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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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verkümmern ließ, sondern im Gegentheil davon eine übermäßige An¬
wendung machte. Die neue Oper von Verdi "Johanna d'Arc" ist eines
der seichtesten Producte der modernen Tonmuse Italiens und ver¬
diente als solches allerdings den gellenden Sturm des Mißvergnügens,
mit dem es an diesem Abende von dem überfüllten Hause beehrt
wurde. Je bedeutender die Erwartungen gewesen, die man unbegreif¬
licher Weise von diesem Tonwerke Verdi's gehegt, und je theuerer die
meisten Plätze verkauft worden waren -- eine Loge kostete gegen
15le Gulden E. M. -- desto herber wurde die Täuschung empfunden
und desto eclaranter war das Fiasco. -- Unter den Sitten unserer Stadt
ist dem Kaiser auch vorzüglich die Taubenspeisung in die Augen ge¬
fallen, die auf dem Marcusplatze Statt findet; mit dem Glockenschlag
der zweiten Nachmittagsstunde flattern von allen Seiten die holden
Lieblinge der Aphrodite auf den weiten Raum vor der Marcuskirche,
wo ihnen mit freigebiger Hand ein reiches Mahl gestreut wird, dessen
Kosten in der republikanischen Aera aus dem Staatsschatz gedeckt
wurden. Die Vermehrung des Taubengeschlechts in der Jnselstadt
schreibt sich noch aus der Zeit des 14. Jahrhunderts her, wo die Tau¬
ben bei der Eroberung Candia's durch die venezianische Seemacht die
wesentlichsten Dienste geleistet hatten. Seit dem Erlöschen des Frei-
staatS hat zwar diese Pflicht der öffentlichen Dankbarkeit aufgehört,
und Baron Kübel denkt an ganz andere Dinge, als die Fütterung
unschuldiger Täublein, allein das weiche Herz einer patriotischen Pa¬
trizierin hat sich der Verlassenen mütterlich angenommen, sie hat in ihrem
Testament ein hinreichendes Legat zuGunsten dieser alten Volkssitte aus¬
geworfen, mit dessen Zinsen fortan die historische Liebespflicht bestrit¬
ten wird. -- Das Arsenal mit den Werften und Werkstätten der
Marine besuchte der Kaiser Nicolaus an der Seite des Erzherzogs
Friedrich, und die Einrichtung desselben erntete seinen vollsten Beifall.
Für Jene, welche sich bei der jetzt vielbesprochenen Flottenangelegen¬
heit für das österreichische Seewesen interessiren, ohne den eigentlichen
Machtstand derselben zu kennen, setze ich ihn nach amtlicher Zif¬
fer hier bei. Die österreichische Kriegsmarine besteht aus 3 Fregatten,
2 Corvetten, 3 Briggs und 3 Galioten, welche zusammen 510 Ka¬
nonen an Bord führen; einige Linienschiffe liegen abgetakelt und an¬
gefault in den Docks.

Das alte Venedig geht seinem Untergange entgegen, indem es
aufhört eine Jnselstadt zu sein. Das colossale Wunderwerk, welches
Venedig mit dem Festland verbindet, und auf dem in der Zukunft die
schnaubende Locomotive bis zum Kloster Se. Lucia, wo der Bahnhof
gebaut wird, hineinrollen soll, zerstört die ganze historische Physiogno¬
mie der alten Dogenstadt, die früher der Angelpunkt gewesen, um
den sich die terrs, Krma drehte, jetzt wird sie vom Festland ins
Schleptau genommen und gewaltsam continentalist're. Leicht möglich'


verkümmern ließ, sondern im Gegentheil davon eine übermäßige An¬
wendung machte. Die neue Oper von Verdi „Johanna d'Arc" ist eines
der seichtesten Producte der modernen Tonmuse Italiens und ver¬
diente als solches allerdings den gellenden Sturm des Mißvergnügens,
mit dem es an diesem Abende von dem überfüllten Hause beehrt
wurde. Je bedeutender die Erwartungen gewesen, die man unbegreif¬
licher Weise von diesem Tonwerke Verdi's gehegt, und je theuerer die
meisten Plätze verkauft worden waren — eine Loge kostete gegen
15le Gulden E. M. — desto herber wurde die Täuschung empfunden
und desto eclaranter war das Fiasco. — Unter den Sitten unserer Stadt
ist dem Kaiser auch vorzüglich die Taubenspeisung in die Augen ge¬
fallen, die auf dem Marcusplatze Statt findet; mit dem Glockenschlag
der zweiten Nachmittagsstunde flattern von allen Seiten die holden
Lieblinge der Aphrodite auf den weiten Raum vor der Marcuskirche,
wo ihnen mit freigebiger Hand ein reiches Mahl gestreut wird, dessen
Kosten in der republikanischen Aera aus dem Staatsschatz gedeckt
wurden. Die Vermehrung des Taubengeschlechts in der Jnselstadt
schreibt sich noch aus der Zeit des 14. Jahrhunderts her, wo die Tau¬
ben bei der Eroberung Candia's durch die venezianische Seemacht die
wesentlichsten Dienste geleistet hatten. Seit dem Erlöschen des Frei-
staatS hat zwar diese Pflicht der öffentlichen Dankbarkeit aufgehört,
und Baron Kübel denkt an ganz andere Dinge, als die Fütterung
unschuldiger Täublein, allein das weiche Herz einer patriotischen Pa¬
trizierin hat sich der Verlassenen mütterlich angenommen, sie hat in ihrem
Testament ein hinreichendes Legat zuGunsten dieser alten Volkssitte aus¬
geworfen, mit dessen Zinsen fortan die historische Liebespflicht bestrit¬
ten wird. — Das Arsenal mit den Werften und Werkstätten der
Marine besuchte der Kaiser Nicolaus an der Seite des Erzherzogs
Friedrich, und die Einrichtung desselben erntete seinen vollsten Beifall.
Für Jene, welche sich bei der jetzt vielbesprochenen Flottenangelegen¬
heit für das österreichische Seewesen interessiren, ohne den eigentlichen
Machtstand derselben zu kennen, setze ich ihn nach amtlicher Zif¬
fer hier bei. Die österreichische Kriegsmarine besteht aus 3 Fregatten,
2 Corvetten, 3 Briggs und 3 Galioten, welche zusammen 510 Ka¬
nonen an Bord führen; einige Linienschiffe liegen abgetakelt und an¬
gefault in den Docks.

Das alte Venedig geht seinem Untergange entgegen, indem es
aufhört eine Jnselstadt zu sein. Das colossale Wunderwerk, welches
Venedig mit dem Festland verbindet, und auf dem in der Zukunft die
schnaubende Locomotive bis zum Kloster Se. Lucia, wo der Bahnhof
gebaut wird, hineinrollen soll, zerstört die ganze historische Physiogno¬
mie der alten Dogenstadt, die früher der Angelpunkt gewesen, um
den sich die terrs, Krma drehte, jetzt wird sie vom Festland ins
Schleptau genommen und gewaltsam continentalist're. Leicht möglich'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/143>, abgerufen am 23.12.2024.