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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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diesen ihren poetischen Genius in aller seiner Schönheit in mich
aufnehmen. -- Von drei Tagen zu drei Tagen sah mich nun Herr ,
Wallishcmser in seine Buchhandlung auf dem hohen Markte tre¬
ten, um nach und nach ein Trauerspiel Grillparzers nach dem an¬
dern zu holen, bis ich auch an sein Lustspiel: Weh dem der
lügt kam. Ich fühlte mich während dieser Zeit so glücklich, so
freudig aufgeregt, wie immer, wenn man eine schöne Entdeckung
macht, zumal wenn diese Entdeckung eine schöne, tiefe Menschen¬
seele ist. Eine neue, wunderbare Welt von Gestalten that sich mir
auf; in meinen Träumen sah ich grandiose, tieftragische Scenen,
wie jene, da Ottokar von Böhmen flüchtig heimkehrt und als
Bettler auf der Schwelle seines Schloßeö verhüllten Hauptes sitzt
und seine Königin mit ihrem Buhlen herauskommt, ihn zu verhöh¬
nen; oder mildwehmüthige, wie jene aus der kindlich-tragischen
Idylle Des Meeres und der Liebe Wellen :c. oder schauer¬
lich geheimnißvolle, wie sie sich in seinem Phryros und seiner
Medea" drängen; und mit freudiger Anerkennung wandte ich die
Worte, die er einer seiner Personen in den Mund legt, auf ihn an:


Erhab'ne, heilge Götter!
Ihr habt mit reichem Segen mich geschmückt!
In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen,
Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir,
Ein Herz zu fühlen, einen Geist zu denken >
Und Kraft zu bilden was ich mir gedacht.

Leider konnte ich die Fortsetzung dieses Gedichtes nicht mehr
als eine Wahrheit für ihn gelten lassen:


Ihr habt ausgesät in weit entfernte Lande
Des Dichters Ruhm---
Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen.

Die Freunde, welche sahen, mit welcher Lust ich mich in mei¬
nem neu gewonnenen Dichter versenkte, brachten mir noch manches
Zerstreute, das in der Buchhandlung nicht zu haben war, wie das
herrliche politische Gedicht Campo Vaccino, das Zacharias Werner,
die alte Betschwester, verketzerte und bei der Polizei denuncirte, oder
den elegischen Abschied von Gastein und viele andere kleine


diesen ihren poetischen Genius in aller seiner Schönheit in mich
aufnehmen. — Von drei Tagen zu drei Tagen sah mich nun Herr ,
Wallishcmser in seine Buchhandlung auf dem hohen Markte tre¬
ten, um nach und nach ein Trauerspiel Grillparzers nach dem an¬
dern zu holen, bis ich auch an sein Lustspiel: Weh dem der
lügt kam. Ich fühlte mich während dieser Zeit so glücklich, so
freudig aufgeregt, wie immer, wenn man eine schöne Entdeckung
macht, zumal wenn diese Entdeckung eine schöne, tiefe Menschen¬
seele ist. Eine neue, wunderbare Welt von Gestalten that sich mir
auf; in meinen Träumen sah ich grandiose, tieftragische Scenen,
wie jene, da Ottokar von Böhmen flüchtig heimkehrt und als
Bettler auf der Schwelle seines Schloßeö verhüllten Hauptes sitzt
und seine Königin mit ihrem Buhlen herauskommt, ihn zu verhöh¬
nen; oder mildwehmüthige, wie jene aus der kindlich-tragischen
Idylle Des Meeres und der Liebe Wellen :c. oder schauer¬
lich geheimnißvolle, wie sie sich in seinem Phryros und seiner
Medea" drängen; und mit freudiger Anerkennung wandte ich die
Worte, die er einer seiner Personen in den Mund legt, auf ihn an:


Erhab'ne, heilge Götter!
Ihr habt mit reichem Segen mich geschmückt!
In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen,
Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir,
Ein Herz zu fühlen, einen Geist zu denken >
Und Kraft zu bilden was ich mir gedacht.

Leider konnte ich die Fortsetzung dieses Gedichtes nicht mehr
als eine Wahrheit für ihn gelten lassen:


Ihr habt ausgesät in weit entfernte Lande
Des Dichters Ruhm---
Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen.

Die Freunde, welche sahen, mit welcher Lust ich mich in mei¬
nem neu gewonnenen Dichter versenkte, brachten mir noch manches
Zerstreute, das in der Buchhandlung nicht zu haben war, wie das
herrliche politische Gedicht Campo Vaccino, das Zacharias Werner,
die alte Betschwester, verketzerte und bei der Polizei denuncirte, oder
den elegischen Abschied von Gastein und viele andere kleine


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[0320] diesen ihren poetischen Genius in aller seiner Schönheit in mich aufnehmen. — Von drei Tagen zu drei Tagen sah mich nun Herr , Wallishcmser in seine Buchhandlung auf dem hohen Markte tre¬ ten, um nach und nach ein Trauerspiel Grillparzers nach dem an¬ dern zu holen, bis ich auch an sein Lustspiel: Weh dem der lügt kam. Ich fühlte mich während dieser Zeit so glücklich, so freudig aufgeregt, wie immer, wenn man eine schöne Entdeckung macht, zumal wenn diese Entdeckung eine schöne, tiefe Menschen¬ seele ist. Eine neue, wunderbare Welt von Gestalten that sich mir auf; in meinen Träumen sah ich grandiose, tieftragische Scenen, wie jene, da Ottokar von Böhmen flüchtig heimkehrt und als Bettler auf der Schwelle seines Schloßeö verhüllten Hauptes sitzt und seine Königin mit ihrem Buhlen herauskommt, ihn zu verhöh¬ nen; oder mildwehmüthige, wie jene aus der kindlich-tragischen Idylle Des Meeres und der Liebe Wellen :c. oder schauer¬ lich geheimnißvolle, wie sie sich in seinem Phryros und seiner Medea" drängen; und mit freudiger Anerkennung wandte ich die Worte, die er einer seiner Personen in den Mund legt, auf ihn an: Erhab'ne, heilge Götter! Ihr habt mit reichem Segen mich geschmückt! In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen, Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir, Ein Herz zu fühlen, einen Geist zu denken > Und Kraft zu bilden was ich mir gedacht. Leider konnte ich die Fortsetzung dieses Gedichtes nicht mehr als eine Wahrheit für ihn gelten lassen: Ihr habt ausgesät in weit entfernte Lande Des Dichters Ruhm--- Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen. Die Freunde, welche sahen, mit welcher Lust ich mich in mei¬ nem neu gewonnenen Dichter versenkte, brachten mir noch manches Zerstreute, das in der Buchhandlung nicht zu haben war, wie das herrliche politische Gedicht Campo Vaccino, das Zacharias Werner, die alte Betschwester, verketzerte und bei der Polizei denuncirte, oder den elegischen Abschied von Gastein und viele andere kleine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/320>, abgerufen am 01.09.2024.