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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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überzeugenden Erfahrung. Ich meine das Schicksal des Centralvereins
für das Wohl der arbeitenden Klassen. In der Generalversammlung,
welche kürzlich stattfand, wurde den Versammelten mitgetheilt, daß das
Ministerium schon im November 1844 um Bestätigung der demselben
überreichten Statuten ersucht worden war, worauf denn nicht eher
als unter dem 4. April 184" ein Bescheid erfolgte. Die Erfahrun¬
gen, die man an dem Vereine bis dahin gemacht, hieß es in diesem
Bescheide, hatten Verirrungen in das Gebiet des Idealen gezeigt,
maßlose, unerfüllbare Hoffnungen hervorgerufen; die Zwecke, welche
sich der Verein gesetzt, waren solche, durch deren Verfolgung er in
den Wirkungskreis der Staats - und Communalbehörden eingrissez
man möge sich denn nur vor der Hand auf Errichtung von Spar-
und Pramienkassm beschränken, Se. Majestät würde das (freilich An¬
fangs unter der Bedingung, daß sich der Verein nicht auf Errich¬
tung von Sparkassen beschränke) zugesagte Geschenk von 1 )l100 Thlr.
dem Vereine dennoch belassen. -- Unterm 10. Juni hatte darauf
der Vorstand in einem abermaligen Gesuche, gegen die gedachte
Ministerialverfügung remonstrirend, auf Genehmigung der zuvor über¬
reichten Statuten angetragen. Auf diese Eingabe war derselbe gänz¬
lich ohne Bescheid geblieben. -- Die Versammlung beschloß fast ein¬
hellig, (indem nur der Professor v. Henning anrieth, den Verein als
aufgelöst zu betrachten und die ganze Sache der Fürsorge der Regie¬
rung anheim zu stellen), die Aufrechterhaltung des Vereins. -- So
steht nun die Sache. Dem Centralverein würde wohl schwerlich hem¬
mend entgegengetreten worden sein, wenn nicht die etwas unruhigen
Geister, welche sich in dem Localvereine regten, Besorgnisse erweckt
hätten. Diese unruhigen Geister besaßen zwar, wie bekannt, die
Selbstüberwindung, von ihren ersten Anfoderungen an den Verein
abzustehen, um nicht, was die Folge des Beharrens auf diesen An¬
foderungen gewesen sein würde, den Verein noch vor seiner Geburt
zu sprengen; allein vielleicht erschienen sie gerade wegen dieser Selbst¬
beherrschung und Resignation nur um so gefährlicher. Genug, die
Löschanstalten, welche gegen das Jugendfeuer des Localvereines vor¬
gekehrt wurden, richteten, wie das beim Feuerlöschen zu geschehen
pflegt, daS heile und vom Brande gar nicht ergriffen gewesene innere
Haus, den Centralverein, mit zu Grunde. -- Ich, für mein Theil,
habe mir von der zukünftigen Wirksamkeit dieser Vereine nie etwas
wahrhaft Förderliches für das Wohl der arbeitenden Klassen verspro¬
chen; denn die Geschichte lehrt, daß eine ganze Menschenklasse durch
die Wohlthätigkeit einer anderen, welche über ihr steht, niemals wirk¬
sam gehoben worden ist, sondern daß immer nur diejenigen Klassen
emporkamen, welche sich selbst emporbrachten. Wenn nicht die Klasse
der im alten Rom um die Mitte des 5. Jahrhunderts
sich selbst Eingang in die 1?ri,I)us und sogar Zutritt zu den öhrig-


überzeugenden Erfahrung. Ich meine das Schicksal des Centralvereins
für das Wohl der arbeitenden Klassen. In der Generalversammlung,
welche kürzlich stattfand, wurde den Versammelten mitgetheilt, daß das
Ministerium schon im November 1844 um Bestätigung der demselben
überreichten Statuten ersucht worden war, worauf denn nicht eher
als unter dem 4. April 184» ein Bescheid erfolgte. Die Erfahrun¬
gen, die man an dem Vereine bis dahin gemacht, hieß es in diesem
Bescheide, hatten Verirrungen in das Gebiet des Idealen gezeigt,
maßlose, unerfüllbare Hoffnungen hervorgerufen; die Zwecke, welche
sich der Verein gesetzt, waren solche, durch deren Verfolgung er in
den Wirkungskreis der Staats - und Communalbehörden eingrissez
man möge sich denn nur vor der Hand auf Errichtung von Spar-
und Pramienkassm beschränken, Se. Majestät würde das (freilich An¬
fangs unter der Bedingung, daß sich der Verein nicht auf Errich¬
tung von Sparkassen beschränke) zugesagte Geschenk von 1 )l100 Thlr.
dem Vereine dennoch belassen. — Unterm 10. Juni hatte darauf
der Vorstand in einem abermaligen Gesuche, gegen die gedachte
Ministerialverfügung remonstrirend, auf Genehmigung der zuvor über¬
reichten Statuten angetragen. Auf diese Eingabe war derselbe gänz¬
lich ohne Bescheid geblieben. — Die Versammlung beschloß fast ein¬
hellig, (indem nur der Professor v. Henning anrieth, den Verein als
aufgelöst zu betrachten und die ganze Sache der Fürsorge der Regie¬
rung anheim zu stellen), die Aufrechterhaltung des Vereins. — So
steht nun die Sache. Dem Centralverein würde wohl schwerlich hem¬
mend entgegengetreten worden sein, wenn nicht die etwas unruhigen
Geister, welche sich in dem Localvereine regten, Besorgnisse erweckt
hätten. Diese unruhigen Geister besaßen zwar, wie bekannt, die
Selbstüberwindung, von ihren ersten Anfoderungen an den Verein
abzustehen, um nicht, was die Folge des Beharrens auf diesen An¬
foderungen gewesen sein würde, den Verein noch vor seiner Geburt
zu sprengen; allein vielleicht erschienen sie gerade wegen dieser Selbst¬
beherrschung und Resignation nur um so gefährlicher. Genug, die
Löschanstalten, welche gegen das Jugendfeuer des Localvereines vor¬
gekehrt wurden, richteten, wie das beim Feuerlöschen zu geschehen
pflegt, daS heile und vom Brande gar nicht ergriffen gewesene innere
Haus, den Centralverein, mit zu Grunde. — Ich, für mein Theil,
habe mir von der zukünftigen Wirksamkeit dieser Vereine nie etwas
wahrhaft Förderliches für das Wohl der arbeitenden Klassen verspro¬
chen; denn die Geschichte lehrt, daß eine ganze Menschenklasse durch
die Wohlthätigkeit einer anderen, welche über ihr steht, niemals wirk¬
sam gehoben worden ist, sondern daß immer nur diejenigen Klassen
emporkamen, welche sich selbst emporbrachten. Wenn nicht die Klasse
der im alten Rom um die Mitte des 5. Jahrhunderts
sich selbst Eingang in die 1?ri,I)us und sogar Zutritt zu den öhrig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/188>, abgerufen am 28.07.2024.