Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schichte, die ihm durch die Lectüre eines Exemplars von Büffon
eingeflößt wurde. Dieses Eremplar war mit Kupferstichen illustrirt,
und der junge Cuvier, der bereits gut zeichnete, copirte die Stiche
und colorirte sie nach den Beschreibungen, die im Tut enthalten
waren.

Ein wunderbares Gedächtniß und eine unersättliche Wißbegier
zeichneten ihn frühzeitig aus. In seinem vierzehnten Jahre hatte
er die classischen Studien auf dem Mömpelgarder Gymnasium
glänzend absolvirt; er verstand Latein und Griechisch, Französisch
und Italienisch; er war in alter and neuer Geschichte bewandert
und wußte die trockensten Daten auswendig; eben so große Fort¬
schritte hatte er in der Mathematik gemacht und seine Leidenschaft
für die Naturgeschichte war entschieden.

Herzog Karl von Würtemberg, den man auf den Wunder¬
knaben aufmerksam gemacht hatte, ließ ihn in die Karls-Akademie
in Stuttgart aufnehmen, jenes großartige Institut, wo vierhundert
Zöglinge von 80 Professoren unterrichtet wurden. Es gab dort
fünf Abtheilungen- Jus, Medicin, Administration, Kriegs-, und
Handelöwissenschast, und jeder Schüler mußte, ehe er in eine der
fünf Facultäten trat, einen philosophischen Cursus durchmachen.
Cuvier wählte die Administration, und zwar, wie er selbst erzählte,
aus dem Grunde, weil er glaubte, daß in diesem Fach, welches
sich mit Allem auf der Welt beschäftigt, auch etwas Naturgeschichte
vorkommen und manche Gelegenheit sich finden würde, Herbarien
und Naturalienkabinette zu besuchen. -- Es muß aber noch ein
anderer Grund im Spiele gewesen sein, denn warum hätte er dann
nicht lieber die Medicin gewählt? Gewiß ist jedoch, daß die ad¬
ministrativen Studien auf der Karlsschule seinem Talent und seinen
Trieben zusagen mußten, denn er hat später in Frankreich nicht
wenig durch seine Genialität und Tüchtigkeit im VerwaltungSwc-
sen geglänzt.

Für jene Schüler der Karlsakademie, die in vier Hauptfä¬
chern bei den Scmestralprüfuugcn einen Preis errangen, gab es
eine den Geist jener Zeit charakterisierende Auszeichnung. Sie er¬
hielten nicht nur ein goldenes Ordenskreuz und den Titel "Cheva¬
lier", sondern sie aßen auch am Prinzcntisch und hatten elegantere
Wohn- und Schlafzimmer. Cuvier, der fast alle Preise gewann,
'


37

schichte, die ihm durch die Lectüre eines Exemplars von Büffon
eingeflößt wurde. Dieses Eremplar war mit Kupferstichen illustrirt,
und der junge Cuvier, der bereits gut zeichnete, copirte die Stiche
und colorirte sie nach den Beschreibungen, die im Tut enthalten
waren.

Ein wunderbares Gedächtniß und eine unersättliche Wißbegier
zeichneten ihn frühzeitig aus. In seinem vierzehnten Jahre hatte
er die classischen Studien auf dem Mömpelgarder Gymnasium
glänzend absolvirt; er verstand Latein und Griechisch, Französisch
und Italienisch; er war in alter and neuer Geschichte bewandert
und wußte die trockensten Daten auswendig; eben so große Fort¬
schritte hatte er in der Mathematik gemacht und seine Leidenschaft
für die Naturgeschichte war entschieden.

Herzog Karl von Würtemberg, den man auf den Wunder¬
knaben aufmerksam gemacht hatte, ließ ihn in die Karls-Akademie
in Stuttgart aufnehmen, jenes großartige Institut, wo vierhundert
Zöglinge von 80 Professoren unterrichtet wurden. Es gab dort
fünf Abtheilungen- Jus, Medicin, Administration, Kriegs-, und
Handelöwissenschast, und jeder Schüler mußte, ehe er in eine der
fünf Facultäten trat, einen philosophischen Cursus durchmachen.
Cuvier wählte die Administration, und zwar, wie er selbst erzählte,
aus dem Grunde, weil er glaubte, daß in diesem Fach, welches
sich mit Allem auf der Welt beschäftigt, auch etwas Naturgeschichte
vorkommen und manche Gelegenheit sich finden würde, Herbarien
und Naturalienkabinette zu besuchen. — Es muß aber noch ein
anderer Grund im Spiele gewesen sein, denn warum hätte er dann
nicht lieber die Medicin gewählt? Gewiß ist jedoch, daß die ad¬
ministrativen Studien auf der Karlsschule seinem Talent und seinen
Trieben zusagen mußten, denn er hat später in Frankreich nicht
wenig durch seine Genialität und Tüchtigkeit im VerwaltungSwc-
sen geglänzt.

Für jene Schüler der Karlsakademie, die in vier Hauptfä¬
chern bei den Scmestralprüfuugcn einen Preis errangen, gab es
eine den Geist jener Zeit charakterisierende Auszeichnung. Sie er¬
hielten nicht nur ein goldenes Ordenskreuz und den Titel „Cheva¬
lier", sondern sie aßen auch am Prinzcntisch und hatten elegantere
Wohn- und Schlafzimmer. Cuvier, der fast alle Preise gewann,
'


37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182109"/>
          <p xml:id="ID_659" prev="#ID_658"> schichte, die ihm durch die Lectüre eines Exemplars von Büffon<lb/>
eingeflößt wurde. Dieses Eremplar war mit Kupferstichen illustrirt,<lb/>
und der junge Cuvier, der bereits gut zeichnete, copirte die Stiche<lb/>
und colorirte sie nach den Beschreibungen, die im Tut enthalten<lb/>
waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_660"> Ein wunderbares Gedächtniß und eine unersättliche Wißbegier<lb/>
zeichneten ihn frühzeitig aus. In seinem vierzehnten Jahre hatte<lb/>
er die classischen Studien auf dem Mömpelgarder Gymnasium<lb/>
glänzend absolvirt; er verstand Latein und Griechisch, Französisch<lb/>
und Italienisch; er war in alter and neuer Geschichte bewandert<lb/>
und wußte die trockensten Daten auswendig; eben so große Fort¬<lb/>
schritte hatte er in der Mathematik gemacht und seine Leidenschaft<lb/>
für die Naturgeschichte war entschieden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_661"> Herzog Karl von Würtemberg, den man auf den Wunder¬<lb/>
knaben aufmerksam gemacht hatte, ließ ihn in die Karls-Akademie<lb/>
in Stuttgart aufnehmen, jenes großartige Institut, wo vierhundert<lb/>
Zöglinge von 80 Professoren unterrichtet wurden. Es gab dort<lb/>
fünf Abtheilungen- Jus, Medicin, Administration, Kriegs-, und<lb/>
Handelöwissenschast, und jeder Schüler mußte, ehe er in eine der<lb/>
fünf Facultäten trat, einen philosophischen Cursus durchmachen.<lb/>
Cuvier wählte die Administration, und zwar, wie er selbst erzählte,<lb/>
aus dem Grunde, weil er glaubte, daß in diesem Fach, welches<lb/>
sich mit Allem auf der Welt beschäftigt, auch etwas Naturgeschichte<lb/>
vorkommen und manche Gelegenheit sich finden würde, Herbarien<lb/>
und Naturalienkabinette zu besuchen. &#x2014; Es muß aber noch ein<lb/>
anderer Grund im Spiele gewesen sein, denn warum hätte er dann<lb/>
nicht lieber die Medicin gewählt? Gewiß ist jedoch, daß die ad¬<lb/>
ministrativen Studien auf der Karlsschule seinem Talent und seinen<lb/>
Trieben zusagen mußten, denn er hat später in Frankreich nicht<lb/>
wenig durch seine Genialität und Tüchtigkeit im VerwaltungSwc-<lb/>
sen geglänzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_662" next="#ID_663"> Für jene Schüler der Karlsakademie, die in vier Hauptfä¬<lb/>
chern bei den Scmestralprüfuugcn einen Preis errangen, gab es<lb/>
eine den Geist jener Zeit charakterisierende Auszeichnung. Sie er¬<lb/>
hielten nicht nur ein goldenes Ordenskreuz und den Titel &#x201E;Cheva¬<lb/>
lier", sondern sie aßen auch am Prinzcntisch und hatten elegantere<lb/>
Wohn- und Schlafzimmer. Cuvier, der fast alle Preise gewann,<lb/>
'</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 37</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] schichte, die ihm durch die Lectüre eines Exemplars von Büffon eingeflößt wurde. Dieses Eremplar war mit Kupferstichen illustrirt, und der junge Cuvier, der bereits gut zeichnete, copirte die Stiche und colorirte sie nach den Beschreibungen, die im Tut enthalten waren. Ein wunderbares Gedächtniß und eine unersättliche Wißbegier zeichneten ihn frühzeitig aus. In seinem vierzehnten Jahre hatte er die classischen Studien auf dem Mömpelgarder Gymnasium glänzend absolvirt; er verstand Latein und Griechisch, Französisch und Italienisch; er war in alter and neuer Geschichte bewandert und wußte die trockensten Daten auswendig; eben so große Fort¬ schritte hatte er in der Mathematik gemacht und seine Leidenschaft für die Naturgeschichte war entschieden. Herzog Karl von Würtemberg, den man auf den Wunder¬ knaben aufmerksam gemacht hatte, ließ ihn in die Karls-Akademie in Stuttgart aufnehmen, jenes großartige Institut, wo vierhundert Zöglinge von 80 Professoren unterrichtet wurden. Es gab dort fünf Abtheilungen- Jus, Medicin, Administration, Kriegs-, und Handelöwissenschast, und jeder Schüler mußte, ehe er in eine der fünf Facultäten trat, einen philosophischen Cursus durchmachen. Cuvier wählte die Administration, und zwar, wie er selbst erzählte, aus dem Grunde, weil er glaubte, daß in diesem Fach, welches sich mit Allem auf der Welt beschäftigt, auch etwas Naturgeschichte vorkommen und manche Gelegenheit sich finden würde, Herbarien und Naturalienkabinette zu besuchen. — Es muß aber noch ein anderer Grund im Spiele gewesen sein, denn warum hätte er dann nicht lieber die Medicin gewählt? Gewiß ist jedoch, daß die ad¬ ministrativen Studien auf der Karlsschule seinem Talent und seinen Trieben zusagen mußten, denn er hat später in Frankreich nicht wenig durch seine Genialität und Tüchtigkeit im VerwaltungSwc- sen geglänzt. Für jene Schüler der Karlsakademie, die in vier Hauptfä¬ chern bei den Scmestralprüfuugcn einen Preis errangen, gab es eine den Geist jener Zeit charakterisierende Auszeichnung. Sie er¬ hielten nicht nur ein goldenes Ordenskreuz und den Titel „Cheva¬ lier", sondern sie aßen auch am Prinzcntisch und hatten elegantere Wohn- und Schlafzimmer. Cuvier, der fast alle Preise gewann, ' 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/299>, abgerufen am 01.09.2024.