Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

war natürlich einer der ersten Chevaliers. Er übte einen großen
Einfluß auf seine Mitschüler und Freunde aus, obgleich er ihnen
durch seine äußere Erscheinung wenig imponirte; "denn eine dicke
Mähne von rothen Haaren" -- auch Schiller war rothhaarig und
scheint überhaupt einige physiognomische Aehnlichkeit mit Cuvier
gehabt zu haben -- "umwallte damals Cuviers längliches, blasses,
durch Sommersprossen reichlich markirteö Gesicht. Seine Physiog¬
nomie verrieth Ernst, ja Melancholie. Er stiftete eine naturhisto-
rische Gesellschaft unter seinen College" und theilte seinerseits unter
ihnen Orden von Pappe aus, um sie zu höherem Fleiß anzuspor¬
nen." Sein Professor in der Naturgeschichte, Abel, dessen Vorträge
er in's Französische übersetzte, schenkte ihm ein Eremplar von
Linnv, dessen Lectüre ihm bei seinen fortwährenden selbständigen
Naturbetrachtungen zu Hülfe kam.

Nachdem Cuvier binnen vier Wochen seine Studien auf der
Karls-Akademie absolvirt hatte, dachte er daran, sich um ein Amt
in seinem Vaterlande zu bewerben. Dies hätte er auch am Ende
erhalten, aber wie lange hätte er warten müssen! Und Cuvier
konnte nicht lange warten, da er ohne alles Vermögen war. Die¬
ser an sich so gewöhnliche Umstand entriß ihn dem Vaterlande
und verpflanzte ihn nach Frankreich, dessen Ruhm und Zierde er
werden sollte.

Einer seiner Freunde, dem man eine Hofmeisterstelle in einer
französischen Familie angetragen hatte, trat diesen Posten an Cu¬
vier ab, der eben in der Lage war, einen Dienst, der für seine ir¬
dischen Bedürfnisse sorgte, mit Freuden anzunehmen. Es war ein
protestantischer Edelmann in der Normandie, Graf von H"-ricy,
dessen Sohn er erziehen sollte; und er reiste daher im Jahre 1788
nach Caen ab; die Familie seines Zöglings wohnte den größten.
Theil des Jahres auf dem Schlosse Fiquainville bei Fecarp, in der
Nähe des Meeres.

In diesem stillen Aufenthalt, wo die eben beginnende Umwäl¬
zung in der Geschichte der Menschheit den jungen Priester der Na¬
turgeschichte unberührt ließ, lebte Cuvier sieben Jahre der frucht¬
barsten Entwicklung. In der That, die Revolution, die damals
ganz Frankreich erschütterte, war den Bewohnern von Schloss Fi¬
quainville nur ein großartiges Schauspiel, wie ein fernes Gewitter,


war natürlich einer der ersten Chevaliers. Er übte einen großen
Einfluß auf seine Mitschüler und Freunde aus, obgleich er ihnen
durch seine äußere Erscheinung wenig imponirte; „denn eine dicke
Mähne von rothen Haaren" — auch Schiller war rothhaarig und
scheint überhaupt einige physiognomische Aehnlichkeit mit Cuvier
gehabt zu haben — „umwallte damals Cuviers längliches, blasses,
durch Sommersprossen reichlich markirteö Gesicht. Seine Physiog¬
nomie verrieth Ernst, ja Melancholie. Er stiftete eine naturhisto-
rische Gesellschaft unter seinen College» und theilte seinerseits unter
ihnen Orden von Pappe aus, um sie zu höherem Fleiß anzuspor¬
nen." Sein Professor in der Naturgeschichte, Abel, dessen Vorträge
er in's Französische übersetzte, schenkte ihm ein Eremplar von
Linnv, dessen Lectüre ihm bei seinen fortwährenden selbständigen
Naturbetrachtungen zu Hülfe kam.

Nachdem Cuvier binnen vier Wochen seine Studien auf der
Karls-Akademie absolvirt hatte, dachte er daran, sich um ein Amt
in seinem Vaterlande zu bewerben. Dies hätte er auch am Ende
erhalten, aber wie lange hätte er warten müssen! Und Cuvier
konnte nicht lange warten, da er ohne alles Vermögen war. Die¬
ser an sich so gewöhnliche Umstand entriß ihn dem Vaterlande
und verpflanzte ihn nach Frankreich, dessen Ruhm und Zierde er
werden sollte.

Einer seiner Freunde, dem man eine Hofmeisterstelle in einer
französischen Familie angetragen hatte, trat diesen Posten an Cu¬
vier ab, der eben in der Lage war, einen Dienst, der für seine ir¬
dischen Bedürfnisse sorgte, mit Freuden anzunehmen. Es war ein
protestantischer Edelmann in der Normandie, Graf von H«-ricy,
dessen Sohn er erziehen sollte; und er reiste daher im Jahre 1788
nach Caen ab; die Familie seines Zöglings wohnte den größten.
Theil des Jahres auf dem Schlosse Fiquainville bei Fecarp, in der
Nähe des Meeres.

In diesem stillen Aufenthalt, wo die eben beginnende Umwäl¬
zung in der Geschichte der Menschheit den jungen Priester der Na¬
turgeschichte unberührt ließ, lebte Cuvier sieben Jahre der frucht¬
barsten Entwicklung. In der That, die Revolution, die damals
ganz Frankreich erschütterte, war den Bewohnern von Schloss Fi¬
quainville nur ein großartiges Schauspiel, wie ein fernes Gewitter,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182110"/>
          <p xml:id="ID_663" prev="#ID_662"> war natürlich einer der ersten Chevaliers. Er übte einen großen<lb/>
Einfluß auf seine Mitschüler und Freunde aus, obgleich er ihnen<lb/>
durch seine äußere Erscheinung wenig imponirte; &#x201E;denn eine dicke<lb/>
Mähne von rothen Haaren" &#x2014; auch Schiller war rothhaarig und<lb/>
scheint überhaupt einige physiognomische Aehnlichkeit mit Cuvier<lb/>
gehabt zu haben &#x2014; &#x201E;umwallte damals Cuviers längliches, blasses,<lb/>
durch Sommersprossen reichlich markirteö Gesicht. Seine Physiog¬<lb/>
nomie verrieth Ernst, ja Melancholie. Er stiftete eine naturhisto-<lb/>
rische Gesellschaft unter seinen College» und theilte seinerseits unter<lb/>
ihnen Orden von Pappe aus, um sie zu höherem Fleiß anzuspor¬<lb/>
nen." Sein Professor in der Naturgeschichte, Abel, dessen Vorträge<lb/>
er in's Französische übersetzte, schenkte ihm ein Eremplar von<lb/>
Linnv, dessen Lectüre ihm bei seinen fortwährenden selbständigen<lb/>
Naturbetrachtungen zu Hülfe kam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_664"> Nachdem Cuvier binnen vier Wochen seine Studien auf der<lb/>
Karls-Akademie absolvirt hatte, dachte er daran, sich um ein Amt<lb/>
in seinem Vaterlande zu bewerben. Dies hätte er auch am Ende<lb/>
erhalten, aber wie lange hätte er warten müssen! Und Cuvier<lb/>
konnte nicht lange warten, da er ohne alles Vermögen war. Die¬<lb/>
ser an sich so gewöhnliche Umstand entriß ihn dem Vaterlande<lb/>
und verpflanzte ihn nach Frankreich, dessen Ruhm und Zierde er<lb/>
werden sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_665"> Einer seiner Freunde, dem man eine Hofmeisterstelle in einer<lb/>
französischen Familie angetragen hatte, trat diesen Posten an Cu¬<lb/>
vier ab, der eben in der Lage war, einen Dienst, der für seine ir¬<lb/>
dischen Bedürfnisse sorgte, mit Freuden anzunehmen. Es war ein<lb/>
protestantischer Edelmann in der Normandie, Graf von H«-ricy,<lb/>
dessen Sohn er erziehen sollte; und er reiste daher im Jahre 1788<lb/>
nach Caen ab; die Familie seines Zöglings wohnte den größten.<lb/>
Theil des Jahres auf dem Schlosse Fiquainville bei Fecarp, in der<lb/>
Nähe des Meeres.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_666" next="#ID_667"> In diesem stillen Aufenthalt, wo die eben beginnende Umwäl¬<lb/>
zung in der Geschichte der Menschheit den jungen Priester der Na¬<lb/>
turgeschichte unberührt ließ, lebte Cuvier sieben Jahre der frucht¬<lb/>
barsten Entwicklung. In der That, die Revolution, die damals<lb/>
ganz Frankreich erschütterte, war den Bewohnern von Schloss Fi¬<lb/>
quainville nur ein großartiges Schauspiel, wie ein fernes Gewitter,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] war natürlich einer der ersten Chevaliers. Er übte einen großen Einfluß auf seine Mitschüler und Freunde aus, obgleich er ihnen durch seine äußere Erscheinung wenig imponirte; „denn eine dicke Mähne von rothen Haaren" — auch Schiller war rothhaarig und scheint überhaupt einige physiognomische Aehnlichkeit mit Cuvier gehabt zu haben — „umwallte damals Cuviers längliches, blasses, durch Sommersprossen reichlich markirteö Gesicht. Seine Physiog¬ nomie verrieth Ernst, ja Melancholie. Er stiftete eine naturhisto- rische Gesellschaft unter seinen College» und theilte seinerseits unter ihnen Orden von Pappe aus, um sie zu höherem Fleiß anzuspor¬ nen." Sein Professor in der Naturgeschichte, Abel, dessen Vorträge er in's Französische übersetzte, schenkte ihm ein Eremplar von Linnv, dessen Lectüre ihm bei seinen fortwährenden selbständigen Naturbetrachtungen zu Hülfe kam. Nachdem Cuvier binnen vier Wochen seine Studien auf der Karls-Akademie absolvirt hatte, dachte er daran, sich um ein Amt in seinem Vaterlande zu bewerben. Dies hätte er auch am Ende erhalten, aber wie lange hätte er warten müssen! Und Cuvier konnte nicht lange warten, da er ohne alles Vermögen war. Die¬ ser an sich so gewöhnliche Umstand entriß ihn dem Vaterlande und verpflanzte ihn nach Frankreich, dessen Ruhm und Zierde er werden sollte. Einer seiner Freunde, dem man eine Hofmeisterstelle in einer französischen Familie angetragen hatte, trat diesen Posten an Cu¬ vier ab, der eben in der Lage war, einen Dienst, der für seine ir¬ dischen Bedürfnisse sorgte, mit Freuden anzunehmen. Es war ein protestantischer Edelmann in der Normandie, Graf von H«-ricy, dessen Sohn er erziehen sollte; und er reiste daher im Jahre 1788 nach Caen ab; die Familie seines Zöglings wohnte den größten. Theil des Jahres auf dem Schlosse Fiquainville bei Fecarp, in der Nähe des Meeres. In diesem stillen Aufenthalt, wo die eben beginnende Umwäl¬ zung in der Geschichte der Menschheit den jungen Priester der Na¬ turgeschichte unberührt ließ, lebte Cuvier sieben Jahre der frucht¬ barsten Entwicklung. In der That, die Revolution, die damals ganz Frankreich erschütterte, war den Bewohnern von Schloss Fi¬ quainville nur ein großartiges Schauspiel, wie ein fernes Gewitter,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/300>, abgerufen am 01.09.2024.