es lächelnd. Sie sind zu ruhig, sagte er, für unsere
Zeit sie sind nicht "zeitgemäß", und nach Gedichten, die das nicht
sind, hat man gegenwärtig kein Bedürfniß. Auch sind sie zu alt
in der Form! Wie sehr irrt sich hier der Dichter. Sollte das
"Zeitgemäße", oder besser gesagt, das "Jahrgemäße" oder oft "Wo¬
chengemäße" wirklich das Ewige besingen und überdauern? Ueber¬
lärmen kann es, übertäuben, überschreien, aber dann verliert es den
Athem und sinkt kraftlos und ruhmlos in sich zusammen. Uebri-
gens sind sein in-taro Vuceiiw, seine Episteln ze. zeitgemäß und
Gedicht zugleich, und beides im schönsten und nicht im banalsten
Sinne des Wortes. Und was die Form betrifft, so gilt bei Grill-
parzers Gedichten auch was Börne bei Gelegenheit seiner "Sappho"
sagt:

"Soll ich noch sprechen von dem holden Zauber in allen Re¬
den unseres Dichters ? Von dieser bald milden, bald glühenden Far¬
benpracht, von der Schönheit und Wahrheit seiner Bilder, von der
Tiefe und Wärme seiner Empfindungen? Dieser wundervolle para¬
diesische Garten: ist genug gepriesen wenn ich ihn dem Frucht¬
markt anderer neuer Dichter gegenüberstelle. Dort findet sich des
Willkommenen gar viel sür Küche und Magen, nur nicht für Herz
und Phantasie. Zierliche Weltweise sind sie mit Lob' zu nennen,
welche Bücherschränke voll guten Verstandes mit Blumenguirlanden
umhängen, oder wohl auch einer saftigen Frucht ein abgerissenes
grünes Blatt unterlegen, oder eßliche Kuchen mit Dragee bestecken,
aber Dichter sind sie nicht. Grillparzer ist ein Dichter."

So sprach ein Kritiker, der nicht nur jene ^Büchlein besprach,
die ihm mit "hochachtungsvoller Widmung" zugeschickt wurden, der
nicht auf die Stimme einer Clique, sondern auf den Ausspruch des
eigenen poetischen Herzens, des eigenen leuchtenden liebenden Gei¬
stes horchte, der wenn er einen Dichter wie Grillparzer getadelt,
gerne gestand, daß er von "Flecken an einer Sonne" gespro¬
chen, und dann "geblendet den Blick senkte", um sich ferner nur "ih¬
rer Wärme und ihres Lichtes zu erfreuen." Solcher Kritiker aber,
die gerne eine Sonne trotz ihrer Flecken anerkennen und sich an
Licht und Wärme erfreuen, giebt es nur wenige heut zu Tage und
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Schüchtern fragte ich nun noch, ob sich das Gerücht, daß er seine
einzelnen Gedichte zu einer Gesammtausgabe sammle, bestätige?
Er verneinte es lächelnd. Sie sind zu ruhig, sagte er, für unsere
Zeit sie sind nicht „zeitgemäß", und nach Gedichten, die das nicht
sind, hat man gegenwärtig kein Bedürfniß. Auch sind sie zu alt
in der Form! Wie sehr irrt sich hier der Dichter. Sollte das
„Zeitgemäße", oder besser gesagt, das „Jahrgemäße" oder oft „Wo¬
chengemäße" wirklich das Ewige besingen und überdauern? Ueber¬
lärmen kann es, übertäuben, überschreien, aber dann verliert es den
Athem und sinkt kraftlos und ruhmlos in sich zusammen. Uebri-
gens sind sein in-taro Vuceiiw, seine Episteln ze. zeitgemäß und
Gedicht zugleich, und beides im schönsten und nicht im banalsten
Sinne des Wortes. Und was die Form betrifft, so gilt bei Grill-
parzers Gedichten auch was Börne bei Gelegenheit seiner „Sappho"
sagt:

„Soll ich noch sprechen von dem holden Zauber in allen Re¬
den unseres Dichters ? Von dieser bald milden, bald glühenden Far¬
benpracht, von der Schönheit und Wahrheit seiner Bilder, von der
Tiefe und Wärme seiner Empfindungen? Dieser wundervolle para¬
diesische Garten: ist genug gepriesen wenn ich ihn dem Frucht¬
markt anderer neuer Dichter gegenüberstelle. Dort findet sich des
Willkommenen gar viel sür Küche und Magen, nur nicht für Herz
und Phantasie. Zierliche Weltweise sind sie mit Lob' zu nennen,
welche Bücherschränke voll guten Verstandes mit Blumenguirlanden
umhängen, oder wohl auch einer saftigen Frucht ein abgerissenes
grünes Blatt unterlegen, oder eßliche Kuchen mit Dragee bestecken,
aber Dichter sind sie nicht. Grillparzer ist ein Dichter."

So sprach ein Kritiker, der nicht nur jene ^Büchlein besprach,
die ihm mit „hochachtungsvoller Widmung" zugeschickt wurden, der
nicht auf die Stimme einer Clique, sondern auf den Ausspruch des
eigenen poetischen Herzens, des eigenen leuchtenden liebenden Gei¬
stes horchte, der wenn er einen Dichter wie Grillparzer getadelt,
gerne gestand, daß er von „Flecken an einer Sonne" gespro¬
chen, und dann „geblendet den Blick senkte", um sich ferner nur „ih¬
rer Wärme und ihres Lichtes zu erfreuen." Solcher Kritiker aber,
die gerne eine Sonne trotz ihrer Flecken anerkennen und sich an
Licht und Wärme erfreuen, giebt es nur wenige heut zu Tage und
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[0323] Schüchtern fragte ich nun noch, ob sich das Gerücht, daß er seine einzelnen Gedichte zu einer Gesammtausgabe sammle, bestätige? Er verneinte es lächelnd. Sie sind zu ruhig, sagte er, für unsere Zeit sie sind nicht „zeitgemäß", und nach Gedichten, die das nicht sind, hat man gegenwärtig kein Bedürfniß. Auch sind sie zu alt in der Form! Wie sehr irrt sich hier der Dichter. Sollte das „Zeitgemäße", oder besser gesagt, das „Jahrgemäße" oder oft „Wo¬ chengemäße" wirklich das Ewige besingen und überdauern? Ueber¬ lärmen kann es, übertäuben, überschreien, aber dann verliert es den Athem und sinkt kraftlos und ruhmlos in sich zusammen. Uebri- gens sind sein in-taro Vuceiiw, seine Episteln ze. zeitgemäß und Gedicht zugleich, und beides im schönsten und nicht im banalsten Sinne des Wortes. Und was die Form betrifft, so gilt bei Grill- parzers Gedichten auch was Börne bei Gelegenheit seiner „Sappho" sagt: „Soll ich noch sprechen von dem holden Zauber in allen Re¬ den unseres Dichters ? Von dieser bald milden, bald glühenden Far¬ benpracht, von der Schönheit und Wahrheit seiner Bilder, von der Tiefe und Wärme seiner Empfindungen? Dieser wundervolle para¬ diesische Garten: ist genug gepriesen wenn ich ihn dem Frucht¬ markt anderer neuer Dichter gegenüberstelle. Dort findet sich des Willkommenen gar viel sür Küche und Magen, nur nicht für Herz und Phantasie. Zierliche Weltweise sind sie mit Lob' zu nennen, welche Bücherschränke voll guten Verstandes mit Blumenguirlanden umhängen, oder wohl auch einer saftigen Frucht ein abgerissenes grünes Blatt unterlegen, oder eßliche Kuchen mit Dragee bestecken, aber Dichter sind sie nicht. Grillparzer ist ein Dichter." So sprach ein Kritiker, der nicht nur jene ^Büchlein besprach, die ihm mit „hochachtungsvoller Widmung" zugeschickt wurden, der nicht auf die Stimme einer Clique, sondern auf den Ausspruch des eigenen poetischen Herzens, des eigenen leuchtenden liebenden Gei¬ stes horchte, der wenn er einen Dichter wie Grillparzer getadelt, gerne gestand, daß er von „Flecken an einer Sonne" gespro¬ chen, und dann „geblendet den Blick senkte", um sich ferner nur „ih¬ rer Wärme und ihres Lichtes zu erfreuen." Solcher Kritiker aber, die gerne eine Sonne trotz ihrer Flecken anerkennen und sich an Licht und Wärme erfreuen, giebt es nur wenige heut zu Tage und ' 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/323>, abgerufen am 01.09.2024.