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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Und dann, nachdem er noch die verflechten und verwilderten
Weiber und Kinder sich auf dem Zimmerplatze um ein paar elende
Spähne Holz, die sie des Weihnachtsfestes wegen auflesen dürfen,
sich raufen gesehen, hört er auf dem Stübchen des Leichenkutschers,
dem er eine Flasche Wein spendet, von dem und seiner Frau die
traurige Geschichte eines armen braven, nicht schönen, aber ächt
weiblichen, weiblich liebenden, weiblich stolzen Mädchens, das, den
reichen, wankelmüthigen, herzlosen Geliebten, da sie ihn ihrer über-
drüßig sieht, seines Worts entbindet, und gebrochenen Herzens hin¬
stirbt. Und am Ende erquickt uns nichts nach all der Marter
unseres Gefühls, als die rührende Anhänglichkeit jenes Leichenkut¬
schers, der die Gute gekannt und lieb gehabt hat, und der mit sei¬
nem Kameraden, dem Lcichenkutscher des andern Viertels, tauscht,
um ihre armen Reste auf den Kirchhof zu fahren. Uebrigens bleibt
der Mißton ungelöst, der Schmerz der Vernichtung nach einem
Dasein voll Weh ungelindert:

Wer aber weiß, daß du gewesen?
'
Auf keinem Grabstein ists zu lesen.
schriebst einst in eine harte Seele
Mit deinem Blut den Namen: Adele!
Da war er verwischt nach wenig Tagen,
Das hat dich, mein armes Veilchen erschlagen. --

So zeigt er ferner uns Knecht und Magd, die in ihrer Jugend und
Liebeszeit einander nicht genießen können, in stetem Sehnen und
Warten rasch altern, endlich an das Ziel ihrer Wünsche gelangt,
einander besitzen, nun, da die Jugendglut erloschen, da sie nur noch
"Blumen im Eise" pflücken können "ein Tanz auf Krücken,"
eine Erfüllung der Sehnsucht, die ein Spott ist. Er zeigt uns den
Vater welcher seine Tochter betteln und die mitleidige Reiche be¬
lügen lehrt; diese gutmüthige, welche Almosen giebt, sagt er, büße
für die anderen hartherzigen Reichen. Er zeigt uns den Trödelju¬
den, der von aller Welt verlacht wird und "lächelt vielleicht noch
selber mit," dem der Christ so viele Erwerbszweige verschließt, --
er darf "wohlthun, Stiftungen machen, Kranke heilen und Trvdcl-
jude sein" -- und der mit dem mühseligen Tagewerke Salz lind
Brot gewinnt; nun, und er ist ein Mensch, er blickt, ermüdet heim¬
gekommen, sein schlafend Kind an, und das Herz geht ihm auf.


Und dann, nachdem er noch die verflechten und verwilderten
Weiber und Kinder sich auf dem Zimmerplatze um ein paar elende
Spähne Holz, die sie des Weihnachtsfestes wegen auflesen dürfen,
sich raufen gesehen, hört er auf dem Stübchen des Leichenkutschers,
dem er eine Flasche Wein spendet, von dem und seiner Frau die
traurige Geschichte eines armen braven, nicht schönen, aber ächt
weiblichen, weiblich liebenden, weiblich stolzen Mädchens, das, den
reichen, wankelmüthigen, herzlosen Geliebten, da sie ihn ihrer über-
drüßig sieht, seines Worts entbindet, und gebrochenen Herzens hin¬
stirbt. Und am Ende erquickt uns nichts nach all der Marter
unseres Gefühls, als die rührende Anhänglichkeit jenes Leichenkut¬
schers, der die Gute gekannt und lieb gehabt hat, und der mit sei¬
nem Kameraden, dem Lcichenkutscher des andern Viertels, tauscht,
um ihre armen Reste auf den Kirchhof zu fahren. Uebrigens bleibt
der Mißton ungelöst, der Schmerz der Vernichtung nach einem
Dasein voll Weh ungelindert:

Wer aber weiß, daß du gewesen?
'
Auf keinem Grabstein ists zu lesen.
schriebst einst in eine harte Seele
Mit deinem Blut den Namen: Adele!
Da war er verwischt nach wenig Tagen,
Das hat dich, mein armes Veilchen erschlagen. —

So zeigt er ferner uns Knecht und Magd, die in ihrer Jugend und
Liebeszeit einander nicht genießen können, in stetem Sehnen und
Warten rasch altern, endlich an das Ziel ihrer Wünsche gelangt,
einander besitzen, nun, da die Jugendglut erloschen, da sie nur noch
„Blumen im Eise" pflücken können „ein Tanz auf Krücken,"
eine Erfüllung der Sehnsucht, die ein Spott ist. Er zeigt uns den
Vater welcher seine Tochter betteln und die mitleidige Reiche be¬
lügen lehrt; diese gutmüthige, welche Almosen giebt, sagt er, büße
für die anderen hartherzigen Reichen. Er zeigt uns den Trödelju¬
den, der von aller Welt verlacht wird und „lächelt vielleicht noch
selber mit," dem der Christ so viele Erwerbszweige verschließt, —
er darf „wohlthun, Stiftungen machen, Kranke heilen und Trvdcl-
jude sein" — und der mit dem mühseligen Tagewerke Salz lind
Brot gewinnt; nun, und er ist ein Mensch, er blickt, ermüdet heim¬
gekommen, sein schlafend Kind an, und das Herz geht ihm auf.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/266>, abgerufen am 02.09.2024.