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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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großartigen Gedankens wird die industrielle Unabhängigkeit Ungarns
mehr gefördert, als durch alle Bestrebungen des Schutzvereins, dem
wir indeß gern das Verdienst der Anregung lassen wollen.

Die politische Debatte dreht sich gegenwärtig hauptsachlich um
die kroatischen Zerwürfnisse, und dort, an der Südgrenze Ungarns
ist die Achillesferse des Ultramagyarismus zu suchen, und der Gang
der jüngsten Ereignisse verspricht eine sichere Einbuße, welche von der
Oppositionspartei um so schmerzlicher empfunden wird, als man sie
gar nicht vermuthet hatte. Der Stadtmagistcat von Agram hat sich
bittlich an den Thron gewendet und wünscht bei der Wiederbesetzung
der durch Graf Halters Abberufung erledigten Stelle eines Barus
von Kroatien, welche jetzt von dem Bischof Haulik provisorisch verse¬
hen wird, die Bestellung eines Prinzen des Kaiserhauses, wobei
auf den Umstand hingewiesen wird, daß die meisten Pro¬
vinzen des Kaiserstaates einen Erzherzog an der Spitze der Ver¬
waltung haben, namentlich Ungarn, Galizien, Böhmen und Italien,
und daß Niemand mehr geeignet sei, über den genauen Vollzug der
Gesetze zu wachen, als ein Glied der kaiserlichen Familie selbst, das
über allen Parteien stehend, ohne Sympathien und Eigennutz blos
das Wohl des Landes im Auge behalten würde. Die liberale
Partei fürchtet, daß diesem Begehren am Hofe Willfahrung zu Theil
werden könnte, und in der Person des Erzherzogs Albrecht, der sich
schon lange nach einem größeren Wirkungskreise sehnen dürfte, als
ihm seine Stellung als kommandirender General von Niederösterreich
zu gewähren im Stande ist, den Croaten ein neuer Barus gesen¬
det würde, indem durch diese Besetzung Eroatien unfehlbar an Kraft
und Selbstständigkeit gewönne und die Centralgewalt des ungarischen
Reichstages in Abnahme käme.

Jn> einem Orte des Zalaer Comitats beklagen sich die Ein¬
wohner, seit drei Monaten ohne Schullehrer zu sein. Und was ist
-Schuld daran? Die merkwürdige Verfügung des weisen Stuhlrich¬
ters, der den Lehrer für den Straßenbau requirirt hatte; da nun der
Bildner der Jugend mit der Schaufel in der Hand die Steine auf¬
laden und das Erdreich ebnen mußte, so war es ganz natürlich, daß
die Schulkinder indeß Ferien hatten. Was läßt sich aber von einem
Volksunterricht erwarten, dessen Träger so wenig Ansehen bei den
Behörden selbst genießen, daß sie wie gemeine Bauern zu ge¬
wöhnlicher Taglöhnerarbeit gezwungen werden können? -- Diesem
traurigen Exempel stumpfsinniger Barbarei wollen wir eine Thatsache
folgen lassen, welche geeignet ist, einen hellen Lichtstreifen auf das
dunkle Bild ungarischer Zustände zu werfen, und gleichsam die Bürg¬
schaft einer bessern Zukunft enthält. Die Communen Chaba und
Szarvos haben sich auf Grund des Ablösungsgesetzes von 1839 und
1841 von allen Urbarialleistungen und herrschaftlichen Abgaben frei
gemacht, so daß Ungarn wieder um 4v,0öl) Leibeigene ärmer, und um


großartigen Gedankens wird die industrielle Unabhängigkeit Ungarns
mehr gefördert, als durch alle Bestrebungen des Schutzvereins, dem
wir indeß gern das Verdienst der Anregung lassen wollen.

Die politische Debatte dreht sich gegenwärtig hauptsachlich um
die kroatischen Zerwürfnisse, und dort, an der Südgrenze Ungarns
ist die Achillesferse des Ultramagyarismus zu suchen, und der Gang
der jüngsten Ereignisse verspricht eine sichere Einbuße, welche von der
Oppositionspartei um so schmerzlicher empfunden wird, als man sie
gar nicht vermuthet hatte. Der Stadtmagistcat von Agram hat sich
bittlich an den Thron gewendet und wünscht bei der Wiederbesetzung
der durch Graf Halters Abberufung erledigten Stelle eines Barus
von Kroatien, welche jetzt von dem Bischof Haulik provisorisch verse¬
hen wird, die Bestellung eines Prinzen des Kaiserhauses, wobei
auf den Umstand hingewiesen wird, daß die meisten Pro¬
vinzen des Kaiserstaates einen Erzherzog an der Spitze der Ver¬
waltung haben, namentlich Ungarn, Galizien, Böhmen und Italien,
und daß Niemand mehr geeignet sei, über den genauen Vollzug der
Gesetze zu wachen, als ein Glied der kaiserlichen Familie selbst, das
über allen Parteien stehend, ohne Sympathien und Eigennutz blos
das Wohl des Landes im Auge behalten würde. Die liberale
Partei fürchtet, daß diesem Begehren am Hofe Willfahrung zu Theil
werden könnte, und in der Person des Erzherzogs Albrecht, der sich
schon lange nach einem größeren Wirkungskreise sehnen dürfte, als
ihm seine Stellung als kommandirender General von Niederösterreich
zu gewähren im Stande ist, den Croaten ein neuer Barus gesen¬
det würde, indem durch diese Besetzung Eroatien unfehlbar an Kraft
und Selbstständigkeit gewönne und die Centralgewalt des ungarischen
Reichstages in Abnahme käme.

Jn> einem Orte des Zalaer Comitats beklagen sich die Ein¬
wohner, seit drei Monaten ohne Schullehrer zu sein. Und was ist
-Schuld daran? Die merkwürdige Verfügung des weisen Stuhlrich¬
ters, der den Lehrer für den Straßenbau requirirt hatte; da nun der
Bildner der Jugend mit der Schaufel in der Hand die Steine auf¬
laden und das Erdreich ebnen mußte, so war es ganz natürlich, daß
die Schulkinder indeß Ferien hatten. Was läßt sich aber von einem
Volksunterricht erwarten, dessen Träger so wenig Ansehen bei den
Behörden selbst genießen, daß sie wie gemeine Bauern zu ge¬
wöhnlicher Taglöhnerarbeit gezwungen werden können? — Diesem
traurigen Exempel stumpfsinniger Barbarei wollen wir eine Thatsache
folgen lassen, welche geeignet ist, einen hellen Lichtstreifen auf das
dunkle Bild ungarischer Zustände zu werfen, und gleichsam die Bürg¬
schaft einer bessern Zukunft enthält. Die Communen Chaba und
Szarvos haben sich auf Grund des Ablösungsgesetzes von 1839 und
1841 von allen Urbarialleistungen und herrschaftlichen Abgaben frei
gemacht, so daß Ungarn wieder um 4v,0öl) Leibeigene ärmer, und um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/288>, abgerufen am 01.09.2024.