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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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spielenden ist der Aaubcrstein des Herrn Wagner. Ist er wirklich ein
Goten'S Ist in diesem reichausgcstatteten schönen Menschenbilde wirk¬
lich nur ein fremder, cingeblasener Geist thätig, oder ist seine Blödig¬
keit nur Jugend und Unerfahrenheit? Seine neueste Rolle (Cato in
"Gottsched und Gellert"), die er unter den Augen des Dichters einstu-
dirt hat, siel so gut aus, daß wir annehmen müssen, es sei blos der
kritische Rath, die belehrenden Fingerzeige eines verständigen Freundes,
was Herrn Wagner fehlt, um ihm seine Fehler abzugewöhnen.

Eine freundliche Vühnenerscheinung ist Herr Richter, gleichfalls
für erstes Liebhaberfach engagirt, ein junger Mann von ungefähr 26
Jahren, von wenig kräftigem, aber sehr zierlichem Körperbau und
durch elegante Tournüre von selbst auf das Conversationsstück gewie¬
sen. An der höhern Tragödie fehlt ihm der Schwung und die aus¬
dauernde Stimmkraft; aber wo die Leidenschaft zur Elegie sich mäßigt
in ruhigen, leidenden Jugendcharakteren, da ist Herr Richter stets an¬
muthig und wohlthuende" Eindrucks. Auch ihm fehlt die belehrende
Kritik, die Nahe guter Musterbilder, um seinem schönen Talente die
Reife zu geben, die ihn zu einem der besten Liebhaber deutscher Bühne
machen würde.

Einen wahren Schatz besitzt das Leipziger Theater an dem ju¬
gendlichen Komiker Herrn Meirner. Da ist Kern, Leben, Humor, da
sproßt und blüht ein Naturell voll Ursprünglichkeit und Unverwüst-
lichkeit. Herr Meirner spielt hier, seinen Engagcmentsbcdingungen
nach, auch Chevaliers und humoristische Liebhaber, ein Fach, in das
er durchaus nicht hineingehört. Der Frack ist zu enge, zu fein für
dieses naturwüchsige Talent; man lacht zwar, aber es ist eine Heiter-
keit, die der Person des Schauspielers gehört und dem darzustellenden
Charakter nicht zu Nutze gereicht. Aber wo das Modekleid, der Glace¬
handschuh und der Salonton wegfällt, wo der Strom einer glücklichen
Menschennatur ungenirt den Charakter durchzieht, da gibt es auf
deutscher Bühne wenig Schauspieler mit so herrlichen Gaben und
Wirkungen wie Meirner. Hier ist nicht blos Spaß und Possenreißerei,
sondern wirkliche Charakteristik; Herr Meirner versteht eine Rolle zu
schaffen, und wir sahen ihn letzthin hintereinander in zwei ganz neuen
Masken (dem Pfeiffer in Böttgers "Agnes Bernauer" und Wacht¬
meister in Laube's "Gottsched und Gellert"), wo er kein Borbild keine
Tradition hatte und die beide zwei ganz entgegengesetzte Genrebilder sind.

Ein Schauspieler, dessen Namen man -- nicht eben zum Vor¬
theile der Bühne -- fast auf jedem Theaterzettel findet, ist Herr
Marrder. Dieser fleißige Mann verdient wegen seines guten Willens
eine freundlichere Kritik', als wir ihm zu Theil werden lassen können.
Leider handelt es sich hier nicht um Galanterie, sondern um Wahr¬
heit. Herr Marrder spielt unverzeihlich viel. Heute den Figaro und
morgen den deutschen Krieger; gestern den Papageno und vorgestern


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spielenden ist der Aaubcrstein des Herrn Wagner. Ist er wirklich ein
Goten'S Ist in diesem reichausgcstatteten schönen Menschenbilde wirk¬
lich nur ein fremder, cingeblasener Geist thätig, oder ist seine Blödig¬
keit nur Jugend und Unerfahrenheit? Seine neueste Rolle (Cato in
„Gottsched und Gellert"), die er unter den Augen des Dichters einstu-
dirt hat, siel so gut aus, daß wir annehmen müssen, es sei blos der
kritische Rath, die belehrenden Fingerzeige eines verständigen Freundes,
was Herrn Wagner fehlt, um ihm seine Fehler abzugewöhnen.

Eine freundliche Vühnenerscheinung ist Herr Richter, gleichfalls
für erstes Liebhaberfach engagirt, ein junger Mann von ungefähr 26
Jahren, von wenig kräftigem, aber sehr zierlichem Körperbau und
durch elegante Tournüre von selbst auf das Conversationsstück gewie¬
sen. An der höhern Tragödie fehlt ihm der Schwung und die aus¬
dauernde Stimmkraft; aber wo die Leidenschaft zur Elegie sich mäßigt
in ruhigen, leidenden Jugendcharakteren, da ist Herr Richter stets an¬
muthig und wohlthuende» Eindrucks. Auch ihm fehlt die belehrende
Kritik, die Nahe guter Musterbilder, um seinem schönen Talente die
Reife zu geben, die ihn zu einem der besten Liebhaber deutscher Bühne
machen würde.

Einen wahren Schatz besitzt das Leipziger Theater an dem ju¬
gendlichen Komiker Herrn Meirner. Da ist Kern, Leben, Humor, da
sproßt und blüht ein Naturell voll Ursprünglichkeit und Unverwüst-
lichkeit. Herr Meirner spielt hier, seinen Engagcmentsbcdingungen
nach, auch Chevaliers und humoristische Liebhaber, ein Fach, in das
er durchaus nicht hineingehört. Der Frack ist zu enge, zu fein für
dieses naturwüchsige Talent; man lacht zwar, aber es ist eine Heiter-
keit, die der Person des Schauspielers gehört und dem darzustellenden
Charakter nicht zu Nutze gereicht. Aber wo das Modekleid, der Glace¬
handschuh und der Salonton wegfällt, wo der Strom einer glücklichen
Menschennatur ungenirt den Charakter durchzieht, da gibt es auf
deutscher Bühne wenig Schauspieler mit so herrlichen Gaben und
Wirkungen wie Meirner. Hier ist nicht blos Spaß und Possenreißerei,
sondern wirkliche Charakteristik; Herr Meirner versteht eine Rolle zu
schaffen, und wir sahen ihn letzthin hintereinander in zwei ganz neuen
Masken (dem Pfeiffer in Böttgers „Agnes Bernauer" und Wacht¬
meister in Laube's „Gottsched und Gellert"), wo er kein Borbild keine
Tradition hatte und die beide zwei ganz entgegengesetzte Genrebilder sind.

Ein Schauspieler, dessen Namen man — nicht eben zum Vor¬
theile der Bühne — fast auf jedem Theaterzettel findet, ist Herr
Marrder. Dieser fleißige Mann verdient wegen seines guten Willens
eine freundlichere Kritik', als wir ihm zu Theil werden lassen können.
Leider handelt es sich hier nicht um Galanterie, sondern um Wahr¬
heit. Herr Marrder spielt unverzeihlich viel. Heute den Figaro und
morgen den deutschen Krieger; gestern den Papageno und vorgestern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/99>, abgerufen am 05.02.2025.