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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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politischen Bewegungen können einen Naturforscher, selbst in Frank¬
reich, nicht unmittelbar berühren, aber die große Wirksamkeit Cu-
vier's für das französische Schul- und Unterrichtswesen hat
allerdings politische Bedeutung gehabt. Auch ist zu bemerken, daß,
wie Cuvier's Nationalisirung in Frankreich durch die Art seines
Genies erleichtert, eben so sein Ansehen durch die Zeit begünstigt
wurde, in welche sein Auftreten in Frankreich gefallen ist. Ein
poetisches, geschichtschreibcrischcS, publicistisches oder rednerisches
Genie, welches im Jünglingsalter durch irgend ein merkwürdiges
Schicksal aus Deutschland nach Frankreich verpflanzt würde, könnte
unmöglich im fremden Boden heimisch werden und gedeihen; selbst
wenn es die Muttersprache vergäße und die des Adoptivvaterlandes
durch eine dcmosthenische Willenskraft in sein eigenstes Blut ver¬
wandelte, doch würde es mit seinen geheimsten und zartesten Fühlfäden
am Herzen der ursprünglichen Heimath hängen bleiben; die Rich¬
tung seiner eigensten Ideen, die Grundfärbung seiner Anschauungen,
würde in der neuen Welt eben so oft abstoßen wie sich abgestoßen fühlen.
Die Naturwissenschaft dagegen, abgesehen davon, daß sie kosmopolitisch
und neutral ist, wird" sogar von der klaren, mathematisch verständi¬
gen, für die scivuces ox-rctvs wie geschaffenen französischen Sprache
ungemein begünstigt. Eben so war es ein unlängbarer Vortheil
für Cuvier, daß sein Auftreten in die Napoleonische Periode fiel,
welche allem realen Wissen so außerordentlich hold war und die
Naturwissenschaften, im Gegensatz zu sogenannten "ideologischen" Er¬
kenntnissen, einseitig bevorzugte. Napoleons politische Vorliebe
für die Nealstudien fiel übrigens hier mit der entschiedensten Nei¬
gung des französischen Geistes zusammen, der in der That auf
jenem Felde am begabtesten ist. Gewiß können nur auch die
schwülstigen Lobeserhebungen, die Cuvier einmal dem Kaiser ins
Gesicht warf, daher leiten, daß der große Naturforscher, der nichts
weniger als ein gemeiner Schmeichler war, aus wissenschaftlicher
Sympathie und Dankbarkeit Napoleon aufrichtig vergötterte.

Cuvier war Secretär des Instituts, als Bonaparte aus Egyp-
ten heimgekehrt und erster Consul geworden, sich auch noch zum
Präsidenten der gelehrten Gesellschaft erwählen ließ. Natürlich
kamen Secretär und Präsident in nähere Berührung und es konnte
nicht fehlen, daß der letztere das Genie Cuvier's gehörig würdigen


politischen Bewegungen können einen Naturforscher, selbst in Frank¬
reich, nicht unmittelbar berühren, aber die große Wirksamkeit Cu-
vier's für das französische Schul- und Unterrichtswesen hat
allerdings politische Bedeutung gehabt. Auch ist zu bemerken, daß,
wie Cuvier's Nationalisirung in Frankreich durch die Art seines
Genies erleichtert, eben so sein Ansehen durch die Zeit begünstigt
wurde, in welche sein Auftreten in Frankreich gefallen ist. Ein
poetisches, geschichtschreibcrischcS, publicistisches oder rednerisches
Genie, welches im Jünglingsalter durch irgend ein merkwürdiges
Schicksal aus Deutschland nach Frankreich verpflanzt würde, könnte
unmöglich im fremden Boden heimisch werden und gedeihen; selbst
wenn es die Muttersprache vergäße und die des Adoptivvaterlandes
durch eine dcmosthenische Willenskraft in sein eigenstes Blut ver¬
wandelte, doch würde es mit seinen geheimsten und zartesten Fühlfäden
am Herzen der ursprünglichen Heimath hängen bleiben; die Rich¬
tung seiner eigensten Ideen, die Grundfärbung seiner Anschauungen,
würde in der neuen Welt eben so oft abstoßen wie sich abgestoßen fühlen.
Die Naturwissenschaft dagegen, abgesehen davon, daß sie kosmopolitisch
und neutral ist, wird» sogar von der klaren, mathematisch verständi¬
gen, für die scivuces ox-rctvs wie geschaffenen französischen Sprache
ungemein begünstigt. Eben so war es ein unlängbarer Vortheil
für Cuvier, daß sein Auftreten in die Napoleonische Periode fiel,
welche allem realen Wissen so außerordentlich hold war und die
Naturwissenschaften, im Gegensatz zu sogenannten „ideologischen" Er¬
kenntnissen, einseitig bevorzugte. Napoleons politische Vorliebe
für die Nealstudien fiel übrigens hier mit der entschiedensten Nei¬
gung des französischen Geistes zusammen, der in der That auf
jenem Felde am begabtesten ist. Gewiß können nur auch die
schwülstigen Lobeserhebungen, die Cuvier einmal dem Kaiser ins
Gesicht warf, daher leiten, daß der große Naturforscher, der nichts
weniger als ein gemeiner Schmeichler war, aus wissenschaftlicher
Sympathie und Dankbarkeit Napoleon aufrichtig vergötterte.

Cuvier war Secretär des Instituts, als Bonaparte aus Egyp-
ten heimgekehrt und erster Consul geworden, sich auch noch zum
Präsidenten der gelehrten Gesellschaft erwählen ließ. Natürlich
kamen Secretär und Präsident in nähere Berührung und es konnte
nicht fehlen, daß der letztere das Genie Cuvier's gehörig würdigen


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[0306] politischen Bewegungen können einen Naturforscher, selbst in Frank¬ reich, nicht unmittelbar berühren, aber die große Wirksamkeit Cu- vier's für das französische Schul- und Unterrichtswesen hat allerdings politische Bedeutung gehabt. Auch ist zu bemerken, daß, wie Cuvier's Nationalisirung in Frankreich durch die Art seines Genies erleichtert, eben so sein Ansehen durch die Zeit begünstigt wurde, in welche sein Auftreten in Frankreich gefallen ist. Ein poetisches, geschichtschreibcrischcS, publicistisches oder rednerisches Genie, welches im Jünglingsalter durch irgend ein merkwürdiges Schicksal aus Deutschland nach Frankreich verpflanzt würde, könnte unmöglich im fremden Boden heimisch werden und gedeihen; selbst wenn es die Muttersprache vergäße und die des Adoptivvaterlandes durch eine dcmosthenische Willenskraft in sein eigenstes Blut ver¬ wandelte, doch würde es mit seinen geheimsten und zartesten Fühlfäden am Herzen der ursprünglichen Heimath hängen bleiben; die Rich¬ tung seiner eigensten Ideen, die Grundfärbung seiner Anschauungen, würde in der neuen Welt eben so oft abstoßen wie sich abgestoßen fühlen. Die Naturwissenschaft dagegen, abgesehen davon, daß sie kosmopolitisch und neutral ist, wird» sogar von der klaren, mathematisch verständi¬ gen, für die scivuces ox-rctvs wie geschaffenen französischen Sprache ungemein begünstigt. Eben so war es ein unlängbarer Vortheil für Cuvier, daß sein Auftreten in die Napoleonische Periode fiel, welche allem realen Wissen so außerordentlich hold war und die Naturwissenschaften, im Gegensatz zu sogenannten „ideologischen" Er¬ kenntnissen, einseitig bevorzugte. Napoleons politische Vorliebe für die Nealstudien fiel übrigens hier mit der entschiedensten Nei¬ gung des französischen Geistes zusammen, der in der That auf jenem Felde am begabtesten ist. Gewiß können nur auch die schwülstigen Lobeserhebungen, die Cuvier einmal dem Kaiser ins Gesicht warf, daher leiten, daß der große Naturforscher, der nichts weniger als ein gemeiner Schmeichler war, aus wissenschaftlicher Sympathie und Dankbarkeit Napoleon aufrichtig vergötterte. Cuvier war Secretär des Instituts, als Bonaparte aus Egyp- ten heimgekehrt und erster Consul geworden, sich auch noch zum Präsidenten der gelehrten Gesellschaft erwählen ließ. Natürlich kamen Secretär und Präsident in nähere Berührung und es konnte nicht fehlen, daß der letztere das Genie Cuvier's gehörig würdigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/306>, abgerufen am 02.09.2024.