Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.wandelt derblasse, schwankende, weiche, reuige Hieronymus.--- O welch' eine Welt von Poesie steigt aus den Tiefen dieser Zurück! hinab von meiner Höhe in die Gassen der Stadt und wandelt derblasse, schwankende, weiche, reuige Hieronymus.--- O welch' eine Welt von Poesie steigt aus den Tiefen dieser Zurück! hinab von meiner Höhe in die Gassen der Stadt und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181927"/> <p xml:id="ID_240" prev="#ID_239"> wandelt derblasse, schwankende, weiche, reuige Hieronymus.---<lb/> Ach, eine Fülle von Gestalten bald aus alten bald aus neuen Zei¬<lb/> ten im bunten Gedränge erdrückt mich. — Ich sehe einen Min¬<lb/> nesänger; Zawisch von Rosenberg, der seinen König verhöhnt, ei¬<lb/> nen prächtigen Hofstaat hält, mit der wilden Königin Kune-<lb/> gunde buhlt, bis ihm auf den Rath des römisch deutschen Kaisers<lb/> Rudolph mit einem Brett der Kopf abgeschlagen wird. — Wer<lb/> ist die tragische Gestalt, die hier in den Mantel gehüllt auf der<lb/> Schwelle der Hofburg wie ein Bettler sitzt? — Es ist der ge¬<lb/> schlagene, gedemüthigte, nach langem Irren in den Wäldern mit<lb/> Scham zurückgekehrte große König Ottokar, dessen Scepter einst<lb/> vom keltischen bis zum adriatischen Meere geherrscht. — Noch<lb/> einen andern König sehe ich; er sitzt allein in einsamer Stube<lb/> und forscht den Geheimnissen Gottes nach. Auf seinen Wink er¬<lb/> hebt die -Um» Mitten, l^niveisitits l>it-oll»!t ihr weißes Haupt,<lb/> und dem wilden Moldaustrome wird wie durch Zauber ein riesi¬<lb/> ges, steinernes Joch angelegt. — Wer nie gesehene Pracht an¬<lb/> staunen will, wer eine Stadt sehen will, in deren Gassen wie<lb/> einst zu Rom, ein reiches fröhliches Volk sich drängt, der wan¬<lb/> dert unter seiner Regierung nach Prag. — Genug, genug! —<lb/> Von Kaiser Carls Brücke sehe ich die Schädel von vier und<lb/> zwanzig Märtyrern des Glaubens und der Freiheit grinsen, der<lb/> Winterkönig flieht, die Schaar der drängenden Gestalten zerstiebt —<lb/> die böhmische Geschichte hat ein Ende.</p><lb/> <p xml:id="ID_241"> O welch' eine Welt von Poesie steigt aus den Tiefen dieser<lb/> Stadt empor. — Ein Kaiser wurde in ihr zum Dichter und<lb/> Astrologen, und er unterschrieb den Majestätsbrief nur, um sich<lb/> nicht von ihr trennen zu müssen. — Eine Schaar Shakspearischer<lb/> Tragödien liegt in ihr vergraben, doch sie hat noch nicht ihren<lb/> Dichter gesunden. — Was sind die „böhmischen Elegien"? Zwölf<lb/> einsame, klagende Glockenschläge um Mitternacht, wie sie eben vom<lb/> Se. Veitsthurme herunterzittern.</p><lb/> <p xml:id="ID_242" next="#ID_243"> Zurück! hinab von meiner Höhe in die Gassen der Stadt und<lb/> aus der Nacht in den Tag. — Da unten findet sich noch Man¬<lb/> ches, was das Herz erfreut, und Manche die da schön ist. — Von<lb/> Wlasta bis auf den heutigen Tag haben die böhmischen Mädchen,<lb/> welche ein alter Chronist plumper Weise die böhmischen Mägde</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0117]
wandelt derblasse, schwankende, weiche, reuige Hieronymus.---
Ach, eine Fülle von Gestalten bald aus alten bald aus neuen Zei¬
ten im bunten Gedränge erdrückt mich. — Ich sehe einen Min¬
nesänger; Zawisch von Rosenberg, der seinen König verhöhnt, ei¬
nen prächtigen Hofstaat hält, mit der wilden Königin Kune-
gunde buhlt, bis ihm auf den Rath des römisch deutschen Kaisers
Rudolph mit einem Brett der Kopf abgeschlagen wird. — Wer
ist die tragische Gestalt, die hier in den Mantel gehüllt auf der
Schwelle der Hofburg wie ein Bettler sitzt? — Es ist der ge¬
schlagene, gedemüthigte, nach langem Irren in den Wäldern mit
Scham zurückgekehrte große König Ottokar, dessen Scepter einst
vom keltischen bis zum adriatischen Meere geherrscht. — Noch
einen andern König sehe ich; er sitzt allein in einsamer Stube
und forscht den Geheimnissen Gottes nach. Auf seinen Wink er¬
hebt die -Um» Mitten, l^niveisitits l>it-oll»!t ihr weißes Haupt,
und dem wilden Moldaustrome wird wie durch Zauber ein riesi¬
ges, steinernes Joch angelegt. — Wer nie gesehene Pracht an¬
staunen will, wer eine Stadt sehen will, in deren Gassen wie
einst zu Rom, ein reiches fröhliches Volk sich drängt, der wan¬
dert unter seiner Regierung nach Prag. — Genug, genug! —
Von Kaiser Carls Brücke sehe ich die Schädel von vier und
zwanzig Märtyrern des Glaubens und der Freiheit grinsen, der
Winterkönig flieht, die Schaar der drängenden Gestalten zerstiebt —
die böhmische Geschichte hat ein Ende.
O welch' eine Welt von Poesie steigt aus den Tiefen dieser
Stadt empor. — Ein Kaiser wurde in ihr zum Dichter und
Astrologen, und er unterschrieb den Majestätsbrief nur, um sich
nicht von ihr trennen zu müssen. — Eine Schaar Shakspearischer
Tragödien liegt in ihr vergraben, doch sie hat noch nicht ihren
Dichter gesunden. — Was sind die „böhmischen Elegien"? Zwölf
einsame, klagende Glockenschläge um Mitternacht, wie sie eben vom
Se. Veitsthurme herunterzittern.
Zurück! hinab von meiner Höhe in die Gassen der Stadt und
aus der Nacht in den Tag. — Da unten findet sich noch Man¬
ches, was das Herz erfreut, und Manche die da schön ist. — Von
Wlasta bis auf den heutigen Tag haben die böhmischen Mädchen,
welche ein alter Chronist plumper Weise die böhmischen Mägde
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