Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.Gimpel und Paradiesvogel. Eine Fabel. "Wie ist mein Loos beneidenswert!)!" -- So sprach der Gimpel in seinem Bauer -- "Mein Trank ist süß, mein Hanf ist nicht sauer, Ich habe was zum Leben gehört. Wenn draußen die andern Vögel lärmen, In tollen Liedern der Freiheit schwärmen, Sing' ich, was meinen Herrn erfreut, Wofür er süßes Futter mir streut. Doch jene fängt man, und 's geht ihnen schlecht; Den tollen Schwärmern geschieht schon recht. Will ich zum Zeitvertreib auch wandern. So spring' ich von einer Sprosse zur andern, Da kann ich herkömmlich beschau'n und besprechen, Wie's zugeht in dieser bunten Welt, Die Sprossen sind grade so hoch gestellt, Als nöthig, den Kopf mir nicht zu zerbrechen. Nie würd' ichs versuchen, die Sprossen zu schütteln, Am Festbestehenden frevelnd zu rütteln. Nur Eines will mir nicht recht in den Sinn, Wozu ich denn ein Vogel bin, Wozu mir denn die Flügel gegeben, Hab' ich's doch gar nicht nöthig zu schweben, Kann ich doch, wie der Ochs, das Schaf, Mein Leben genießen mit Essen und Schlaf!" So sprach der Gimpel mit weisen Geberden. Ihn hört ein Vogel, von Wen'gen erkannt, Und selten nur heimisch erscheinend auf Erden, Der Paradiesesvogel genannt. Wie der des Gimpels Rede vernimmt, Er seine Kehle zur Antwort stimmt: Gimpel und Paradiesvogel. Eine Fabel. „Wie ist mein Loos beneidenswert!)!" — So sprach der Gimpel in seinem Bauer — „Mein Trank ist süß, mein Hanf ist nicht sauer, Ich habe was zum Leben gehört. Wenn draußen die andern Vögel lärmen, In tollen Liedern der Freiheit schwärmen, Sing' ich, was meinen Herrn erfreut, Wofür er süßes Futter mir streut. Doch jene fängt man, und 's geht ihnen schlecht; Den tollen Schwärmern geschieht schon recht. Will ich zum Zeitvertreib auch wandern. So spring' ich von einer Sprosse zur andern, Da kann ich herkömmlich beschau'n und besprechen, Wie's zugeht in dieser bunten Welt, Die Sprossen sind grade so hoch gestellt, Als nöthig, den Kopf mir nicht zu zerbrechen. Nie würd' ichs versuchen, die Sprossen zu schütteln, Am Festbestehenden frevelnd zu rütteln. Nur Eines will mir nicht recht in den Sinn, Wozu ich denn ein Vogel bin, Wozu mir denn die Flügel gegeben, Hab' ich's doch gar nicht nöthig zu schweben, Kann ich doch, wie der Ochs, das Schaf, Mein Leben genießen mit Essen und Schlaf!" So sprach der Gimpel mit weisen Geberden. Ihn hört ein Vogel, von Wen'gen erkannt, Und selten nur heimisch erscheinend auf Erden, Der Paradiesesvogel genannt. Wie der des Gimpels Rede vernimmt, Er seine Kehle zur Antwort stimmt: <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181938"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Gimpel und Paradiesvogel.<lb/> Eine Fabel.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg xml:id="POEMID_13" type="poem"> <l> „Wie ist mein Loos beneidenswert!)!"<lb/> — So sprach der Gimpel in seinem Bauer —<lb/> „Mein Trank ist süß, mein Hanf ist nicht sauer,<lb/> Ich habe was zum Leben gehört.<lb/> Wenn draußen die andern Vögel lärmen,<lb/> In tollen Liedern der Freiheit schwärmen,<lb/> Sing' ich, was meinen Herrn erfreut,<lb/> Wofür er süßes Futter mir streut.<lb/> Doch jene fängt man, und 's geht ihnen schlecht;<lb/> Den tollen Schwärmern geschieht schon recht.<lb/> Will ich zum Zeitvertreib auch wandern.<lb/> So spring' ich von einer Sprosse zur andern,<lb/> Da kann ich herkömmlich beschau'n und besprechen,<lb/> Wie's zugeht in dieser bunten Welt,<lb/> Die Sprossen sind grade so hoch gestellt,<lb/> Als nöthig, den Kopf mir nicht zu zerbrechen.<lb/> Nie würd' ichs versuchen, die Sprossen zu schütteln,<lb/> Am Festbestehenden frevelnd zu rütteln.<lb/> Nur Eines will mir nicht recht in den Sinn,<lb/> Wozu ich denn ein Vogel bin,<lb/> Wozu mir denn die Flügel gegeben,<lb/> Hab' ich's doch gar nicht nöthig zu schweben,<lb/> Kann ich doch, wie der Ochs, das Schaf,<lb/> Mein Leben genießen mit Essen und Schlaf!"</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg xml:id="POEMID_14" type="poem" next="#POEMID_15"> <l> So sprach der Gimpel mit weisen Geberden.<lb/> Ihn hört ein Vogel, von Wen'gen erkannt,<lb/> Und selten nur heimisch erscheinend auf Erden,<lb/> Der Paradiesesvogel genannt.<lb/> Wie der des Gimpels Rede vernimmt,<lb/> Er seine Kehle zur Antwort stimmt:</l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0128]
Gimpel und Paradiesvogel.
Eine Fabel.
„Wie ist mein Loos beneidenswert!)!"
— So sprach der Gimpel in seinem Bauer —
„Mein Trank ist süß, mein Hanf ist nicht sauer,
Ich habe was zum Leben gehört.
Wenn draußen die andern Vögel lärmen,
In tollen Liedern der Freiheit schwärmen,
Sing' ich, was meinen Herrn erfreut,
Wofür er süßes Futter mir streut.
Doch jene fängt man, und 's geht ihnen schlecht;
Den tollen Schwärmern geschieht schon recht.
Will ich zum Zeitvertreib auch wandern.
So spring' ich von einer Sprosse zur andern,
Da kann ich herkömmlich beschau'n und besprechen,
Wie's zugeht in dieser bunten Welt,
Die Sprossen sind grade so hoch gestellt,
Als nöthig, den Kopf mir nicht zu zerbrechen.
Nie würd' ichs versuchen, die Sprossen zu schütteln,
Am Festbestehenden frevelnd zu rütteln.
Nur Eines will mir nicht recht in den Sinn,
Wozu ich denn ein Vogel bin,
Wozu mir denn die Flügel gegeben,
Hab' ich's doch gar nicht nöthig zu schweben,
Kann ich doch, wie der Ochs, das Schaf,
Mein Leben genießen mit Essen und Schlaf!"
So sprach der Gimpel mit weisen Geberden.
Ihn hört ein Vogel, von Wen'gen erkannt,
Und selten nur heimisch erscheinend auf Erden,
Der Paradiesesvogel genannt.
Wie der des Gimpels Rede vernimmt,
Er seine Kehle zur Antwort stimmt:
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