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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Zuschauer zur Anschauung gebracht. Daß viele Anklange an Göthe's
Egmont und Schillers Don Carlos vorkommen, ist nicht zu verken¬
nen; doch darf man deshalb dem Dichter um deswillen keinen erheb¬
lichen Vorwutf machen, weil der Stoff historische und locale Identi¬
täten mit sich brachte. Freilich schimmert bei Don Escovedo, Jo¬
hanns Freund, Marquis Posa, beim Grafen von Bergen Wilhelm
von Oranien stark durch, und es ließen sich der Parallelen noch meh¬
rere ziehen; aber wir haben sie weniger als absichtliche "Zufälligkei¬
ten", denn als nothwendige Gestaltungen gleichartiger, dichterischer
Ideen zu betrachten. Die Sprache ist, leider, wieder ächt mosenisch;
sie riecht ihren Shakespeare fast in jedem der Verse, die mit ihren
pomphaften Wortfügungen zum Theil wahre Knüppeldamme für die
Schauspieler werden; dieses Bildcrhaschen ist eine falsche Speculation
auf poetischen Schwung; es verlauft sich mitunter zu Lächerlichkeiten,
wie ;. B. eine Rede Escovedo's, ungefähr: "In meinem Hirn ist
hohe Jagd, es schlagen die Gedankenhunde an!" in ihrem Gegensatze
den oldcnburger Schauspielern zum Stichworte für ausbleibende Slichworte
geworden ist. Warum hält sich der Dichter nicht auf der rechten Mitte der
einfachen, natürlichen Gedankenentwickelung, wie sie bei derVermahlungs--
scene am Schluß des zweiten Actes so schön hervortritt? -- Den dramati¬
schen Höhepunkt erreicht das Stück unbedingt im 3den Acte, als Don Jo¬
hann, nach der Seeschlacht von Lepanto siegreich zurückkehrend, von
seinem eifersüchtigen Bruder Philipp quicscirt wird, alsdann sein-
Soldaten für ihn rebellircn, und er sich endlich bewegen läßt, die
Mission nach den Niederlanden zu übernehmen. Hier ist ein marki¬
ges, rasches Handeln; lebendig und klar treten die Charaktere hervor,
und die Rebellionscene im Lager kann man nur ein Meisterstück dra¬
matischer Poesie nennen. Dagegen ist das Verhältniß des Helden zu
Maria de Mendoza, seiner Geliebten und später heimlich angetrauten
Gattin, viel zu schwankend behandelt; hier fehlen Motive, die gleich¬
zeitige Leidenschaft des Königs für Marien wird nur erzählt, und es
bleibt Alles nur Schattenbild; und doch war gerade auf dieser Seit"
so reicher Stoff geboten, das rein Menschliche, das Erwärmende und
Hinreißende im Charakter des Helden zu entwickeln. -- Schreitet
Mosen auf dem mit diesem Stücke betretenen Wege fort, hört er na¬
mentlich das an, was ihm über seine Fehler oft genug gesagt worden
ist, dann dürfen wir von ihm noch bedeutende tragische Dichtungen er¬
warten; vor allem ist es aber dabei nöthig, daß er A. Stahrschen Lob¬
hudeleien nicht glaubt, die ihn womöglich noch über die Sternhöhe
d"r Vollendung hinaussehen, wahrend er doch noch auf dem Wege
-? q) zum Ziele ist. '


Zuschauer zur Anschauung gebracht. Daß viele Anklange an Göthe's
Egmont und Schillers Don Carlos vorkommen, ist nicht zu verken¬
nen; doch darf man deshalb dem Dichter um deswillen keinen erheb¬
lichen Vorwutf machen, weil der Stoff historische und locale Identi¬
täten mit sich brachte. Freilich schimmert bei Don Escovedo, Jo¬
hanns Freund, Marquis Posa, beim Grafen von Bergen Wilhelm
von Oranien stark durch, und es ließen sich der Parallelen noch meh¬
rere ziehen; aber wir haben sie weniger als absichtliche „Zufälligkei¬
ten", denn als nothwendige Gestaltungen gleichartiger, dichterischer
Ideen zu betrachten. Die Sprache ist, leider, wieder ächt mosenisch;
sie riecht ihren Shakespeare fast in jedem der Verse, die mit ihren
pomphaften Wortfügungen zum Theil wahre Knüppeldamme für die
Schauspieler werden; dieses Bildcrhaschen ist eine falsche Speculation
auf poetischen Schwung; es verlauft sich mitunter zu Lächerlichkeiten,
wie ;. B. eine Rede Escovedo's, ungefähr: „In meinem Hirn ist
hohe Jagd, es schlagen die Gedankenhunde an!" in ihrem Gegensatze
den oldcnburger Schauspielern zum Stichworte für ausbleibende Slichworte
geworden ist. Warum hält sich der Dichter nicht auf der rechten Mitte der
einfachen, natürlichen Gedankenentwickelung, wie sie bei derVermahlungs--
scene am Schluß des zweiten Actes so schön hervortritt? — Den dramati¬
schen Höhepunkt erreicht das Stück unbedingt im 3den Acte, als Don Jo¬
hann, nach der Seeschlacht von Lepanto siegreich zurückkehrend, von
seinem eifersüchtigen Bruder Philipp quicscirt wird, alsdann sein-
Soldaten für ihn rebellircn, und er sich endlich bewegen läßt, die
Mission nach den Niederlanden zu übernehmen. Hier ist ein marki¬
ges, rasches Handeln; lebendig und klar treten die Charaktere hervor,
und die Rebellionscene im Lager kann man nur ein Meisterstück dra¬
matischer Poesie nennen. Dagegen ist das Verhältniß des Helden zu
Maria de Mendoza, seiner Geliebten und später heimlich angetrauten
Gattin, viel zu schwankend behandelt; hier fehlen Motive, die gleich¬
zeitige Leidenschaft des Königs für Marien wird nur erzählt, und es
bleibt Alles nur Schattenbild; und doch war gerade auf dieser Seit«
so reicher Stoff geboten, das rein Menschliche, das Erwärmende und
Hinreißende im Charakter des Helden zu entwickeln. — Schreitet
Mosen auf dem mit diesem Stücke betretenen Wege fort, hört er na¬
mentlich das an, was ihm über seine Fehler oft genug gesagt worden
ist, dann dürfen wir von ihm noch bedeutende tragische Dichtungen er¬
warten; vor allem ist es aber dabei nöthig, daß er A. Stahrschen Lob¬
hudeleien nicht glaubt, die ihn womöglich noch über die Sternhöhe
d«r Vollendung hinaussehen, wahrend er doch noch auf dem Wege
-? q) zum Ziele ist. '


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[0100] Zuschauer zur Anschauung gebracht. Daß viele Anklange an Göthe's Egmont und Schillers Don Carlos vorkommen, ist nicht zu verken¬ nen; doch darf man deshalb dem Dichter um deswillen keinen erheb¬ lichen Vorwutf machen, weil der Stoff historische und locale Identi¬ täten mit sich brachte. Freilich schimmert bei Don Escovedo, Jo¬ hanns Freund, Marquis Posa, beim Grafen von Bergen Wilhelm von Oranien stark durch, und es ließen sich der Parallelen noch meh¬ rere ziehen; aber wir haben sie weniger als absichtliche „Zufälligkei¬ ten", denn als nothwendige Gestaltungen gleichartiger, dichterischer Ideen zu betrachten. Die Sprache ist, leider, wieder ächt mosenisch; sie riecht ihren Shakespeare fast in jedem der Verse, die mit ihren pomphaften Wortfügungen zum Theil wahre Knüppeldamme für die Schauspieler werden; dieses Bildcrhaschen ist eine falsche Speculation auf poetischen Schwung; es verlauft sich mitunter zu Lächerlichkeiten, wie ;. B. eine Rede Escovedo's, ungefähr: „In meinem Hirn ist hohe Jagd, es schlagen die Gedankenhunde an!" in ihrem Gegensatze den oldcnburger Schauspielern zum Stichworte für ausbleibende Slichworte geworden ist. Warum hält sich der Dichter nicht auf der rechten Mitte der einfachen, natürlichen Gedankenentwickelung, wie sie bei derVermahlungs-- scene am Schluß des zweiten Actes so schön hervortritt? — Den dramati¬ schen Höhepunkt erreicht das Stück unbedingt im 3den Acte, als Don Jo¬ hann, nach der Seeschlacht von Lepanto siegreich zurückkehrend, von seinem eifersüchtigen Bruder Philipp quicscirt wird, alsdann sein- Soldaten für ihn rebellircn, und er sich endlich bewegen läßt, die Mission nach den Niederlanden zu übernehmen. Hier ist ein marki¬ ges, rasches Handeln; lebendig und klar treten die Charaktere hervor, und die Rebellionscene im Lager kann man nur ein Meisterstück dra¬ matischer Poesie nennen. Dagegen ist das Verhältniß des Helden zu Maria de Mendoza, seiner Geliebten und später heimlich angetrauten Gattin, viel zu schwankend behandelt; hier fehlen Motive, die gleich¬ zeitige Leidenschaft des Königs für Marien wird nur erzählt, und es bleibt Alles nur Schattenbild; und doch war gerade auf dieser Seit« so reicher Stoff geboten, das rein Menschliche, das Erwärmende und Hinreißende im Charakter des Helden zu entwickeln. — Schreitet Mosen auf dem mit diesem Stücke betretenen Wege fort, hört er na¬ mentlich das an, was ihm über seine Fehler oft genug gesagt worden ist, dann dürfen wir von ihm noch bedeutende tragische Dichtungen er¬ warten; vor allem ist es aber dabei nöthig, daß er A. Stahrschen Lob¬ hudeleien nicht glaubt, die ihn womöglich noch über die Sternhöhe d«r Vollendung hinaussehen, wahrend er doch noch auf dem Wege -? q) zum Ziele ist. '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/100>, abgerufen am 23.12.2024.