Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

listische Stille einer so zahlreichen Versammlung ist ein charakteristi-
Iches Merkmal der Berliner; in einer süddeutschen Stadt, namentlich
in Wien, wäre solch' nüchternes, schüchternes Flüstern einer Volks¬
menge, die zu ihrem Vergnügen an einem öffentlichen Orte zusammen¬
kommt, nicht denkbar. Etwas Lustigkeit müßte da doch mit unterlaufen.
Wirklichen Kunstwerth unter den unzähligen Weihnachtsausstellungen
Berlins haben nur die der Gebrüder Gropius. Die Dioramen der¬
selben verdienen ihren europäischen Ruf, und nebst diesen sind eine
große Anzahl scherzhaft-satyrischer Gegenstände zu bewundern, eine
reiche Sammlung seltner Spielereien macht uns die Wahl schwer,
kurz die Vorliebe der Berliner für dieses Lokal scheint mir hinlänglich
gerechtfertigt. Als glänzendes Moralitätszcugniß liest man am Ein¬
gange eines jeden Saales mit riesengroßen Buchstaben die Worte:
Vor Taschendieben wird gewarnt. --

Mit dem Eintreten des strengeren Winters eröffnen sowohl die
sogenannten geschlossenen Gesellschaften, als auch jene Personen welche
"ein Haus machen" ihre Salons. Unter den ersteren zeichnet sich die
Gesellschaft der Freunde aus. Ein frischer zwangloser Ton
herrscht dort, ein reicher Fond zu welchem auch das der Societät ei¬
gens angehörige prachtvolle Gebäude gehört, erlauben den thätigen
Direktoren dieses heiteren Vereins prachtvolle Feste zu geben, und in
den von Zeit zu Zeit arrangirten Concerten bietet man den Zuhörern
Kunstgenüsse, deren man an Einem Abende wohl an keinem anderen
Orte theilhaft werden kann, und zu welchen beizutragen, einheimische
und fremde Notabilitäten nie verschmähen. -- Für Concerte scheint
Heuer ein sehr fruchtbares Jahr zu werden. Lisa Christian! und Ma-
riette Alboni -- die emancipirten Damen -- eröffneten den Reigen.
Ueber Letztere ist Rellstab vernichtend hergefallen, dem Vernehmen nach,
weil sie dem Gefürchteteten die pflichtschuldige Reverenz-Visite versagt;
nun haben gar viele tapfere Ritter die Lanzen eingelegt für den Ruhm
der fremden Sängerin, welche auch rasch sich zum Liebling des Pu¬
blikums emporschwang. Die Christian! erscheint, wenn auch nicht
im Purpur geboren, doch an keinem Orte ohne Herrlichkeit. Die
Obigen, ferner der große Künstler auf dem Horne, Herr Visier,
der ebenbürtige Nebenbuhler Lißt's Bittlof, die noch immer ver¬
götterte Jenny Lind, sie alle haben den Enthusiasmus der in die¬
sem Punkte fehr heißblütigen Berliner in die Schranken gerufen; der
fremde Virtuos kann hier auf ein dankbares Publikum, auf Beifall
und Kränze rechnen, und fo mag er denn in Gottesnamen seine Pil¬
gerfahrt nach unserem Spree-Athen antreten, wenn er auf eine Klei¬
nigkeit, auf den klingenden Lohn seiner Leistung großmüthig restgnirt,
denn mit seltnen Ausnahmen werden Concerte in Berlin mit solcher
Consequenz -- nichtbcsucht, daß ein sehr gewandter Agent dazu ge¬
hört, um den Saal mit Freibillette" zu füllen.


listische Stille einer so zahlreichen Versammlung ist ein charakteristi-
Iches Merkmal der Berliner; in einer süddeutschen Stadt, namentlich
in Wien, wäre solch' nüchternes, schüchternes Flüstern einer Volks¬
menge, die zu ihrem Vergnügen an einem öffentlichen Orte zusammen¬
kommt, nicht denkbar. Etwas Lustigkeit müßte da doch mit unterlaufen.
Wirklichen Kunstwerth unter den unzähligen Weihnachtsausstellungen
Berlins haben nur die der Gebrüder Gropius. Die Dioramen der¬
selben verdienen ihren europäischen Ruf, und nebst diesen sind eine
große Anzahl scherzhaft-satyrischer Gegenstände zu bewundern, eine
reiche Sammlung seltner Spielereien macht uns die Wahl schwer,
kurz die Vorliebe der Berliner für dieses Lokal scheint mir hinlänglich
gerechtfertigt. Als glänzendes Moralitätszcugniß liest man am Ein¬
gange eines jeden Saales mit riesengroßen Buchstaben die Worte:
Vor Taschendieben wird gewarnt. —

Mit dem Eintreten des strengeren Winters eröffnen sowohl die
sogenannten geschlossenen Gesellschaften, als auch jene Personen welche
„ein Haus machen" ihre Salons. Unter den ersteren zeichnet sich die
Gesellschaft der Freunde aus. Ein frischer zwangloser Ton
herrscht dort, ein reicher Fond zu welchem auch das der Societät ei¬
gens angehörige prachtvolle Gebäude gehört, erlauben den thätigen
Direktoren dieses heiteren Vereins prachtvolle Feste zu geben, und in
den von Zeit zu Zeit arrangirten Concerten bietet man den Zuhörern
Kunstgenüsse, deren man an Einem Abende wohl an keinem anderen
Orte theilhaft werden kann, und zu welchen beizutragen, einheimische
und fremde Notabilitäten nie verschmähen. — Für Concerte scheint
Heuer ein sehr fruchtbares Jahr zu werden. Lisa Christian! und Ma-
riette Alboni — die emancipirten Damen — eröffneten den Reigen.
Ueber Letztere ist Rellstab vernichtend hergefallen, dem Vernehmen nach,
weil sie dem Gefürchteteten die pflichtschuldige Reverenz-Visite versagt;
nun haben gar viele tapfere Ritter die Lanzen eingelegt für den Ruhm
der fremden Sängerin, welche auch rasch sich zum Liebling des Pu¬
blikums emporschwang. Die Christian! erscheint, wenn auch nicht
im Purpur geboren, doch an keinem Orte ohne Herrlichkeit. Die
Obigen, ferner der große Künstler auf dem Horne, Herr Visier,
der ebenbürtige Nebenbuhler Lißt's Bittlof, die noch immer ver¬
götterte Jenny Lind, sie alle haben den Enthusiasmus der in die¬
sem Punkte fehr heißblütigen Berliner in die Schranken gerufen; der
fremde Virtuos kann hier auf ein dankbares Publikum, auf Beifall
und Kränze rechnen, und fo mag er denn in Gottesnamen seine Pil¬
gerfahrt nach unserem Spree-Athen antreten, wenn er auf eine Klei¬
nigkeit, auf den klingenden Lohn seiner Leistung großmüthig restgnirt,
denn mit seltnen Ausnahmen werden Concerte in Berlin mit solcher
Consequenz — nichtbcsucht, daß ein sehr gewandter Agent dazu ge¬
hört, um den Saal mit Freibillette» zu füllen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0564" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271825"/>
            <p xml:id="ID_1487" prev="#ID_1486"> listische Stille einer so zahlreichen Versammlung ist ein charakteristi-<lb/>
Iches Merkmal der Berliner; in einer süddeutschen Stadt, namentlich<lb/>
in Wien, wäre solch' nüchternes, schüchternes Flüstern einer Volks¬<lb/>
menge, die zu ihrem Vergnügen an einem öffentlichen Orte zusammen¬<lb/>
kommt, nicht denkbar. Etwas Lustigkeit müßte da doch mit unterlaufen.<lb/>
Wirklichen Kunstwerth unter den unzähligen Weihnachtsausstellungen<lb/>
Berlins haben nur die der Gebrüder Gropius. Die Dioramen der¬<lb/>
selben verdienen ihren europäischen Ruf, und nebst diesen sind eine<lb/>
große Anzahl scherzhaft-satyrischer Gegenstände zu bewundern, eine<lb/>
reiche Sammlung seltner Spielereien macht uns die Wahl schwer,<lb/>
kurz die Vorliebe der Berliner für dieses Lokal scheint mir hinlänglich<lb/>
gerechtfertigt. Als glänzendes Moralitätszcugniß liest man am Ein¬<lb/>
gange eines jeden Saales mit riesengroßen Buchstaben die Worte:<lb/>
Vor Taschendieben wird gewarnt. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1488"> Mit dem Eintreten des strengeren Winters eröffnen sowohl die<lb/>
sogenannten geschlossenen Gesellschaften, als auch jene Personen welche<lb/>
&#x201E;ein Haus machen" ihre Salons. Unter den ersteren zeichnet sich die<lb/>
Gesellschaft der Freunde aus. Ein frischer zwangloser Ton<lb/>
herrscht dort, ein reicher Fond zu welchem auch das der Societät ei¬<lb/>
gens angehörige prachtvolle Gebäude gehört, erlauben den thätigen<lb/>
Direktoren dieses heiteren Vereins prachtvolle Feste zu geben, und in<lb/>
den von Zeit zu Zeit arrangirten Concerten bietet man den Zuhörern<lb/>
Kunstgenüsse, deren man an Einem Abende wohl an keinem anderen<lb/>
Orte theilhaft werden kann, und zu welchen beizutragen, einheimische<lb/>
und fremde Notabilitäten nie verschmähen. &#x2014; Für Concerte scheint<lb/>
Heuer ein sehr fruchtbares Jahr zu werden. Lisa Christian! und Ma-<lb/>
riette Alboni &#x2014; die emancipirten Damen &#x2014; eröffneten den Reigen.<lb/>
Ueber Letztere ist Rellstab vernichtend hergefallen, dem Vernehmen nach,<lb/>
weil sie dem Gefürchteteten die pflichtschuldige Reverenz-Visite versagt;<lb/>
nun haben gar viele tapfere Ritter die Lanzen eingelegt für den Ruhm<lb/>
der fremden Sängerin, welche auch rasch sich zum Liebling des Pu¬<lb/>
blikums emporschwang. Die Christian! erscheint, wenn auch nicht<lb/>
im Purpur geboren, doch an keinem Orte ohne Herrlichkeit. Die<lb/>
Obigen, ferner der große Künstler auf dem Horne, Herr Visier,<lb/>
der ebenbürtige Nebenbuhler Lißt's Bittlof, die noch immer ver¬<lb/>
götterte Jenny Lind, sie alle haben den Enthusiasmus der in die¬<lb/>
sem Punkte fehr heißblütigen Berliner in die Schranken gerufen; der<lb/>
fremde Virtuos kann hier auf ein dankbares Publikum, auf Beifall<lb/>
und Kränze rechnen, und fo mag er denn in Gottesnamen seine Pil¬<lb/>
gerfahrt nach unserem Spree-Athen antreten, wenn er auf eine Klei¬<lb/>
nigkeit, auf den klingenden Lohn seiner Leistung großmüthig restgnirt,<lb/>
denn mit seltnen Ausnahmen werden Concerte in Berlin mit solcher<lb/>
Consequenz &#x2014; nichtbcsucht, daß ein sehr gewandter Agent dazu ge¬<lb/>
hört, um den Saal mit Freibillette» zu füllen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0564] listische Stille einer so zahlreichen Versammlung ist ein charakteristi- Iches Merkmal der Berliner; in einer süddeutschen Stadt, namentlich in Wien, wäre solch' nüchternes, schüchternes Flüstern einer Volks¬ menge, die zu ihrem Vergnügen an einem öffentlichen Orte zusammen¬ kommt, nicht denkbar. Etwas Lustigkeit müßte da doch mit unterlaufen. Wirklichen Kunstwerth unter den unzähligen Weihnachtsausstellungen Berlins haben nur die der Gebrüder Gropius. Die Dioramen der¬ selben verdienen ihren europäischen Ruf, und nebst diesen sind eine große Anzahl scherzhaft-satyrischer Gegenstände zu bewundern, eine reiche Sammlung seltner Spielereien macht uns die Wahl schwer, kurz die Vorliebe der Berliner für dieses Lokal scheint mir hinlänglich gerechtfertigt. Als glänzendes Moralitätszcugniß liest man am Ein¬ gange eines jeden Saales mit riesengroßen Buchstaben die Worte: Vor Taschendieben wird gewarnt. — Mit dem Eintreten des strengeren Winters eröffnen sowohl die sogenannten geschlossenen Gesellschaften, als auch jene Personen welche „ein Haus machen" ihre Salons. Unter den ersteren zeichnet sich die Gesellschaft der Freunde aus. Ein frischer zwangloser Ton herrscht dort, ein reicher Fond zu welchem auch das der Societät ei¬ gens angehörige prachtvolle Gebäude gehört, erlauben den thätigen Direktoren dieses heiteren Vereins prachtvolle Feste zu geben, und in den von Zeit zu Zeit arrangirten Concerten bietet man den Zuhörern Kunstgenüsse, deren man an Einem Abende wohl an keinem anderen Orte theilhaft werden kann, und zu welchen beizutragen, einheimische und fremde Notabilitäten nie verschmähen. — Für Concerte scheint Heuer ein sehr fruchtbares Jahr zu werden. Lisa Christian! und Ma- riette Alboni — die emancipirten Damen — eröffneten den Reigen. Ueber Letztere ist Rellstab vernichtend hergefallen, dem Vernehmen nach, weil sie dem Gefürchteteten die pflichtschuldige Reverenz-Visite versagt; nun haben gar viele tapfere Ritter die Lanzen eingelegt für den Ruhm der fremden Sängerin, welche auch rasch sich zum Liebling des Pu¬ blikums emporschwang. Die Christian! erscheint, wenn auch nicht im Purpur geboren, doch an keinem Orte ohne Herrlichkeit. Die Obigen, ferner der große Künstler auf dem Horne, Herr Visier, der ebenbürtige Nebenbuhler Lißt's Bittlof, die noch immer ver¬ götterte Jenny Lind, sie alle haben den Enthusiasmus der in die¬ sem Punkte fehr heißblütigen Berliner in die Schranken gerufen; der fremde Virtuos kann hier auf ein dankbares Publikum, auf Beifall und Kränze rechnen, und fo mag er denn in Gottesnamen seine Pil¬ gerfahrt nach unserem Spree-Athen antreten, wenn er auf eine Klei¬ nigkeit, auf den klingenden Lohn seiner Leistung großmüthig restgnirt, denn mit seltnen Ausnahmen werden Concerte in Berlin mit solcher Consequenz — nichtbcsucht, daß ein sehr gewandter Agent dazu ge¬ hört, um den Saal mit Freibillette» zu füllen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/564
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/564>, abgerufen am 05.02.2025.