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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Wege auch bei uns, und wo es früher bloß Fürstenbündnisse gab,
da giebt es jetzt Privatcongresse und Capitalistenbundestage und
die Zeit reift heran, ja ist sogar zum Theil schon herangereift,
wo die politischen Tageösatzungen der Gekrönten sich sorgjam nach
den Tagcssatzungen derjenigen umsehen müssen, welche die Kronen
zwar nicht auf dem Kopfe wohl aber in den Cassen haben. Von
dieser Seite sind die Willkührmaßregeln der Regierungen bereits
mit Schranken umgeben, und wenn der Staat auch noch nicht
die öffentliche Meinung der Intelligenzen berücksichtigt, so ist er
doch bereits genöthigt, die Meinung der Besitzenden zu achten;
zwischen Intelligenz und Besitz werden jedoch mit jedem Tage die
Wege ebener.

Bei allem dem dürfen wir uns nicht verhehlen, daß die deut¬
sche Einheit, die noch immer nicht ihre Kinderschuhe ausgezogen
hat, von der Röthelkrankheit, den Zahnfiebern und der Bräune
noch stark bedroht ist, während die deutsche Freiheit, die erst in der
Schwangerschaft und noch keineswegs im neunten Monat sich be¬
findet, der Gefahr einer Fehlgeburt sehr bedeutend ausgesetzt ist.
Und gerade das Jahr, das wir eben antreten, das Jahr des Herrn
1846, flößt uns manche Bekümmerniß, manche Besorgniß ein, ob
es ein Jahr des Volkes oder nicht vielmehr ein Jahr der Herrn
werden wird. Deutschland geht in der nächsten Zeit schweren Prü¬
fungen entgegen.

Sprechen wir denn zuerst von den Kinderkrankheiten deut¬
scher Einheit.

Da ist vor Allem das Zahnen der religiösen Streitigkeiten.
Wir meinen nicht die Währungen innerhalb der protestantischen
Kirche, die Kriege der Licht- und Schattenfreunde. Dieses Fieber
wird der starke organische Körper bald überwunden dabey und
kräftiger daraus hervorgehen als jemals. -- Ernster und bedenkli¬
cher ist der Zwiespalt zwischen der protestantischen und katholischen
Kirche. Der vulcanische Haß, der eine Zeitlang ausgebrannt schien,
hat wieder seinen Krater geöffnet und schleudert seine Lava weit
umher. Wo wird diese ihre Grenze finden? Man hat im pro¬
testantischen Lager hierüber falsche Ansichten. Man glaubt die
Dinge, die man gerne glauben will, man schmeichelt sich mit Er¬
oberungen die nicht eristiren. Man denkt sich gerne die katholische


Wege auch bei uns, und wo es früher bloß Fürstenbündnisse gab,
da giebt es jetzt Privatcongresse und Capitalistenbundestage und
die Zeit reift heran, ja ist sogar zum Theil schon herangereift,
wo die politischen Tageösatzungen der Gekrönten sich sorgjam nach
den Tagcssatzungen derjenigen umsehen müssen, welche die Kronen
zwar nicht auf dem Kopfe wohl aber in den Cassen haben. Von
dieser Seite sind die Willkührmaßregeln der Regierungen bereits
mit Schranken umgeben, und wenn der Staat auch noch nicht
die öffentliche Meinung der Intelligenzen berücksichtigt, so ist er
doch bereits genöthigt, die Meinung der Besitzenden zu achten;
zwischen Intelligenz und Besitz werden jedoch mit jedem Tage die
Wege ebener.

Bei allem dem dürfen wir uns nicht verhehlen, daß die deut¬
sche Einheit, die noch immer nicht ihre Kinderschuhe ausgezogen
hat, von der Röthelkrankheit, den Zahnfiebern und der Bräune
noch stark bedroht ist, während die deutsche Freiheit, die erst in der
Schwangerschaft und noch keineswegs im neunten Monat sich be¬
findet, der Gefahr einer Fehlgeburt sehr bedeutend ausgesetzt ist.
Und gerade das Jahr, das wir eben antreten, das Jahr des Herrn
1846, flößt uns manche Bekümmerniß, manche Besorgniß ein, ob
es ein Jahr des Volkes oder nicht vielmehr ein Jahr der Herrn
werden wird. Deutschland geht in der nächsten Zeit schweren Prü¬
fungen entgegen.

Sprechen wir denn zuerst von den Kinderkrankheiten deut¬
scher Einheit.

Da ist vor Allem das Zahnen der religiösen Streitigkeiten.
Wir meinen nicht die Währungen innerhalb der protestantischen
Kirche, die Kriege der Licht- und Schattenfreunde. Dieses Fieber
wird der starke organische Körper bald überwunden dabey und
kräftiger daraus hervorgehen als jemals. — Ernster und bedenkli¬
cher ist der Zwiespalt zwischen der protestantischen und katholischen
Kirche. Der vulcanische Haß, der eine Zeitlang ausgebrannt schien,
hat wieder seinen Krater geöffnet und schleudert seine Lava weit
umher. Wo wird diese ihre Grenze finden? Man hat im pro¬
testantischen Lager hierüber falsche Ansichten. Man glaubt die
Dinge, die man gerne glauben will, man schmeichelt sich mit Er¬
oberungen die nicht eristiren. Man denkt sich gerne die katholische


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[0012] Wege auch bei uns, und wo es früher bloß Fürstenbündnisse gab, da giebt es jetzt Privatcongresse und Capitalistenbundestage und die Zeit reift heran, ja ist sogar zum Theil schon herangereift, wo die politischen Tageösatzungen der Gekrönten sich sorgjam nach den Tagcssatzungen derjenigen umsehen müssen, welche die Kronen zwar nicht auf dem Kopfe wohl aber in den Cassen haben. Von dieser Seite sind die Willkührmaßregeln der Regierungen bereits mit Schranken umgeben, und wenn der Staat auch noch nicht die öffentliche Meinung der Intelligenzen berücksichtigt, so ist er doch bereits genöthigt, die Meinung der Besitzenden zu achten; zwischen Intelligenz und Besitz werden jedoch mit jedem Tage die Wege ebener. Bei allem dem dürfen wir uns nicht verhehlen, daß die deut¬ sche Einheit, die noch immer nicht ihre Kinderschuhe ausgezogen hat, von der Röthelkrankheit, den Zahnfiebern und der Bräune noch stark bedroht ist, während die deutsche Freiheit, die erst in der Schwangerschaft und noch keineswegs im neunten Monat sich be¬ findet, der Gefahr einer Fehlgeburt sehr bedeutend ausgesetzt ist. Und gerade das Jahr, das wir eben antreten, das Jahr des Herrn 1846, flößt uns manche Bekümmerniß, manche Besorgniß ein, ob es ein Jahr des Volkes oder nicht vielmehr ein Jahr der Herrn werden wird. Deutschland geht in der nächsten Zeit schweren Prü¬ fungen entgegen. Sprechen wir denn zuerst von den Kinderkrankheiten deut¬ scher Einheit. Da ist vor Allem das Zahnen der religiösen Streitigkeiten. Wir meinen nicht die Währungen innerhalb der protestantischen Kirche, die Kriege der Licht- und Schattenfreunde. Dieses Fieber wird der starke organische Körper bald überwunden dabey und kräftiger daraus hervorgehen als jemals. — Ernster und bedenkli¬ cher ist der Zwiespalt zwischen der protestantischen und katholischen Kirche. Der vulcanische Haß, der eine Zeitlang ausgebrannt schien, hat wieder seinen Krater geöffnet und schleudert seine Lava weit umher. Wo wird diese ihre Grenze finden? Man hat im pro¬ testantischen Lager hierüber falsche Ansichten. Man glaubt die Dinge, die man gerne glauben will, man schmeichelt sich mit Er¬ oberungen die nicht eristiren. Man denkt sich gerne die katholische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/12>, abgerufen am 23.12.2024.