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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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boten vertiefend, um dann wieder zu etwas Andern eben so
Aeußerlichen überspringen, wovon sie auch nichts Rechtes sagen. An
der ganzen deutschen Enthüllungsliteratur über Rußland macht sich
ein großer Mangel an Methode und Organisation geltend. Leider
auch zum großen Theil in einem neuen derartigen Erzeugniß, wel¬
ches den Titel führt: "Rußlands inneres Leben-, drei und
dreißigjährige Erfahrungen eines Deutschen in Nußland." Drei Bande
stark tritt es auf; sollte man da nicht auf etwas Volles und Ganzes
hoffen dürfen? Es beginnt mit einer 74 Seiten langen Grundirung;
ließ sich da nicht eine organische Grundlage erwarten? Aber nein,
diese ist nicht zu Stande gekommen. Der ganze Inhalt dieser Grun¬
dirung läßt sich vielmehr auf den einzigen Satz zurückführen: es
kennen nur wenige Deutsche Rußland und die Widerlager Cüstine's
lügen sämmtlich, wenn, sie seine Iiu8"i<; unwahr nennen. Das war
allerdings zu sehr großem Theile richtig bis vor wenigen Jahren;
allein der Verfasser kennt die neueste deutsche und verdeutschte
Literatur nicht, wenn er sagt, nur Gutzkow, Arndt und ein Mitar¬
beiter der Grenzboten kennen Rußland. Und der Anspruch auf eine
vollständige Kenntniß der deutschen Anschauung von Rußland, der
deutschen modernsten Schriften über Rußland, giebt dem vorliegenden
Buch zunächst der Kritik gegenüber einen schweren Stand. Wer so
aburtheilt, muß selber außerordentlich hochstehen und außerordentlich
vvel Neues bringen. Allein Trcumund Welp, Göhring, und A. ha¬
ben uns gerade dieselben Ansichten gegeben, welche dieser Deutsche in
seinen drei Banden entwickelt, ja sogar einen großen Theil der von
ihm mitgetheilten einzelnen thatsächlichen Beweise für solche be¬
reits vorgelegt. Dabei haben sie den ganzen unendlichen Ballast von
allgemeinen und speciellen Reflexionen und Raisonnements vermieden,
in denen sich dieses Buch bis zur äußersten Ermüdung des Lejers
vertieft" -- Gehen wir nun aber zu den einzelnen Theilen des
Werkes über. -- Die "Erinnerungen an Ostpreußen" geben einige
interessante Memoirenbruchstücke aus dem Jahre 18t2 und zugleich
einige Beispiele damaliger Verwaltungsweise an der russischen Grenze
-- davon gilt Alles mit äußerst wenigen kleinen Abänderungen noch
heut. Auch die "Reiseeindrücke von Polangen bis Petersburg" kennen
wir in derselben Gestalt aus neuern Schilderungen; doch sind in neue¬
ster Zeit gerade die PostVerhältnisse dieser Wegstrecke besser geworden.
"Petersburg" -- ich wüßte nichts Neues, nichts bisher von andern
deutschen Schriftstellern Uebergangcnes darin zu finden, außer breiten
Deklamationen. Wahr und richtig sind allerdings die Darstellungen
-- aber dieser Deutsche sagt ja, kein deutscher Schriftsteller habe
Nußland richtig geschildert. Mit großer, wohl zu großer Vorliebe
sind "die baltischen Provinzen" abgehandelt. Man ersieht, daß der
Verf. sie nur flüchtig kennen gelernt, und, wenn er sie ja öfter wie?


boten vertiefend, um dann wieder zu etwas Andern eben so
Aeußerlichen überspringen, wovon sie auch nichts Rechtes sagen. An
der ganzen deutschen Enthüllungsliteratur über Rußland macht sich
ein großer Mangel an Methode und Organisation geltend. Leider
auch zum großen Theil in einem neuen derartigen Erzeugniß, wel¬
ches den Titel führt: „Rußlands inneres Leben-, drei und
dreißigjährige Erfahrungen eines Deutschen in Nußland." Drei Bande
stark tritt es auf; sollte man da nicht auf etwas Volles und Ganzes
hoffen dürfen? Es beginnt mit einer 74 Seiten langen Grundirung;
ließ sich da nicht eine organische Grundlage erwarten? Aber nein,
diese ist nicht zu Stande gekommen. Der ganze Inhalt dieser Grun¬
dirung läßt sich vielmehr auf den einzigen Satz zurückführen: es
kennen nur wenige Deutsche Rußland und die Widerlager Cüstine's
lügen sämmtlich, wenn, sie seine Iiu8«i<; unwahr nennen. Das war
allerdings zu sehr großem Theile richtig bis vor wenigen Jahren;
allein der Verfasser kennt die neueste deutsche und verdeutschte
Literatur nicht, wenn er sagt, nur Gutzkow, Arndt und ein Mitar¬
beiter der Grenzboten kennen Rußland. Und der Anspruch auf eine
vollständige Kenntniß der deutschen Anschauung von Rußland, der
deutschen modernsten Schriften über Rußland, giebt dem vorliegenden
Buch zunächst der Kritik gegenüber einen schweren Stand. Wer so
aburtheilt, muß selber außerordentlich hochstehen und außerordentlich
vvel Neues bringen. Allein Trcumund Welp, Göhring, und A. ha¬
ben uns gerade dieselben Ansichten gegeben, welche dieser Deutsche in
seinen drei Banden entwickelt, ja sogar einen großen Theil der von
ihm mitgetheilten einzelnen thatsächlichen Beweise für solche be¬
reits vorgelegt. Dabei haben sie den ganzen unendlichen Ballast von
allgemeinen und speciellen Reflexionen und Raisonnements vermieden,
in denen sich dieses Buch bis zur äußersten Ermüdung des Lejers
vertieft» — Gehen wir nun aber zu den einzelnen Theilen des
Werkes über. — Die „Erinnerungen an Ostpreußen" geben einige
interessante Memoirenbruchstücke aus dem Jahre 18t2 und zugleich
einige Beispiele damaliger Verwaltungsweise an der russischen Grenze
— davon gilt Alles mit äußerst wenigen kleinen Abänderungen noch
heut. Auch die „Reiseeindrücke von Polangen bis Petersburg" kennen
wir in derselben Gestalt aus neuern Schilderungen; doch sind in neue¬
ster Zeit gerade die PostVerhältnisse dieser Wegstrecke besser geworden.
„Petersburg" — ich wüßte nichts Neues, nichts bisher von andern
deutschen Schriftstellern Uebergangcnes darin zu finden, außer breiten
Deklamationen. Wahr und richtig sind allerdings die Darstellungen
— aber dieser Deutsche sagt ja, kein deutscher Schriftsteller habe
Nußland richtig geschildert. Mit großer, wohl zu großer Vorliebe
sind „die baltischen Provinzen" abgehandelt. Man ersieht, daß der
Verf. sie nur flüchtig kennen gelernt, und, wenn er sie ja öfter wie?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/293>, abgerufen am 23.12.2024.