Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.thut, um sie in Mißcredit zu bringen und immer mehr darauf sieht, -- Die Engländer haben nun auch ihren Abtei Kader, was in 77 ,
thut, um sie in Mißcredit zu bringen und immer mehr darauf sieht, — Die Engländer haben nun auch ihren Abtei Kader, was in 77 ,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0607" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271868"/> <p xml:id="ID_1578" prev="#ID_1577"> thut, um sie in Mißcredit zu bringen und immer mehr darauf sieht,<lb/> daß eben nur das Papier daran eine Wahrheit sei. In Baden hat<lb/> der Großherzog die Kammer nicht in eigener Person eröffnet, so<lb/> daß seine Minister formell Recht haben, wenn sie eine Antworts-<lb/> adresse als eine Unmöglichkeit zurückzuweisen suchen. Noch unver¬<lb/> gleichlich ernsthafter nimmt es die churfürstlich hessische Regierung mit<lb/> ihrer Verfassung. Nach einer Reihe von Jahren werden endlich die<lb/> Stande versammelt, beeidigt und vom Regierungsbevollmächtigter der<lb/> allerhöchsten Huld versichert. Kaum aber, daß ein Deputirter das<lb/> Wort nehmen will, so erklärt der Präsident die Sitzung für eine<lb/> vertrauliche und eröffnet der Kammer im Vertrauen, sie sei „auf un¬<lb/> bestimmte Zeit vertagt". Die unbestimmten Zeiten spielen in der<lb/> deutschen Politik eine große Rolle, die deutsche Freiheit scheint<lb/> auf unbestimmte Zeit prorogirt. Eine ähnliche Scene, wie die<lb/> eben erwähnte, ereignete sich zu Kassel 1832. Die Regierung wollte<lb/> gleich nach der Kammereröffnung den Deputirten Professor Jordan<lb/> aus Marburg nicht zulassen, indem sie ihm den Urlaub verweigerte,<lb/> während die Stände einstimmig beschlossen, den Gewählten zu beru¬<lb/> fen. Da stieg plötzlich Sylvester Jordan selbst, der sich unter den Zu¬<lb/> schauern befand, muthig über die Bänke, um seinen Platz einzunehmen.<lb/> Sogleich schellt der Präsident! Vertrauliche Sitzung, Auflösung der Kammer.<lb/> Jetzt, wo Sylvester weder auf der Deputirtenbank noch auf dem Lehr¬<lb/> stuhl eine Stimme hat, findet man schwerer einen Grund für dies<lb/> summarische Verfahren. Einige sprechen von der kritischen Lage der<lb/> Finanzen, die zur Sprache gekommen wäre. Aber vielleicht liegt der<lb/> Grund näher. Es gibt in Hessen Nichts zu discutiren. Nichts mehr<lb/> zu reformiren; so glücklich ist das Land, daß die neuen Uniformen<lb/> eingeführt und die Dragoner in Husaren verwandelt sind. Indessen<lb/> hat das deutsche Verfassungswesen, wie das menschliche Leben von<lb/> Old Rick und Grandville, auch seine komischen „kleinen Leiden". In<lb/> München hat diesmal die Standekammer zweimal beeidigt werden<lb/> müssen. Es stellte sich nämlich heraus, daß bei der ersten feierlichen<lb/> Beeidigung der ehrwürdige alte Justizminister Baron von Schenk, in<lb/> der Zerstreuung eine ganz andere, gar nicht zur Sache gehörige For¬<lb/> mel den Deputirten vorgesagt hatte, während diese, entweder nicht<lb/> deutlich hörend oder in unschuldiger Geistesabwesenheit, mechanisch<lb/> ihr: Ich schwöre! der Reihe nach erschallen ließen. Ein Beweis,<lb/> was sich manche Leute bei ihren Schwüren denken; seien es nun<lb/> Liebesschwüre oder politische.</p><lb/> <p xml:id="ID_1579" next="#ID_1580"> — Die Engländer haben nun auch ihren Abtei Kader, was in<lb/> die oiitonto corcliu ig eine gewisse Symmetrie bringen wird; denn wie<lb/> die Londoner Journale bisher den arabischen Franzosenfresser als den<lb/> ritterlichsten Freiheitshelden feierten, so beeilt sich jetzt die Pariser<lb/> Presse, den neuseeländischen Britenfresser in einem ähnlichen, wo nicht</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 77 ,</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0607]
thut, um sie in Mißcredit zu bringen und immer mehr darauf sieht,
daß eben nur das Papier daran eine Wahrheit sei. In Baden hat
der Großherzog die Kammer nicht in eigener Person eröffnet, so
daß seine Minister formell Recht haben, wenn sie eine Antworts-
adresse als eine Unmöglichkeit zurückzuweisen suchen. Noch unver¬
gleichlich ernsthafter nimmt es die churfürstlich hessische Regierung mit
ihrer Verfassung. Nach einer Reihe von Jahren werden endlich die
Stande versammelt, beeidigt und vom Regierungsbevollmächtigter der
allerhöchsten Huld versichert. Kaum aber, daß ein Deputirter das
Wort nehmen will, so erklärt der Präsident die Sitzung für eine
vertrauliche und eröffnet der Kammer im Vertrauen, sie sei „auf un¬
bestimmte Zeit vertagt". Die unbestimmten Zeiten spielen in der
deutschen Politik eine große Rolle, die deutsche Freiheit scheint
auf unbestimmte Zeit prorogirt. Eine ähnliche Scene, wie die
eben erwähnte, ereignete sich zu Kassel 1832. Die Regierung wollte
gleich nach der Kammereröffnung den Deputirten Professor Jordan
aus Marburg nicht zulassen, indem sie ihm den Urlaub verweigerte,
während die Stände einstimmig beschlossen, den Gewählten zu beru¬
fen. Da stieg plötzlich Sylvester Jordan selbst, der sich unter den Zu¬
schauern befand, muthig über die Bänke, um seinen Platz einzunehmen.
Sogleich schellt der Präsident! Vertrauliche Sitzung, Auflösung der Kammer.
Jetzt, wo Sylvester weder auf der Deputirtenbank noch auf dem Lehr¬
stuhl eine Stimme hat, findet man schwerer einen Grund für dies
summarische Verfahren. Einige sprechen von der kritischen Lage der
Finanzen, die zur Sprache gekommen wäre. Aber vielleicht liegt der
Grund näher. Es gibt in Hessen Nichts zu discutiren. Nichts mehr
zu reformiren; so glücklich ist das Land, daß die neuen Uniformen
eingeführt und die Dragoner in Husaren verwandelt sind. Indessen
hat das deutsche Verfassungswesen, wie das menschliche Leben von
Old Rick und Grandville, auch seine komischen „kleinen Leiden". In
München hat diesmal die Standekammer zweimal beeidigt werden
müssen. Es stellte sich nämlich heraus, daß bei der ersten feierlichen
Beeidigung der ehrwürdige alte Justizminister Baron von Schenk, in
der Zerstreuung eine ganz andere, gar nicht zur Sache gehörige For¬
mel den Deputirten vorgesagt hatte, während diese, entweder nicht
deutlich hörend oder in unschuldiger Geistesabwesenheit, mechanisch
ihr: Ich schwöre! der Reihe nach erschallen ließen. Ein Beweis,
was sich manche Leute bei ihren Schwüren denken; seien es nun
Liebesschwüre oder politische.
— Die Engländer haben nun auch ihren Abtei Kader, was in
die oiitonto corcliu ig eine gewisse Symmetrie bringen wird; denn wie
die Londoner Journale bisher den arabischen Franzosenfresser als den
ritterlichsten Freiheitshelden feierten, so beeilt sich jetzt die Pariser
Presse, den neuseeländischen Britenfresser in einem ähnlichen, wo nicht
77 ,
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