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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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der sah, nur den angenehmen Eindruck ihrer Menschen und ihres Le¬
bens dem Russischen gegenüber gefühlt hat. Dieser Vergleich war
ihnen allerdings ungemein vorteilhaft, denn die Perspective war durch
russische Streiflichter verschoben. -- Der zweite Band bringt die Arti¬
kel: "Machtschaft, Bureaukratie; öffentliche und geheime Polizei; Ju¬
stiz/' Auch hier ist viel Wahres und Beherzigenswerthes, viel pi-
quantes, anekdotisches Klcinwerkz allein vergeblich sucht man nach
neuen Offenbarungen, welche uns dieser Deutsche verheißt, und ertödtend
überschwemmt uns dagegen auch hier die Tirade, die allgemeine Refla¬
tion, die abgebrauchte allgemeine Declamation. -- Selbst im dritten
Bande suchen wir umsonst nach jenem Neuen, Unerhörten, was die,
Grundirung verspricht. Wir müssen auch hier das Schlagende und
Ergreisende der "Stimmen aus den Kerkern/' einzelner anekdotischer
Abtheilungen in "Kirche und Schule," der Bemerkungen über "Öf¬
fentliches und Privatleben" anerkennen -- aber neu sind höchstens
nur kleine kurze Geschichten. Nußland ist in Deutschland wahrlich
besser gekannt, als der Verfasser glaubt. Der beste Artikel des gan¬
zen Buches ist jedenfalls dessen letzter, "Regierungszeit Nikolaus I.,"
well in organischen Uebersichten das ,Leben dieser Periode umfassend
Allein neu ist auch davon der größte Theil nicht zu nennen und be¬
sonders eröffnet sich weder dem irgend mit der modernen Literatur über
Rußland vertrauten Leser, noch jenem, welcher das Reich aus eigner,
wenn schon nicht 33jähriger Anschauung kennen lernte, ein neuer Ge¬
sichtspunkt für die Auffassung der russischen Welt. Was also nun das
Urtheil über das ganze Buch? Es ist ein Beweis mehr für die.
Wahrheit der heutigen Darstellungen Rußlands, allein es giebt nur
wenig Neues. Dies darum, weil der Verf. die Literatur über Ru߬
land nicht kannte und seine KvvvIiUions überschätzt, auch vor dem
Schwall allgemeiner Reflationen zu keinen speciellen Abschlüssen ge¬
langt. Auch für die Publicistik in Bezug auf Rußland ist die Zeit
der Declamation vorbei; man will nackte, klare, große Thatsachen,
scharfe Vergleichungen zwischen Theorie und Praxis des Gesetzes, ge¬
naue Bezeichnungen der russischen Gegensatze zwischen Wort und
That. Da aber nun der Verf. Rußlands inneres Leben schilderte,
mußte er vor Allem auch das Volk berücksichtigen, mußte er die er¬
schreckenden Verhältnisse offenbaren, welche sich durch den aufgedrun¬
genen Jndustrialismus im Conflict mit dem staatsökonomischen Ver¬
fahren desselben Cancrin entwickelten, welchem der Verf. so augen¬
scheinlich gern Lorbeeren streuen möchte. Hier liegt der Knoten, hier
das Elend des heutigen Nußland -- hier auch der gefährlichste, weil
absichtlich nur sehr sanft berührte Punkt dieser dreiunddreißigjährigen
Erfahrungen. Hier ist ein absichtliches oder blödes, jedenfalls ein
unverzeihliches Uebersehen. Und weil dieser eine Punkt nicht offen
behandelt wird, wankt leicht der Glaube an das ganze Buch. Sklave-
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bens dem Russischen gegenüber gefühlt hat. Dieser Vergleich war
ihnen allerdings ungemein vorteilhaft, denn die Perspective war durch
russische Streiflichter verschoben. — Der zweite Band bringt die Arti¬
kel: „Machtschaft, Bureaukratie; öffentliche und geheime Polizei; Ju¬
stiz/' Auch hier ist viel Wahres und Beherzigenswerthes, viel pi-
quantes, anekdotisches Klcinwerkz allein vergeblich sucht man nach
neuen Offenbarungen, welche uns dieser Deutsche verheißt, und ertödtend
überschwemmt uns dagegen auch hier die Tirade, die allgemeine Refla¬
tion, die abgebrauchte allgemeine Declamation. — Selbst im dritten
Bande suchen wir umsonst nach jenem Neuen, Unerhörten, was die,
Grundirung verspricht. Wir müssen auch hier das Schlagende und
Ergreisende der „Stimmen aus den Kerkern/' einzelner anekdotischer
Abtheilungen in „Kirche und Schule," der Bemerkungen über „Öf¬
fentliches und Privatleben" anerkennen — aber neu sind höchstens
nur kleine kurze Geschichten. Nußland ist in Deutschland wahrlich
besser gekannt, als der Verfasser glaubt. Der beste Artikel des gan¬
zen Buches ist jedenfalls dessen letzter, „Regierungszeit Nikolaus I.,"
well in organischen Uebersichten das ,Leben dieser Periode umfassend
Allein neu ist auch davon der größte Theil nicht zu nennen und be¬
sonders eröffnet sich weder dem irgend mit der modernen Literatur über
Rußland vertrauten Leser, noch jenem, welcher das Reich aus eigner,
wenn schon nicht 33jähriger Anschauung kennen lernte, ein neuer Ge¬
sichtspunkt für die Auffassung der russischen Welt. Was also nun das
Urtheil über das ganze Buch? Es ist ein Beweis mehr für die.
Wahrheit der heutigen Darstellungen Rußlands, allein es giebt nur
wenig Neues. Dies darum, weil der Verf. die Literatur über Ru߬
land nicht kannte und seine KvvvIiUions überschätzt, auch vor dem
Schwall allgemeiner Reflationen zu keinen speciellen Abschlüssen ge¬
langt. Auch für die Publicistik in Bezug auf Rußland ist die Zeit
der Declamation vorbei; man will nackte, klare, große Thatsachen,
scharfe Vergleichungen zwischen Theorie und Praxis des Gesetzes, ge¬
naue Bezeichnungen der russischen Gegensatze zwischen Wort und
That. Da aber nun der Verf. Rußlands inneres Leben schilderte,
mußte er vor Allem auch das Volk berücksichtigen, mußte er die er¬
schreckenden Verhältnisse offenbaren, welche sich durch den aufgedrun¬
genen Jndustrialismus im Conflict mit dem staatsökonomischen Ver¬
fahren desselben Cancrin entwickelten, welchem der Verf. so augen¬
scheinlich gern Lorbeeren streuen möchte. Hier liegt der Knoten, hier
das Elend des heutigen Nußland — hier auch der gefährlichste, weil
absichtlich nur sehr sanft berührte Punkt dieser dreiunddreißigjährigen
Erfahrungen. Hier ist ein absichtliches oder blödes, jedenfalls ein
unverzeihliches Uebersehen. Und weil dieser eine Punkt nicht offen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/294>, abgerufen am 23.12.2024.