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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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polnische Grenadier über das mysteriöse Casernenabenteuer gehalten,
ausgerufen habe: "Das ist ja wunderbar!" Diese große Pointe hat
sich die Magdeburger Zeitung nicht entgehen lassen, und mit Recht;
denn es ist unleugbar, daß das Ganze dadurch erst die wahre Weihe
und den rechten Stempel erhalten hat, indem die getreuen preußischen
Unterthanen sonach nicht länger in Zweifel sein können, ob sie die
Sache für wunderbar halten sollen, dürfen und mögen, oder nicht.
Da nun Wunder, wie Unglück, nie allein kommen, so ist außer jener
geheimnißvollen Begebenheit von den Berliner Zeitungscorrespondenten
hier noch ein überaus mysteriöses Mädchen entdeckt und nicht nur den
Sonden des !)>-. Dieffenbach, sondern auch bereits der Deutschen All¬
gemeinen und anderen für Naturseltenheiten importirten Blättern
überliefert worden, welchem Mädchen -- stellen Sie sich doch nur
vor -- hinten aus dem Rückgrat oder aus dem Nacken, oder sonst
wo ein wohlconditionirtes Mannsbein hervorgewachsen ist; nach der
Angabe einiger gelehrten Naturforscher sogar gestiefelt und gespornt.
Da dergleichen Mißgeburten in den guten frommen Tagen unserer
christlichen Voreltern jederzeit irgend ein Unheil bedeutet haben, so wird
denn auch jetzt von Allen, die in den ehrwürdigen Fußtapfen jener
nicht genug zu preisender gläubigen Zeit wandeln, schweres Geschick
für das Jahr !846 vorausgesagt, z. B. daß die schon jetzt so furcht¬
bar zügellose Presse Preußens, Sachsens und anderer Bundesstaaten
ein wahrer Heißsporn werden, ganz und gar über alle Stränge schla¬
gen und in ihrer Frechheit so weit gehen werde, sich sogar um des
Kaisers Bart zu streiten, oder, wie etliche Säule unter den Propheten
prophezeihen, daß die beiden Mägdlein, deren Geburt, der allgemeinen
Meinung nach, nun endlich ganz gewiß demnächst zu erwarten steht,
die bewußte Constitution und die langbebrütete Bundespreßfreiheit
ebenfalls mit einem gespornten Fuß im Nacken zur Welt kommen
werden.

Damit aber die Gallerie des Wunderbaren voll werde, hat bei
irgend einer Schlägerei an irgend einer Berliner Straßenecke ein Mann
in geifernder Wuth einen anderen Mann in den Finger gebissen, und
die Folge davon war, daß der Gebissene unter Symptomen starb, wie
sie einzutreten pflegen, wenn Jemand von einem tollen Hunde gebis¬
sen worden. Ich kann mich deswegen aus Herrn Srieber's "Bei¬
träge" berufen. Diese Beiträge sind überhaupt große Freunde vom
Wunderbaren und Romantischen. Es ist eine schauerliche Lust, zu
sehen, wie sie den Jammer der Menschheit scalpiren und mit from¬
mem Stöhnen und himmelwärts verdrehten Augen das zuckende Herz
des Elends zerlegen, dessen Blut sie uns zu kosten geben. Aber so
weit hatten sie es bis dahin in der Romantik noch nicht gebracht,
uns den Menschen als pure Bestie zu zeigen.

Bei Gelegenheit von Bestien, und um auf etwas Erfreulicheres


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polnische Grenadier über das mysteriöse Casernenabenteuer gehalten,
ausgerufen habe: „Das ist ja wunderbar!" Diese große Pointe hat
sich die Magdeburger Zeitung nicht entgehen lassen, und mit Recht;
denn es ist unleugbar, daß das Ganze dadurch erst die wahre Weihe
und den rechten Stempel erhalten hat, indem die getreuen preußischen
Unterthanen sonach nicht länger in Zweifel sein können, ob sie die
Sache für wunderbar halten sollen, dürfen und mögen, oder nicht.
Da nun Wunder, wie Unglück, nie allein kommen, so ist außer jener
geheimnißvollen Begebenheit von den Berliner Zeitungscorrespondenten
hier noch ein überaus mysteriöses Mädchen entdeckt und nicht nur den
Sonden des !)>-. Dieffenbach, sondern auch bereits der Deutschen All¬
gemeinen und anderen für Naturseltenheiten importirten Blättern
überliefert worden, welchem Mädchen — stellen Sie sich doch nur
vor — hinten aus dem Rückgrat oder aus dem Nacken, oder sonst
wo ein wohlconditionirtes Mannsbein hervorgewachsen ist; nach der
Angabe einiger gelehrten Naturforscher sogar gestiefelt und gespornt.
Da dergleichen Mißgeburten in den guten frommen Tagen unserer
christlichen Voreltern jederzeit irgend ein Unheil bedeutet haben, so wird
denn auch jetzt von Allen, die in den ehrwürdigen Fußtapfen jener
nicht genug zu preisender gläubigen Zeit wandeln, schweres Geschick
für das Jahr !846 vorausgesagt, z. B. daß die schon jetzt so furcht¬
bar zügellose Presse Preußens, Sachsens und anderer Bundesstaaten
ein wahrer Heißsporn werden, ganz und gar über alle Stränge schla¬
gen und in ihrer Frechheit so weit gehen werde, sich sogar um des
Kaisers Bart zu streiten, oder, wie etliche Säule unter den Propheten
prophezeihen, daß die beiden Mägdlein, deren Geburt, der allgemeinen
Meinung nach, nun endlich ganz gewiß demnächst zu erwarten steht,
die bewußte Constitution und die langbebrütete Bundespreßfreiheit
ebenfalls mit einem gespornten Fuß im Nacken zur Welt kommen
werden.

Damit aber die Gallerie des Wunderbaren voll werde, hat bei
irgend einer Schlägerei an irgend einer Berliner Straßenecke ein Mann
in geifernder Wuth einen anderen Mann in den Finger gebissen, und
die Folge davon war, daß der Gebissene unter Symptomen starb, wie
sie einzutreten pflegen, wenn Jemand von einem tollen Hunde gebis¬
sen worden. Ich kann mich deswegen aus Herrn Srieber's „Bei¬
träge" berufen. Diese Beiträge sind überhaupt große Freunde vom
Wunderbaren und Romantischen. Es ist eine schauerliche Lust, zu
sehen, wie sie den Jammer der Menschheit scalpiren und mit from¬
mem Stöhnen und himmelwärts verdrehten Augen das zuckende Herz
des Elends zerlegen, dessen Blut sie uns zu kosten geben. Aber so
weit hatten sie es bis dahin in der Romantik noch nicht gebracht,
uns den Menschen als pure Bestie zu zeigen.

Bei Gelegenheit von Bestien, und um auf etwas Erfreulicheres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/599>, abgerufen am 05.02.2025.