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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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zösi'schen Revolution einen freien Blick in unsere Zeit herübergewor¬
fen, so ist es aus mit seinem Nimbus, aus mit seiner Autorität
Er ist nicht mehr gründlich, schreien die Unken, sein Blick ist getrübt
vom Lichte des Tages, rufen die Nachteulen. Er hat populair ge¬
schrieben, klares, deutliches Deutsch, ein schlechter Professor! Er ist
lebendig geworden, wehe ihm! Denn nur die Todten sollen leben
und nur die Mumien sind voll organischer Aeugungskraft. Ist
doch schon eine Volkssage entstanden, der gefeierte Dahlmann sei bei
denHochwächternderpreußischen Cultur und despreußischen Cultus inUn¬
gnade gefallen. Aehnlich ist es Gervinus ergangen. So lange er blos die junge
Literatur negirte, war er ein Muster tiefer Wissenschaft und deutscher Gewis¬
senhaftigkeit. Seine Motive verstand man nicht oder wollte man
nicht verstehen. Nun er in seiner Schrift über den Deutschkatholi¬
cismus auch die Lebenskraft der orthodoxen Kirche negirt, -- wo ist
da sein Nimbus? Wie leicht wird das Urtheil über ihn! Schlosser
gehört eigentlich nicht in die Kategorie der auferstandenen Gelehrten:
er war von jeher lebendig und hat mit seinem Hammer stets auf
den rostigen Amboß der deutschen Gegenwart gedonnert. Neuerdings
geht das Gerücht, der greise Historiker habe dem Erben eines großen
süddeutschen Thrones (Baiern?) ein Memoire über die Zustande
Deutschlands zugeschickt, worin mit schneidender Scharfe die verkehrte
Politik und die reactionäre Richtung der Cabinette angeklagt sei.
Diese Denkschrift ^- für welche der Prinz sich mit einem Portrait
in Brillanten bedankt haben soll -- wird aber nicht gedruckt und
vielleicht nie beherzigt werden, und das wäre doch der rechte Dank,
den ein Mann wie Schlosser wünschen wird. -- Dahlmann, Gervi¬
nus, Schlosser werden von gewissen Seiten als Doktrinäre und Bü¬
cherwürmer bespöttelt und verschrieen, jetzt, wo sie es am wenigsten
sind. Die Presse, sagen die Bureaukraten, ist zu oberflächlich, die
Gelehrsamkeit ist zu tief, jene kennt nur den Tag, diese nur die
Vorzeit.


V.
Notizen.

Türkische Buchhändler. -- Don Ranudo de Colibravos. -- Große und kleine
Leiden des deutschen Constitutionswesens. -- Der englische Abtei Kader. --
Deutsche Presse in Amerika. -- Brief aus Stuttgart.

-- Ein Staat kann Buchhändler haben, sehr viele Buchhändler,
und doch türkisch sein. Es fragt sich sogar, ob die türkischen Buch¬
händler bornirtcr sind als die spanischen, die vor einiger Zeit in diesen
Blättern geschildert wurden und von denen man erzählt, daß sie ein
Buch für eben so interessant wie das andere halten, wenn nur Vo¬
lumen und Einband sich gleichen oder die Titel eine entfernte Aehn-


Grcnzbotm, IV. 77

zösi'schen Revolution einen freien Blick in unsere Zeit herübergewor¬
fen, so ist es aus mit seinem Nimbus, aus mit seiner Autorität
Er ist nicht mehr gründlich, schreien die Unken, sein Blick ist getrübt
vom Lichte des Tages, rufen die Nachteulen. Er hat populair ge¬
schrieben, klares, deutliches Deutsch, ein schlechter Professor! Er ist
lebendig geworden, wehe ihm! Denn nur die Todten sollen leben
und nur die Mumien sind voll organischer Aeugungskraft. Ist
doch schon eine Volkssage entstanden, der gefeierte Dahlmann sei bei
denHochwächternderpreußischen Cultur und despreußischen Cultus inUn¬
gnade gefallen. Aehnlich ist es Gervinus ergangen. So lange er blos die junge
Literatur negirte, war er ein Muster tiefer Wissenschaft und deutscher Gewis¬
senhaftigkeit. Seine Motive verstand man nicht oder wollte man
nicht verstehen. Nun er in seiner Schrift über den Deutschkatholi¬
cismus auch die Lebenskraft der orthodoxen Kirche negirt, — wo ist
da sein Nimbus? Wie leicht wird das Urtheil über ihn! Schlosser
gehört eigentlich nicht in die Kategorie der auferstandenen Gelehrten:
er war von jeher lebendig und hat mit seinem Hammer stets auf
den rostigen Amboß der deutschen Gegenwart gedonnert. Neuerdings
geht das Gerücht, der greise Historiker habe dem Erben eines großen
süddeutschen Thrones (Baiern?) ein Memoire über die Zustande
Deutschlands zugeschickt, worin mit schneidender Scharfe die verkehrte
Politik und die reactionäre Richtung der Cabinette angeklagt sei.
Diese Denkschrift ^- für welche der Prinz sich mit einem Portrait
in Brillanten bedankt haben soll — wird aber nicht gedruckt und
vielleicht nie beherzigt werden, und das wäre doch der rechte Dank,
den ein Mann wie Schlosser wünschen wird. — Dahlmann, Gervi¬
nus, Schlosser werden von gewissen Seiten als Doktrinäre und Bü¬
cherwürmer bespöttelt und verschrieen, jetzt, wo sie es am wenigsten
sind. Die Presse, sagen die Bureaukraten, ist zu oberflächlich, die
Gelehrsamkeit ist zu tief, jene kennt nur den Tag, diese nur die
Vorzeit.


V.
Notizen.

Türkische Buchhändler. — Don Ranudo de Colibravos. — Große und kleine
Leiden des deutschen Constitutionswesens. — Der englische Abtei Kader. —
Deutsche Presse in Amerika. — Brief aus Stuttgart.

— Ein Staat kann Buchhändler haben, sehr viele Buchhändler,
und doch türkisch sein. Es fragt sich sogar, ob die türkischen Buch¬
händler bornirtcr sind als die spanischen, die vor einiger Zeit in diesen
Blättern geschildert wurden und von denen man erzählt, daß sie ein
Buch für eben so interessant wie das andere halten, wenn nur Vo¬
lumen und Einband sich gleichen oder die Titel eine entfernte Aehn-


Grcnzbotm, IV. 77
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[0605] zösi'schen Revolution einen freien Blick in unsere Zeit herübergewor¬ fen, so ist es aus mit seinem Nimbus, aus mit seiner Autorität Er ist nicht mehr gründlich, schreien die Unken, sein Blick ist getrübt vom Lichte des Tages, rufen die Nachteulen. Er hat populair ge¬ schrieben, klares, deutliches Deutsch, ein schlechter Professor! Er ist lebendig geworden, wehe ihm! Denn nur die Todten sollen leben und nur die Mumien sind voll organischer Aeugungskraft. Ist doch schon eine Volkssage entstanden, der gefeierte Dahlmann sei bei denHochwächternderpreußischen Cultur und despreußischen Cultus inUn¬ gnade gefallen. Aehnlich ist es Gervinus ergangen. So lange er blos die junge Literatur negirte, war er ein Muster tiefer Wissenschaft und deutscher Gewis¬ senhaftigkeit. Seine Motive verstand man nicht oder wollte man nicht verstehen. Nun er in seiner Schrift über den Deutschkatholi¬ cismus auch die Lebenskraft der orthodoxen Kirche negirt, — wo ist da sein Nimbus? Wie leicht wird das Urtheil über ihn! Schlosser gehört eigentlich nicht in die Kategorie der auferstandenen Gelehrten: er war von jeher lebendig und hat mit seinem Hammer stets auf den rostigen Amboß der deutschen Gegenwart gedonnert. Neuerdings geht das Gerücht, der greise Historiker habe dem Erben eines großen süddeutschen Thrones (Baiern?) ein Memoire über die Zustande Deutschlands zugeschickt, worin mit schneidender Scharfe die verkehrte Politik und die reactionäre Richtung der Cabinette angeklagt sei. Diese Denkschrift ^- für welche der Prinz sich mit einem Portrait in Brillanten bedankt haben soll — wird aber nicht gedruckt und vielleicht nie beherzigt werden, und das wäre doch der rechte Dank, den ein Mann wie Schlosser wünschen wird. — Dahlmann, Gervi¬ nus, Schlosser werden von gewissen Seiten als Doktrinäre und Bü¬ cherwürmer bespöttelt und verschrieen, jetzt, wo sie es am wenigsten sind. Die Presse, sagen die Bureaukraten, ist zu oberflächlich, die Gelehrsamkeit ist zu tief, jene kennt nur den Tag, diese nur die Vorzeit. V. Notizen. Türkische Buchhändler. — Don Ranudo de Colibravos. — Große und kleine Leiden des deutschen Constitutionswesens. — Der englische Abtei Kader. — Deutsche Presse in Amerika. — Brief aus Stuttgart. — Ein Staat kann Buchhändler haben, sehr viele Buchhändler, und doch türkisch sein. Es fragt sich sogar, ob die türkischen Buch¬ händler bornirtcr sind als die spanischen, die vor einiger Zeit in diesen Blättern geschildert wurden und von denen man erzählt, daß sie ein Buch für eben so interessant wie das andere halten, wenn nur Vo¬ lumen und Einband sich gleichen oder die Titel eine entfernte Aehn- Grcnzbotm, IV. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/605>, abgerufen am 05.02.2025.