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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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daher das Billet - tour auf, welches für den Cyniker bestimmt
war. Dann begiebt er sich in das Hotel Aspasias. Es ist die
zweite Stunde in der Nacht, und sie hatte versprochen, bis dahin
unter ihren Freiern zu wählen. Alle sind daher versammelt mit po¬
chenden Herzen. Endlich spricht Aspasia. "Ich schwöre bei Diana,
daß ich Niemandem gehören will als dem Diogenes" . . . Im rech¬
ten Moment springt auch der Cyniker auf die Bühne. Zweifacher
Aufschrei, Umarmung, und dann wendet sich die Herrin des Palastes
zu den Anderen: "Entfernt euch, ihr Profanen!" Alkibiades
aber beschließt, sich zu rächen.

Man sollte denken, Diogenes, der Cyniker, dem der Triumph
über den ersten Lion von Athen, über den schönen und genialen Al¬
kibiades, gelungen, werde nun zufrieden sein, da doch die Lieb?
das einzige war, was ihn verleiten konnte, wieder Mensch zu wer-
den, uno er werde nun in (Iulci. ^ihnn mit seiner göttlichen Mai¬
tresse leben und höchstens etwas elegantere Manieren annehmen und
seine Locken hüthen. Aber nein! Ist man wieder einmal Mensch
geworden, so weicht der Cynismus allmali'g allen menschlichen Eitel¬
keiten. Diogenes will durchausArchont werden. Im vierten Acte
sehen wir ihn aus dem Markt von Athen. Herolde rufen zur Ar-
chontenwahl. Da man weiß, daß Diogenes unter den Candidaten
ist, so sagen die Plebejer zu ihm: Gieb uns die Vorrechte der Pa¬
tricier und wir wählen dich. -- Dann sagen die Patricier zu ihm:
Gieb uns die Macht der Archontcnstelle, und du hast unsere Stim¬
men. -- Diogenes, in seinem Unwillen über solche Intriguen,
wünscht sie in die Unterwelt, und hätte bald Lust, wieder in seine
Tonne zu kriechen. Nur Aspasia tröstet ihn und fesselt ihn an die
civilisirte Gesellschaft. Aber da treten neue Herolde auf und citiren
Aspasia, auf die Anklage des Hyperboles, vor die Archonten, weil
sie bei Diana geschworen habe, nur dem Diogenes anzugehören und
diesen Schwur verletzt habe. Da schäumt Diogenes auf. Also auch
die Liebe war eine Illusion! -- er kriecht in seine Tonne.

Fünfter Act. Wir sind vor dem Tribunal der Archonten.
Der Ankläger Hyperboles ist ein Mann des Gesetzes, ein Advo-
cat, ein gewesener Dieb, ja derselbe Spitzbube, der dem Diogenes
am ersten Tage in Athen das Diebeshandwerk verleidet hat. Er
hat von Alkibiades hundert Drachmen erhalten, damit er Aspasia
denunciren und sich als ihren Mitschuldigen nennen solle. Er erklärt
also nun den Herrn Richtern, wie er den vorigen Abend ein Billet-
doux von Madame Aspasia bekommen und die Nacht bei ihr ver¬
bracht habe. Diogenes kauert in einer Ecke, als verborgener Zeuge;
er will den Becher seiner Leiden bis auf die Hefe leeren. Da tritt
eine verschleierte Frau vor die Richter und klagt, daß ihr derselbe
Hyperboles, der als Ankläger da stehe, ein Armband gestohlen. Der


Grenzboten,, Is4". I. 23

daher das Billet - tour auf, welches für den Cyniker bestimmt
war. Dann begiebt er sich in das Hotel Aspasias. Es ist die
zweite Stunde in der Nacht, und sie hatte versprochen, bis dahin
unter ihren Freiern zu wählen. Alle sind daher versammelt mit po¬
chenden Herzen. Endlich spricht Aspasia. „Ich schwöre bei Diana,
daß ich Niemandem gehören will als dem Diogenes" . . . Im rech¬
ten Moment springt auch der Cyniker auf die Bühne. Zweifacher
Aufschrei, Umarmung, und dann wendet sich die Herrin des Palastes
zu den Anderen: „Entfernt euch, ihr Profanen!" Alkibiades
aber beschließt, sich zu rächen.

Man sollte denken, Diogenes, der Cyniker, dem der Triumph
über den ersten Lion von Athen, über den schönen und genialen Al¬
kibiades, gelungen, werde nun zufrieden sein, da doch die Lieb?
das einzige war, was ihn verleiten konnte, wieder Mensch zu wer-
den, uno er werde nun in (Iulci. ^ihnn mit seiner göttlichen Mai¬
tresse leben und höchstens etwas elegantere Manieren annehmen und
seine Locken hüthen. Aber nein! Ist man wieder einmal Mensch
geworden, so weicht der Cynismus allmali'g allen menschlichen Eitel¬
keiten. Diogenes will durchausArchont werden. Im vierten Acte
sehen wir ihn aus dem Markt von Athen. Herolde rufen zur Ar-
chontenwahl. Da man weiß, daß Diogenes unter den Candidaten
ist, so sagen die Plebejer zu ihm: Gieb uns die Vorrechte der Pa¬
tricier und wir wählen dich. — Dann sagen die Patricier zu ihm:
Gieb uns die Macht der Archontcnstelle, und du hast unsere Stim¬
men. — Diogenes, in seinem Unwillen über solche Intriguen,
wünscht sie in die Unterwelt, und hätte bald Lust, wieder in seine
Tonne zu kriechen. Nur Aspasia tröstet ihn und fesselt ihn an die
civilisirte Gesellschaft. Aber da treten neue Herolde auf und citiren
Aspasia, auf die Anklage des Hyperboles, vor die Archonten, weil
sie bei Diana geschworen habe, nur dem Diogenes anzugehören und
diesen Schwur verletzt habe. Da schäumt Diogenes auf. Also auch
die Liebe war eine Illusion! — er kriecht in seine Tonne.

Fünfter Act. Wir sind vor dem Tribunal der Archonten.
Der Ankläger Hyperboles ist ein Mann des Gesetzes, ein Advo-
cat, ein gewesener Dieb, ja derselbe Spitzbube, der dem Diogenes
am ersten Tage in Athen das Diebeshandwerk verleidet hat. Er
hat von Alkibiades hundert Drachmen erhalten, damit er Aspasia
denunciren und sich als ihren Mitschuldigen nennen solle. Er erklärt
also nun den Herrn Richtern, wie er den vorigen Abend ein Billet-
doux von Madame Aspasia bekommen und die Nacht bei ihr ver¬
bracht habe. Diogenes kauert in einer Ecke, als verborgener Zeuge;
er will den Becher seiner Leiden bis auf die Hefe leeren. Da tritt
eine verschleierte Frau vor die Richter und klagt, daß ihr derselbe
Hyperboles, der als Ankläger da stehe, ein Armband gestohlen. Der


Grenzboten,, Is4«. I. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/185>, abgerufen am 23.12.2024.