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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Familiensage der Grafen von Tonqucdoc spannend erzählt und vor¬
trefflich auf einzelne Spitzen hin concentrirt wird, während doch das
leise Verklingen des Sagenschlusses nicht aus der Acht gelassen ist.
"Die Trauung zu London" von Karoline Pierson gäbe einen zier¬
lichen Lustspielstoff. -- Unter den Gedichten nenne ich "der Wieder¬
täufer" von Seidl, "zwei Freunde" von Drärler-Manfred und "Hein¬
rich von Kempten", eine Romanzenkette von H. Fernand. -- Unter
den artistischen Beiträgen ist Halm's Portrait zu erwähnen; die
übrigen, lauter Fr.ulenbildnisse, ni"terscheiden sich nicht von dem ge¬
wöhnlichen Almanachfabrikat.

"Vielliebchen", historisch-romantisches Taschenbuch für 1846 von
Bernb von Guseck, wird jetzt volle neunzehn Jahr alt und ist in die¬
sen neunzehn Jahren seiner ursprünglichen Physiognomie und seinem
angebornen Charakter stets treu geblieben. Jährlich hat es einige
Erzählungen des Verfassers zum Inhalt; diese finden jährlich ihren
ziemlich geschlossenen Leserkreis, und wer diesem gerade angehört, wird
sich auch diesmal befriedigt fühlen. "Maria Pakarnv" heißt die erste
Novelle. Sie spielt unter Ludwig dem Frühzeitigen während der
Türkenkriege in Ungarn. Das Terrain der zweiten Erzählung, "die
Rebellin", ist Brüssel während und nach der letzten belgischen Revo¬
lution, ihre Heldin eine junge Dame der aristokratischen Gesellschaft,
welche als Kind der neuen Zeit trotz ihrer Umgebungen zum Ver¬
ständniß dieser Zeit gelangt und in den Kämpfen gegen deren Re-
action zu Grunde geht. Der Stoff war interessant genug erfunden
und um so. mehr ist es zu bedauern, daß dem Handlungsgange be¬
stimmte Kulminationspunkte abgehen, daß die Theilnahme wegen zu
divergirender Ausstrahlungen nicht zu einer wirklichen Concentration
gedeihen kann. "Sainte-Marie" ist die dritte und jedenfalls die beste
der gelieferten Novellen. Eine Cagot, Cadin, tritt als deren Heldin
auf; Heinrich IV., sein Hof und die französische Seigneurie jener
Zeit bilden Staffage lind Nebenfiguren. Die Organisation ist com-
pakt und abgerundet, die Entwicklung pragmatisch richtig motivirt.--
Unter den Kupfern des Almanachs nenne ich Gautier von Bergonz
nach Franz Hals, die Schlacht von Bautersem nach Krusemann, vor-
züglich auch Cadin, nach einem Gemälde von Nikolaus Maas.


A. B....s.


Familiensage der Grafen von Tonqucdoc spannend erzählt und vor¬
trefflich auf einzelne Spitzen hin concentrirt wird, während doch das
leise Verklingen des Sagenschlusses nicht aus der Acht gelassen ist.
„Die Trauung zu London" von Karoline Pierson gäbe einen zier¬
lichen Lustspielstoff. — Unter den Gedichten nenne ich „der Wieder¬
täufer" von Seidl, „zwei Freunde" von Drärler-Manfred und „Hein¬
rich von Kempten", eine Romanzenkette von H. Fernand. — Unter
den artistischen Beiträgen ist Halm's Portrait zu erwähnen; die
übrigen, lauter Fr.ulenbildnisse, ni»terscheiden sich nicht von dem ge¬
wöhnlichen Almanachfabrikat.

„Vielliebchen", historisch-romantisches Taschenbuch für 1846 von
Bernb von Guseck, wird jetzt volle neunzehn Jahr alt und ist in die¬
sen neunzehn Jahren seiner ursprünglichen Physiognomie und seinem
angebornen Charakter stets treu geblieben. Jährlich hat es einige
Erzählungen des Verfassers zum Inhalt; diese finden jährlich ihren
ziemlich geschlossenen Leserkreis, und wer diesem gerade angehört, wird
sich auch diesmal befriedigt fühlen. „Maria Pakarnv" heißt die erste
Novelle. Sie spielt unter Ludwig dem Frühzeitigen während der
Türkenkriege in Ungarn. Das Terrain der zweiten Erzählung, „die
Rebellin", ist Brüssel während und nach der letzten belgischen Revo¬
lution, ihre Heldin eine junge Dame der aristokratischen Gesellschaft,
welche als Kind der neuen Zeit trotz ihrer Umgebungen zum Ver¬
ständniß dieser Zeit gelangt und in den Kämpfen gegen deren Re-
action zu Grunde geht. Der Stoff war interessant genug erfunden
und um so. mehr ist es zu bedauern, daß dem Handlungsgange be¬
stimmte Kulminationspunkte abgehen, daß die Theilnahme wegen zu
divergirender Ausstrahlungen nicht zu einer wirklichen Concentration
gedeihen kann. „Sainte-Marie" ist die dritte und jedenfalls die beste
der gelieferten Novellen. Eine Cagot, Cadin, tritt als deren Heldin
auf; Heinrich IV., sein Hof und die französische Seigneurie jener
Zeit bilden Staffage lind Nebenfiguren. Die Organisation ist com-
pakt und abgerundet, die Entwicklung pragmatisch richtig motivirt.—
Unter den Kupfern des Almanachs nenne ich Gautier von Bergonz
nach Franz Hals, die Schlacht von Bautersem nach Krusemann, vor-
züglich auch Cadin, nach einem Gemälde von Nikolaus Maas.


A. B....s.


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[0551] Familiensage der Grafen von Tonqucdoc spannend erzählt und vor¬ trefflich auf einzelne Spitzen hin concentrirt wird, während doch das leise Verklingen des Sagenschlusses nicht aus der Acht gelassen ist. „Die Trauung zu London" von Karoline Pierson gäbe einen zier¬ lichen Lustspielstoff. — Unter den Gedichten nenne ich „der Wieder¬ täufer" von Seidl, „zwei Freunde" von Drärler-Manfred und „Hein¬ rich von Kempten", eine Romanzenkette von H. Fernand. — Unter den artistischen Beiträgen ist Halm's Portrait zu erwähnen; die übrigen, lauter Fr.ulenbildnisse, ni»terscheiden sich nicht von dem ge¬ wöhnlichen Almanachfabrikat. „Vielliebchen", historisch-romantisches Taschenbuch für 1846 von Bernb von Guseck, wird jetzt volle neunzehn Jahr alt und ist in die¬ sen neunzehn Jahren seiner ursprünglichen Physiognomie und seinem angebornen Charakter stets treu geblieben. Jährlich hat es einige Erzählungen des Verfassers zum Inhalt; diese finden jährlich ihren ziemlich geschlossenen Leserkreis, und wer diesem gerade angehört, wird sich auch diesmal befriedigt fühlen. „Maria Pakarnv" heißt die erste Novelle. Sie spielt unter Ludwig dem Frühzeitigen während der Türkenkriege in Ungarn. Das Terrain der zweiten Erzählung, „die Rebellin", ist Brüssel während und nach der letzten belgischen Revo¬ lution, ihre Heldin eine junge Dame der aristokratischen Gesellschaft, welche als Kind der neuen Zeit trotz ihrer Umgebungen zum Ver¬ ständniß dieser Zeit gelangt und in den Kämpfen gegen deren Re- action zu Grunde geht. Der Stoff war interessant genug erfunden und um so. mehr ist es zu bedauern, daß dem Handlungsgange be¬ stimmte Kulminationspunkte abgehen, daß die Theilnahme wegen zu divergirender Ausstrahlungen nicht zu einer wirklichen Concentration gedeihen kann. „Sainte-Marie" ist die dritte und jedenfalls die beste der gelieferten Novellen. Eine Cagot, Cadin, tritt als deren Heldin auf; Heinrich IV., sein Hof und die französische Seigneurie jener Zeit bilden Staffage lind Nebenfiguren. Die Organisation ist com- pakt und abgerundet, die Entwicklung pragmatisch richtig motivirt.— Unter den Kupfern des Almanachs nenne ich Gautier von Bergonz nach Franz Hals, die Schlacht von Bautersem nach Krusemann, vor- züglich auch Cadin, nach einem Gemälde von Nikolaus Maas. A. B....s.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/551>, abgerufen am 05.02.2025.