Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.damals in Berlin Mode ward, aus die geistreichste, zugleich poe¬ gg damals in Berlin Mode ward, aus die geistreichste, zugleich poe¬ gg <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182129"/> <p xml:id="ID_716" prev="#ID_715"> damals in Berlin Mode ward, aus die geistreichste, zugleich poe¬<lb/> tischste Weise und wurde voll der Concordia mit rauschendem Bei¬<lb/> fall aufgenommen. Wieder eine Belehrung und Beschämung mehr<lb/> für mich. Als ich mich offenherzig darüber äußerte und zu einigen<lb/> Schriftstellern meine Verwunderung aussprach, daß ein solcher Dich¬<lb/> ter bei uns im Norden so wenig bekannt sei, zuckte man lächelnd<lb/> die Achseln und sagte ganz gutmüthig: Ja, sie sein halt so im Aus¬<lb/> land! Ich fühlte in diesem Augenblicke, wie gerechtfertigt der Aus¬<lb/> druck „Ausland" sei, den die Oesterreicher immer gebrauchen, so<lb/> oft sie vom übrigen Deutschland sprechen. Der sarkastischste der<lb/> gutmüthigen Wiener fügte mir noch mit einer spöttischen Bewegung,<lb/> die auf mich gemünzt war, hinzu: Hin, er macht sich nichts draus,<lb/> der Grillparzer; der ist zufrieden, wenn er nur seinen Oesterreichern<lb/> gefällt, und das thut'er, weiß Gott. Es ist aber traurig, wenn<lb/> ein solcher Dichter dahin gebracht wird, das große weite Vater¬<lb/> land und die Brüder jenseits der Gränze zu vergessen und sich auf<lb/> eine Provinz zu beschränken, da er doch geboren ist, allüberall mit<lb/> seinem eistien Scepter zu erren.</p><lb/> <p xml:id="ID_717" next="#ID_718"> gg<lb/> Tages darauf, Sonntag Mittags, um die Stunde da die schöne<lb/> Welt von Wien im bunten Putze auf den Basteien hin- und her¬<lb/> wogt, und griechische, wallachischc, ungarische, italienische Gesichter<lb/> mit freundlichen wienerischen unaufhörlich wechseln, drängte auch<lb/> ich mich an der Seite meines Freundes der Burg entgegen. Plötz¬<lb/> lich zupfte mich mein Begleiter am Aermel: Haben sie den Mann<lb/> gesehen, der eben an uns vorüberging? — Welcher? — Den dort im<lb/> großen, dunkelgrünen Ueberrock! — Nur mit Mühe konnte ich ihn<lb/> im Gedränge mit meinen Blicken erHaschen. Es war Grillparzer,<lb/> der allein, einsam, in dieser bunten Welt, mit gesenkten: Haupte da¬<lb/> hinging. Es kam mir wie ein geheimnißvoller Fingerzeig vor, daß<lb/> mir dieser Mann, während meines kaum acht und vierzigstündigen<lb/> Aufenthalts, schon dreimal begegnete: als Dichter und Spender<lb/> der „köstlichen Frucht," wie Börne seine Sappho nennt, als<lb/> Poetischer Satyrist und verehrter Meister eines ausgewählten Krei¬<lb/> se's von Jüngern und endlich als einsamer Wandler mitten in ei¬<lb/> ner freudvollen glänzenden Welt. Alles dieses machte mir den<lb/> Eindruck, als wäre Grillparzer Wiens poetischer Zvuiu8 loci, und<lb/> wollte ich diese Stadt kennen lernen, sagte ich mir, so mußte ich auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
damals in Berlin Mode ward, aus die geistreichste, zugleich poe¬
tischste Weise und wurde voll der Concordia mit rauschendem Bei¬
fall aufgenommen. Wieder eine Belehrung und Beschämung mehr
für mich. Als ich mich offenherzig darüber äußerte und zu einigen
Schriftstellern meine Verwunderung aussprach, daß ein solcher Dich¬
ter bei uns im Norden so wenig bekannt sei, zuckte man lächelnd
die Achseln und sagte ganz gutmüthig: Ja, sie sein halt so im Aus¬
land! Ich fühlte in diesem Augenblicke, wie gerechtfertigt der Aus¬
druck „Ausland" sei, den die Oesterreicher immer gebrauchen, so
oft sie vom übrigen Deutschland sprechen. Der sarkastischste der
gutmüthigen Wiener fügte mir noch mit einer spöttischen Bewegung,
die auf mich gemünzt war, hinzu: Hin, er macht sich nichts draus,
der Grillparzer; der ist zufrieden, wenn er nur seinen Oesterreichern
gefällt, und das thut'er, weiß Gott. Es ist aber traurig, wenn
ein solcher Dichter dahin gebracht wird, das große weite Vater¬
land und die Brüder jenseits der Gränze zu vergessen und sich auf
eine Provinz zu beschränken, da er doch geboren ist, allüberall mit
seinem eistien Scepter zu erren.
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Tages darauf, Sonntag Mittags, um die Stunde da die schöne
Welt von Wien im bunten Putze auf den Basteien hin- und her¬
wogt, und griechische, wallachischc, ungarische, italienische Gesichter
mit freundlichen wienerischen unaufhörlich wechseln, drängte auch
ich mich an der Seite meines Freundes der Burg entgegen. Plötz¬
lich zupfte mich mein Begleiter am Aermel: Haben sie den Mann
gesehen, der eben an uns vorüberging? — Welcher? — Den dort im
großen, dunkelgrünen Ueberrock! — Nur mit Mühe konnte ich ihn
im Gedränge mit meinen Blicken erHaschen. Es war Grillparzer,
der allein, einsam, in dieser bunten Welt, mit gesenkten: Haupte da¬
hinging. Es kam mir wie ein geheimnißvoller Fingerzeig vor, daß
mir dieser Mann, während meines kaum acht und vierzigstündigen
Aufenthalts, schon dreimal begegnete: als Dichter und Spender
der „köstlichen Frucht," wie Börne seine Sappho nennt, als
Poetischer Satyrist und verehrter Meister eines ausgewählten Krei¬
se's von Jüngern und endlich als einsamer Wandler mitten in ei¬
ner freudvollen glänzenden Welt. Alles dieses machte mir den
Eindruck, als wäre Grillparzer Wiens poetischer Zvuiu8 loci, und
wollte ich diese Stadt kennen lernen, sagte ich mir, so mußte ich auch
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