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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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wo er seine Mission erfüllte, ohne durch seinen Protestantismus in
den geringsten Conflict mit römischen Vorurtheilen zu kommen.

Indeß zogen Cuviers administrative Talente immer mehr Napo¬
leons Aufmerksamkeit auf sich und der Kaiser ruhte nicht, bjö er
den großen Naturforscher ganz besaß und in seinen Staatsrath ge¬
zogen hatte, doch bald darauf stürzte der Kaiserthron zusammen.
Ludwig XVlII. war zu klug, um sich die Dienste eines Mannes, wie
Cuvier, nicht sichern zu wollen, und er bestätigte ihn daher in sei-
nen verschiedenen Aemtern. Während der hundert Tage dagegen
ward Cuvier von Napoleon aus dem Staatsrath gestrichen, wegen
der Zuvorkommenheit, die er gegen die Bourbonen gezeigt hatte.
Bei der zweiten Restauration nahm er seinen Platz im Staatsrath
wieder ein und wurde zugleich Kanzler der "Commission des öffent¬
lichen Unterrichts;" zwei Jahre lang war er auch ihr provisori¬
scher Präsident, da die damalige Stimmung es nicht erlaubte, die
Oberleitung des öffentlichen Unterrichts einem Protestanten defini¬
tiv anzuvertrauen. Als dagegen 1824 ein besonderes geistliches
Ministerium geschaffen und ein Bischof, Mr. de Frayssinous, Gro߬
meister der Universität, zum Chef desselben gemacht wurde, schuf
man für Cuvier eine Art von besonderer Großmeisterschaft, welche
die Studien der protestantischen Theologen betraf und vom Mini¬
sterium unabhängig blieb. Cuvier behielt diesen Posten bis an
sein Lebensende. Im Jahre I"27 wurde er sogar im Ministerium
des Innern angestellt, als Chef für die Angelegenheiten aller nicht¬
katholischen Konfessionen.

Nun darf man nicht vergessen, daß Cuvier bei allen diesen Aem¬
tern noch Zeit fand, das Museum zu verwalten, dessen Sammlun¬
gen fast alle aus seiner Hand hervorgingen, um jährlich, als lebens¬
länglicher Secretär des Instituts, abgesehen von den obligaten Lob-
und Gedächtnißreden, einen Bericht über die gemachten Fortschritte
in allen Zweigen der Naturwissenschaft abzufassen; um am College
de France die Geschichte der Naturwissenschaften bei allen bekann¬
ten Völkern, von ihrem Ursprung bis auf unsere Tage, zu lehren;
um am Museum vergleichende Anatomie vorzutragen; um mehr
als 200 ausführliche Memoiren über die schwierigsten Fragen zu
schreiben; um in seinem Namen alle Erdtheile erforschen zu lassen
und von seinem Cabinet aus diese Nachforschungen zu überwachen


wo er seine Mission erfüllte, ohne durch seinen Protestantismus in
den geringsten Conflict mit römischen Vorurtheilen zu kommen.

Indeß zogen Cuviers administrative Talente immer mehr Napo¬
leons Aufmerksamkeit auf sich und der Kaiser ruhte nicht, bjö er
den großen Naturforscher ganz besaß und in seinen Staatsrath ge¬
zogen hatte, doch bald darauf stürzte der Kaiserthron zusammen.
Ludwig XVlII. war zu klug, um sich die Dienste eines Mannes, wie
Cuvier, nicht sichern zu wollen, und er bestätigte ihn daher in sei-
nen verschiedenen Aemtern. Während der hundert Tage dagegen
ward Cuvier von Napoleon aus dem Staatsrath gestrichen, wegen
der Zuvorkommenheit, die er gegen die Bourbonen gezeigt hatte.
Bei der zweiten Restauration nahm er seinen Platz im Staatsrath
wieder ein und wurde zugleich Kanzler der „Commission des öffent¬
lichen Unterrichts;" zwei Jahre lang war er auch ihr provisori¬
scher Präsident, da die damalige Stimmung es nicht erlaubte, die
Oberleitung des öffentlichen Unterrichts einem Protestanten defini¬
tiv anzuvertrauen. Als dagegen 1824 ein besonderes geistliches
Ministerium geschaffen und ein Bischof, Mr. de Frayssinous, Gro߬
meister der Universität, zum Chef desselben gemacht wurde, schuf
man für Cuvier eine Art von besonderer Großmeisterschaft, welche
die Studien der protestantischen Theologen betraf und vom Mini¬
sterium unabhängig blieb. Cuvier behielt diesen Posten bis an
sein Lebensende. Im Jahre I«27 wurde er sogar im Ministerium
des Innern angestellt, als Chef für die Angelegenheiten aller nicht¬
katholischen Konfessionen.

Nun darf man nicht vergessen, daß Cuvier bei allen diesen Aem¬
tern noch Zeit fand, das Museum zu verwalten, dessen Sammlun¬
gen fast alle aus seiner Hand hervorgingen, um jährlich, als lebens¬
länglicher Secretär des Instituts, abgesehen von den obligaten Lob-
und Gedächtnißreden, einen Bericht über die gemachten Fortschritte
in allen Zweigen der Naturwissenschaft abzufassen; um am College
de France die Geschichte der Naturwissenschaften bei allen bekann¬
ten Völkern, von ihrem Ursprung bis auf unsere Tage, zu lehren;
um am Museum vergleichende Anatomie vorzutragen; um mehr
als 200 ausführliche Memoiren über die schwierigsten Fragen zu
schreiben; um in seinem Namen alle Erdtheile erforschen zu lassen
und von seinem Cabinet aus diese Nachforschungen zu überwachen


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[0308] wo er seine Mission erfüllte, ohne durch seinen Protestantismus in den geringsten Conflict mit römischen Vorurtheilen zu kommen. Indeß zogen Cuviers administrative Talente immer mehr Napo¬ leons Aufmerksamkeit auf sich und der Kaiser ruhte nicht, bjö er den großen Naturforscher ganz besaß und in seinen Staatsrath ge¬ zogen hatte, doch bald darauf stürzte der Kaiserthron zusammen. Ludwig XVlII. war zu klug, um sich die Dienste eines Mannes, wie Cuvier, nicht sichern zu wollen, und er bestätigte ihn daher in sei- nen verschiedenen Aemtern. Während der hundert Tage dagegen ward Cuvier von Napoleon aus dem Staatsrath gestrichen, wegen der Zuvorkommenheit, die er gegen die Bourbonen gezeigt hatte. Bei der zweiten Restauration nahm er seinen Platz im Staatsrath wieder ein und wurde zugleich Kanzler der „Commission des öffent¬ lichen Unterrichts;" zwei Jahre lang war er auch ihr provisori¬ scher Präsident, da die damalige Stimmung es nicht erlaubte, die Oberleitung des öffentlichen Unterrichts einem Protestanten defini¬ tiv anzuvertrauen. Als dagegen 1824 ein besonderes geistliches Ministerium geschaffen und ein Bischof, Mr. de Frayssinous, Gro߬ meister der Universität, zum Chef desselben gemacht wurde, schuf man für Cuvier eine Art von besonderer Großmeisterschaft, welche die Studien der protestantischen Theologen betraf und vom Mini¬ sterium unabhängig blieb. Cuvier behielt diesen Posten bis an sein Lebensende. Im Jahre I«27 wurde er sogar im Ministerium des Innern angestellt, als Chef für die Angelegenheiten aller nicht¬ katholischen Konfessionen. Nun darf man nicht vergessen, daß Cuvier bei allen diesen Aem¬ tern noch Zeit fand, das Museum zu verwalten, dessen Sammlun¬ gen fast alle aus seiner Hand hervorgingen, um jährlich, als lebens¬ länglicher Secretär des Instituts, abgesehen von den obligaten Lob- und Gedächtnißreden, einen Bericht über die gemachten Fortschritte in allen Zweigen der Naturwissenschaft abzufassen; um am College de France die Geschichte der Naturwissenschaften bei allen bekann¬ ten Völkern, von ihrem Ursprung bis auf unsere Tage, zu lehren; um am Museum vergleichende Anatomie vorzutragen; um mehr als 200 ausführliche Memoiren über die schwierigsten Fragen zu schreiben; um in seinem Namen alle Erdtheile erforschen zu lassen und von seinem Cabinet aus diese Nachforschungen zu überwachen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/308>, abgerufen am 02.09.2024.