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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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noch schönem Lichte darzustellen. Der neuseeländische Häuptling Hell,
der die Engländer bereits dreimal aufs Haupt schlug, ist nach dem
Journal des Dvbats ein protestantischer, von Methodisten getaufter
Christ und heißt mit seinem Vornamen, wie Ronge und der Apo¬
kalyptische, Johannes. Er soll jedoch die anglicanischen wie die jesui¬
tischen Missionare gleich energisch verachten, und behauptet, das Chri¬
stenthum besser zu verstehen als sie. Er kennt das neue Testament
auswendig und führt bestandig Sprüche aus dem Evangelium im
Munde, die er mit schlagendem Witz auf das unchristliche Treiben
seiner Gegner anzuwenden weiß. Er ist kühn im Kampfe und be¬
handelt die Gefangenen mit Edelmuth. Den Stamm, an dessen
Spitze er steht und den er der Herrschaft Victorias zu entziehen strebt,
sucht er zugleich an mildere Sitten zu gewöhnen. Doch kann er
freilich nicht verhindern, daß seine tapfern Krieger manchmal aus der
Art schlagen und dann und wann in seiner Abwesenheit einem gefan¬
genen Engländer die Uniform ausziehen, ihn braten und essen, ver¬
muthlich nur, um einen Vorgeschmack der Civilisation zu bekommen
und etwas Christenthum "in sich aufzunehmen". Die englischen
Truppen sind diesem Volke gegenüber sehr schlimm daran, gerade weil
sie mit Fallstaff's Compagnie keine Aehnlichkeit haben; der englische
Soldat ist nämlich wohlgenährt, so daß er eine appetitliche Beute ist
und durch seine bloße Erscheinung den Muth der Neuseeländer bis
zum wahnsinnigsten Heroismus stachelt. Russische Soldaten oder han-
növersche Schulmeister wären in dieser Beziehung glücklicher.

-- Amerika rückt uns immer näher, nicht blos durch die steigende Ver¬
vollkommnung der zahllosen Dampfschiffe, die bald eine fliegende Brücke
über den Ocean bilden und die Fahrt in zehn Tagen machen werden,
sondern fast mehr noch durch seine deutsche Journalistik. So be¬
weist die Neu Aorker Schnellpost, daß ein sehr lebhaftes Interesse
für unsere Zustände in Amerika herrschen muß, denn diese Zeitung --
die nicht, gleich den Londoner oder Pariser deutschen Journalen auf
das Publicum Altdeutschlands speculirt, dem sie nur hie und da in-
coKnita begegnet, die vielmehr durch ihre bedeutende Verbreitung im
amerikanischen Neudeutschland gesichert ist - - beschäftigt sich fortwäh¬
rend und gründlich mit unsern Vor- und Rückschritten. Und wir
gestehen, daß man drüben aus der Schnellpost oft ein klareres Ge-
sammtbild unserer Tage erhalten kann, als aus den vielen hierogly¬
phisch geschraubten und censurschielenden Blattern, die in Deutschland
selber erscheinen. Das Blatt muß einige vortreffliche Federn in Europa
besitzen; namentlich liefert ihr Korrespondent aus Süddeutschland Ue¬
bersichten voll Sachkenntniß, voll Frische, voll Geist und Leben. Die
Schnellpost bietet ein Bild des deutschamerikanischen und deutscheuro¬
päischen Lebens zugleich; zwei sehr interessante Gegensatze. Der Re-


noch schönem Lichte darzustellen. Der neuseeländische Häuptling Hell,
der die Engländer bereits dreimal aufs Haupt schlug, ist nach dem
Journal des Dvbats ein protestantischer, von Methodisten getaufter
Christ und heißt mit seinem Vornamen, wie Ronge und der Apo¬
kalyptische, Johannes. Er soll jedoch die anglicanischen wie die jesui¬
tischen Missionare gleich energisch verachten, und behauptet, das Chri¬
stenthum besser zu verstehen als sie. Er kennt das neue Testament
auswendig und führt bestandig Sprüche aus dem Evangelium im
Munde, die er mit schlagendem Witz auf das unchristliche Treiben
seiner Gegner anzuwenden weiß. Er ist kühn im Kampfe und be¬
handelt die Gefangenen mit Edelmuth. Den Stamm, an dessen
Spitze er steht und den er der Herrschaft Victorias zu entziehen strebt,
sucht er zugleich an mildere Sitten zu gewöhnen. Doch kann er
freilich nicht verhindern, daß seine tapfern Krieger manchmal aus der
Art schlagen und dann und wann in seiner Abwesenheit einem gefan¬
genen Engländer die Uniform ausziehen, ihn braten und essen, ver¬
muthlich nur, um einen Vorgeschmack der Civilisation zu bekommen
und etwas Christenthum „in sich aufzunehmen". Die englischen
Truppen sind diesem Volke gegenüber sehr schlimm daran, gerade weil
sie mit Fallstaff's Compagnie keine Aehnlichkeit haben; der englische
Soldat ist nämlich wohlgenährt, so daß er eine appetitliche Beute ist
und durch seine bloße Erscheinung den Muth der Neuseeländer bis
zum wahnsinnigsten Heroismus stachelt. Russische Soldaten oder han-
növersche Schulmeister wären in dieser Beziehung glücklicher.

— Amerika rückt uns immer näher, nicht blos durch die steigende Ver¬
vollkommnung der zahllosen Dampfschiffe, die bald eine fliegende Brücke
über den Ocean bilden und die Fahrt in zehn Tagen machen werden,
sondern fast mehr noch durch seine deutsche Journalistik. So be¬
weist die Neu Aorker Schnellpost, daß ein sehr lebhaftes Interesse
für unsere Zustände in Amerika herrschen muß, denn diese Zeitung —
die nicht, gleich den Londoner oder Pariser deutschen Journalen auf
das Publicum Altdeutschlands speculirt, dem sie nur hie und da in-
coKnita begegnet, die vielmehr durch ihre bedeutende Verbreitung im
amerikanischen Neudeutschland gesichert ist - - beschäftigt sich fortwäh¬
rend und gründlich mit unsern Vor- und Rückschritten. Und wir
gestehen, daß man drüben aus der Schnellpost oft ein klareres Ge-
sammtbild unserer Tage erhalten kann, als aus den vielen hierogly¬
phisch geschraubten und censurschielenden Blattern, die in Deutschland
selber erscheinen. Das Blatt muß einige vortreffliche Federn in Europa
besitzen; namentlich liefert ihr Korrespondent aus Süddeutschland Ue¬
bersichten voll Sachkenntniß, voll Frische, voll Geist und Leben. Die
Schnellpost bietet ein Bild des deutschamerikanischen und deutscheuro¬
päischen Lebens zugleich; zwei sehr interessante Gegensatze. Der Re-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/608>, abgerufen am 05.02.2025.