Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Elender, ein Gemäßigter gescholten, ein Aristokrat, "würdig,
neben Laffayette, an der Laterne zu hängen."

In den Memoiren Gisquet's findet man ein vertrauliches
Schreiben Carrel'S an Peleliu, mit merkwürdigen Enthüllungen
über die moralische Anarchie, welche die republikanische Partei un¬
terhöhlte. Marrat, damals Redacteur der Tribune, mußte sich
mit einem Cameraden schlagen, der, ein noch stärkerer Jakobiner
als er, ihn beleidigte, weil er (Marrat) Laffayette bloß einen
"großen Verbrecher" und nicht einen "Auswurf der Menschheit"
genannt hatte.

Carrel war (am 21. Januar 1835) wegen Preßvergehen im
Gefängniß von Se. Pelagie; seine Mitgefangenen forderten ihn
auf, zur Feier des Jahrestags von Ludwig's des 16. Hinrichtung
zu illuminiren. Da er nicht wollte, wie sie wollten, stürzte die
ganze Bande auf sein Zimmer, mit dem Geheul: "Hängt ihn
auf, den Gecken mit seinen Glacehandschuhen!" Und Gisquet er¬
zählt, daß Beamte und Soldaten einschreiten mußten, um ans
den Händen dieser Wuth end eil einen Mann zu befreien, der durch
Talent und Charakter ihr natürliches Oberhaupt war.

Und dennoch blieb Carrel, auch als er einsehen mußte, daß
diese Partei räglich mehr in der Achtung Frankreichs sank, mit
ächt republikanischer Selbstverläugnung, seinem Princip treu, auf
der Bresche stehen. Als sich, nach den wüthendsten Excessen, der
Katzenjammer bei dieser Fraction einstellte, als sie, geschlagen im
Parlament, vor den Tribunalen, auf den Straßen, vernichtet in
ihren kühnsten Organen, verstrickt in einem kunstvollen Netz von
Neprcssivgesetzen, anfing sich selber aufzugeben, da sah man ihn,
der den blinden Tollköpfen vergebens Klugheit gepredigt hatte, mit
der alten Festigkeit Hoffnung und Enthusiasmus schüren im Her¬
zen einer demoralisirten Gesellschaft; da breitete er über sie den
Schild der allgemeinen Achtung, den sein Charakter einflößte, und
trotzte allen gerichtlichen Verfolgungen, um ihr wenigstens in der
periodischen Presse ein letztes Banner zu erhalten.

Die Septembergesetze, welche die Principien-Erörterung unter¬
drückten, waren ein harter Schlag für Carrel, und er ertrug die¬
ses Joch nur mit behenden Zorn. Während bei Andern in Folge
dieser Gesetze eine gewisse Heftigkeit der Gesinnung, die überhaupt


Gr-nzbvtcu, I5iK. l. 21

Elender, ein Gemäßigter gescholten, ein Aristokrat, „würdig,
neben Laffayette, an der Laterne zu hängen."

In den Memoiren Gisquet's findet man ein vertrauliches
Schreiben Carrel'S an Peleliu, mit merkwürdigen Enthüllungen
über die moralische Anarchie, welche die republikanische Partei un¬
terhöhlte. Marrat, damals Redacteur der Tribune, mußte sich
mit einem Cameraden schlagen, der, ein noch stärkerer Jakobiner
als er, ihn beleidigte, weil er (Marrat) Laffayette bloß einen
„großen Verbrecher" und nicht einen „Auswurf der Menschheit"
genannt hatte.

Carrel war (am 21. Januar 1835) wegen Preßvergehen im
Gefängniß von Se. Pelagie; seine Mitgefangenen forderten ihn
auf, zur Feier des Jahrestags von Ludwig's des 16. Hinrichtung
zu illuminiren. Da er nicht wollte, wie sie wollten, stürzte die
ganze Bande auf sein Zimmer, mit dem Geheul: „Hängt ihn
auf, den Gecken mit seinen Glacehandschuhen!" Und Gisquet er¬
zählt, daß Beamte und Soldaten einschreiten mußten, um ans
den Händen dieser Wuth end eil einen Mann zu befreien, der durch
Talent und Charakter ihr natürliches Oberhaupt war.

Und dennoch blieb Carrel, auch als er einsehen mußte, daß
diese Partei räglich mehr in der Achtung Frankreichs sank, mit
ächt republikanischer Selbstverläugnung, seinem Princip treu, auf
der Bresche stehen. Als sich, nach den wüthendsten Excessen, der
Katzenjammer bei dieser Fraction einstellte, als sie, geschlagen im
Parlament, vor den Tribunalen, auf den Straßen, vernichtet in
ihren kühnsten Organen, verstrickt in einem kunstvollen Netz von
Neprcssivgesetzen, anfing sich selber aufzugeben, da sah man ihn,
der den blinden Tollköpfen vergebens Klugheit gepredigt hatte, mit
der alten Festigkeit Hoffnung und Enthusiasmus schüren im Her¬
zen einer demoralisirten Gesellschaft; da breitete er über sie den
Schild der allgemeinen Achtung, den sein Charakter einflößte, und
trotzte allen gerichtlichen Verfolgungen, um ihr wenigstens in der
periodischen Presse ein letztes Banner zu erhalten.

Die Septembergesetze, welche die Principien-Erörterung unter¬
drückten, waren ein harter Schlag für Carrel, und er ertrug die¬
ses Joch nur mit behenden Zorn. Während bei Andern in Folge
dieser Gesetze eine gewisse Heftigkeit der Gesinnung, die überhaupt


Gr-nzbvtcu, I5iK. l. 21
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181979"/>
          <p xml:id="ID_358" prev="#ID_357"> Elender, ein Gemäßigter gescholten, ein Aristokrat, &#x201E;würdig,<lb/>
neben Laffayette, an der Laterne zu hängen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_359"> In den Memoiren Gisquet's findet man ein vertrauliches<lb/>
Schreiben Carrel'S an Peleliu, mit merkwürdigen Enthüllungen<lb/>
über die moralische Anarchie, welche die republikanische Partei un¬<lb/>
terhöhlte. Marrat, damals Redacteur der Tribune, mußte sich<lb/>
mit einem Cameraden schlagen, der, ein noch stärkerer Jakobiner<lb/>
als er, ihn beleidigte, weil er (Marrat) Laffayette bloß einen<lb/>
&#x201E;großen Verbrecher" und nicht einen &#x201E;Auswurf der Menschheit"<lb/>
genannt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_360"> Carrel war (am 21. Januar 1835) wegen Preßvergehen im<lb/>
Gefängniß von Se. Pelagie; seine Mitgefangenen forderten ihn<lb/>
auf, zur Feier des Jahrestags von Ludwig's des 16. Hinrichtung<lb/>
zu illuminiren. Da er nicht wollte, wie sie wollten, stürzte die<lb/>
ganze Bande auf sein Zimmer, mit dem Geheul: &#x201E;Hängt ihn<lb/>
auf, den Gecken mit seinen Glacehandschuhen!" Und Gisquet er¬<lb/>
zählt, daß Beamte und Soldaten einschreiten mußten, um ans<lb/>
den Händen dieser Wuth end eil einen Mann zu befreien, der durch<lb/>
Talent und Charakter ihr natürliches Oberhaupt war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_361"> Und dennoch blieb Carrel, auch als er einsehen mußte, daß<lb/>
diese Partei räglich mehr in der Achtung Frankreichs sank, mit<lb/>
ächt republikanischer Selbstverläugnung, seinem Princip treu, auf<lb/>
der Bresche stehen. Als sich, nach den wüthendsten Excessen, der<lb/>
Katzenjammer bei dieser Fraction einstellte, als sie, geschlagen im<lb/>
Parlament, vor den Tribunalen, auf den Straßen, vernichtet in<lb/>
ihren kühnsten Organen, verstrickt in einem kunstvollen Netz von<lb/>
Neprcssivgesetzen, anfing sich selber aufzugeben, da sah man ihn,<lb/>
der den blinden Tollköpfen vergebens Klugheit gepredigt hatte, mit<lb/>
der alten Festigkeit Hoffnung und Enthusiasmus schüren im Her¬<lb/>
zen einer demoralisirten Gesellschaft; da breitete er über sie den<lb/>
Schild der allgemeinen Achtung, den sein Charakter einflößte, und<lb/>
trotzte allen gerichtlichen Verfolgungen, um ihr wenigstens in der<lb/>
periodischen Presse ein letztes Banner zu erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_362" next="#ID_363"> Die Septembergesetze, welche die Principien-Erörterung unter¬<lb/>
drückten, waren ein harter Schlag für Carrel, und er ertrug die¬<lb/>
ses Joch nur mit behenden Zorn. Während bei Andern in Folge<lb/>
dieser Gesetze eine gewisse Heftigkeit der Gesinnung, die überhaupt</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gr-nzbvtcu, I5iK. l. 21</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] Elender, ein Gemäßigter gescholten, ein Aristokrat, „würdig, neben Laffayette, an der Laterne zu hängen." In den Memoiren Gisquet's findet man ein vertrauliches Schreiben Carrel'S an Peleliu, mit merkwürdigen Enthüllungen über die moralische Anarchie, welche die republikanische Partei un¬ terhöhlte. Marrat, damals Redacteur der Tribune, mußte sich mit einem Cameraden schlagen, der, ein noch stärkerer Jakobiner als er, ihn beleidigte, weil er (Marrat) Laffayette bloß einen „großen Verbrecher" und nicht einen „Auswurf der Menschheit" genannt hatte. Carrel war (am 21. Januar 1835) wegen Preßvergehen im Gefängniß von Se. Pelagie; seine Mitgefangenen forderten ihn auf, zur Feier des Jahrestags von Ludwig's des 16. Hinrichtung zu illuminiren. Da er nicht wollte, wie sie wollten, stürzte die ganze Bande auf sein Zimmer, mit dem Geheul: „Hängt ihn auf, den Gecken mit seinen Glacehandschuhen!" Und Gisquet er¬ zählt, daß Beamte und Soldaten einschreiten mußten, um ans den Händen dieser Wuth end eil einen Mann zu befreien, der durch Talent und Charakter ihr natürliches Oberhaupt war. Und dennoch blieb Carrel, auch als er einsehen mußte, daß diese Partei räglich mehr in der Achtung Frankreichs sank, mit ächt republikanischer Selbstverläugnung, seinem Princip treu, auf der Bresche stehen. Als sich, nach den wüthendsten Excessen, der Katzenjammer bei dieser Fraction einstellte, als sie, geschlagen im Parlament, vor den Tribunalen, auf den Straßen, vernichtet in ihren kühnsten Organen, verstrickt in einem kunstvollen Netz von Neprcssivgesetzen, anfing sich selber aufzugeben, da sah man ihn, der den blinden Tollköpfen vergebens Klugheit gepredigt hatte, mit der alten Festigkeit Hoffnung und Enthusiasmus schüren im Her¬ zen einer demoralisirten Gesellschaft; da breitete er über sie den Schild der allgemeinen Achtung, den sein Charakter einflößte, und trotzte allen gerichtlichen Verfolgungen, um ihr wenigstens in der periodischen Presse ein letztes Banner zu erhalten. Die Septembergesetze, welche die Principien-Erörterung unter¬ drückten, waren ein harter Schlag für Carrel, und er ertrug die¬ ses Joch nur mit behenden Zorn. Während bei Andern in Folge dieser Gesetze eine gewisse Heftigkeit der Gesinnung, die überhaupt Gr-nzbvtcu, I5iK. l. 21

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/169>, abgerufen am 01.09.2024.