Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.meine bisher so sorgsam geschonte Achillesferse, d. h. trotz aller mei¬ meine bisher so sorgsam geschonte Achillesferse, d. h. trotz aller mei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271338"/> <p xml:id="ID_178" prev="#ID_177" next="#ID_179"> meine bisher so sorgsam geschonte Achillesferse, d. h. trotz aller mei¬<lb/> ner Höflichkeit, die ich mir zum Gesetz hier gemacht, mußte ich von<lb/> einem verehrten Comitv-Mitgliede mich über alle Maßen grob behan¬<lb/> deln lassen. Der bisherige erste Tenor nämlich war krank geworden,<lb/> und der wackere musikfeste Goetze von Weimar, der in Kreuznach<lb/> eine Badekur brauchte, eigens in aller Eile gekommen, um bei dem<lb/> großen Mangel an Solosängern seinen gewünschten Beistand nicht<lb/> zu versagen. Leider hatte er sich aber auf dem Dampfschiffe heftig<lb/> erkältet bei dem abscheulichen Wetter, und in Bonn, wo er Montag<lb/> eingetroffen, bis Mittwoch Morgen das Bett hüten müssen. Wäh¬<lb/> rend alle Uebrigen nun sich bereits in das Concert begaben, war er<lb/> noch zurück geblieben, um seine Partie noch el» Mal am Piano<lb/> durchzugehen, und ich hatte eS übernommen, ihn zum Orchester zu<lb/> geleiten, da man ihm, dem gänzlich Unbekannten, eben so gewiß<lb/> Schwierigkeiten gemacht haben würde, wie man es Anderen gethan.<lb/> Während ich nun vor der Thür neben dem offenen Wagen stand,<lb/> und friedlich eine Cigarre rauchend, auf ihn wartete, kam plötzlich<lb/> ein mir unbekannter Herr mit der Comitvrose geschmückt, fragte<lb/> nach mir und insinuirte mir, als ich mich ihm zu erkennen gab, den<lb/> Befehl, Herrn Goetze sogleich nach dem Concerte zu bringen. Sehr<lb/> erstaunt aber sehr höflich erwiderte ich ihm: das ginge nicht so rasch,<lb/> wie er wünsche, da Herr G. noch mit seiner Partie beschäftigt sei.<lb/> Er wiederholte nun die Aufforderung, und als ich ihm bemerkte, daß<lb/> «S bei der vorherrschenden Verwirrung namentlich unter den Sängern<lb/> nicht auf einige Minuten früher oder später ankommen könne, erhielt<lb/> ich die überraschende Antwort: „Wie können Sie von Verwirrung<lb/> reden? die Verwirrung ist allein durch diejenigen Fremden veran¬<lb/> laßt, welche Ansprüche auf Ehrenkarten machen, ohne das Recht<lb/> dazu zu haben!" — Da er nun als Mitglied des Comite wissen<lb/> mußte, daß ich auf keinen Fall zu dieser Kategorie gehöre, sondern<lb/> ogar über den Domherrn Smets und mich in dieser Hinsicht ein<lb/> eigener eben so gütiger als ehrenvoller Beschluß des Comite vorhan¬<lb/> den sei, so antwortete ich ihm sehr befremdet: „Aber ich bitte Sie,<lb/> waS sagen Sie das mir? Was geht denn das mich an?" — Statt<lb/> einer Entschuldigung aber wiederholte der treffliche große Comite-<lb/> Unbekannte dasselbe wörtlich noch ein Mal, und mir blieb nun nichts</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
meine bisher so sorgsam geschonte Achillesferse, d. h. trotz aller mei¬
ner Höflichkeit, die ich mir zum Gesetz hier gemacht, mußte ich von
einem verehrten Comitv-Mitgliede mich über alle Maßen grob behan¬
deln lassen. Der bisherige erste Tenor nämlich war krank geworden,
und der wackere musikfeste Goetze von Weimar, der in Kreuznach
eine Badekur brauchte, eigens in aller Eile gekommen, um bei dem
großen Mangel an Solosängern seinen gewünschten Beistand nicht
zu versagen. Leider hatte er sich aber auf dem Dampfschiffe heftig
erkältet bei dem abscheulichen Wetter, und in Bonn, wo er Montag
eingetroffen, bis Mittwoch Morgen das Bett hüten müssen. Wäh¬
rend alle Uebrigen nun sich bereits in das Concert begaben, war er
noch zurück geblieben, um seine Partie noch el» Mal am Piano
durchzugehen, und ich hatte eS übernommen, ihn zum Orchester zu
geleiten, da man ihm, dem gänzlich Unbekannten, eben so gewiß
Schwierigkeiten gemacht haben würde, wie man es Anderen gethan.
Während ich nun vor der Thür neben dem offenen Wagen stand,
und friedlich eine Cigarre rauchend, auf ihn wartete, kam plötzlich
ein mir unbekannter Herr mit der Comitvrose geschmückt, fragte
nach mir und insinuirte mir, als ich mich ihm zu erkennen gab, den
Befehl, Herrn Goetze sogleich nach dem Concerte zu bringen. Sehr
erstaunt aber sehr höflich erwiderte ich ihm: das ginge nicht so rasch,
wie er wünsche, da Herr G. noch mit seiner Partie beschäftigt sei.
Er wiederholte nun die Aufforderung, und als ich ihm bemerkte, daß
«S bei der vorherrschenden Verwirrung namentlich unter den Sängern
nicht auf einige Minuten früher oder später ankommen könne, erhielt
ich die überraschende Antwort: „Wie können Sie von Verwirrung
reden? die Verwirrung ist allein durch diejenigen Fremden veran¬
laßt, welche Ansprüche auf Ehrenkarten machen, ohne das Recht
dazu zu haben!" — Da er nun als Mitglied des Comite wissen
mußte, daß ich auf keinen Fall zu dieser Kategorie gehöre, sondern
ogar über den Domherrn Smets und mich in dieser Hinsicht ein
eigener eben so gütiger als ehrenvoller Beschluß des Comite vorhan¬
den sei, so antwortete ich ihm sehr befremdet: „Aber ich bitte Sie,
waS sagen Sie das mir? Was geht denn das mich an?" — Statt
einer Entschuldigung aber wiederholte der treffliche große Comite-
Unbekannte dasselbe wörtlich noch ein Mal, und mir blieb nun nichts
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