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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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mit einer Dame der englischen Aristokratie, welcher derselbe nach
Edinburg nachreisen will, wobei er aber in verliebter Zerstreutheit
auf ein falsches Dampfboot geräth und erst mitten auf dem Meer
erfährt, er sei auf dem Wege nach Hamburg. Nach wenigen Jah¬
ren sieht er die Dame zufällig in einem Pariser Salon wieder; sie
ist durchaus nicht liebesehnsüchtig-blaß, sondern schöner als je und
stützt sich auf den Arm eines jungen Vicomte, um diesem beim Ein¬
steigen in ihren Wagen ein paar leise Worte zuzuflüstern. -- "Der
braucht auch nicht nach Hamburg zu fahren, sondern weiß guten
Bescheid," brummte ich in den Bart, und ich war und bleibe ein
Esel, noch dümmer als der Professor auf der tüouotess ot I^-tiisäitle.
O Arabella, o Lady, o Rose! -- Ihr seid sämmtlich im Potpourri
meiner Erinnerungen!" schließt selbstironisch der Lanzknecht. "Eine
lange Zeit später, da die Bilder bleichten, da ich in Rom gewesen
war, Italien gesehn hatte, daS einst so reiche Sicilien, Malta, und
nun auf Ischia wohnte, da Alles, Alles anders war: stand oft ein
braunes, gesundes, heiteres, großmüthiges Mädchen vor mir auf und
ich dachte: Wenn ich je eine Gattin wähle, so ist's Maria, wenn
sie mich will -- oder keine andere auf der Welt" -- schloß Stifter.
-- Unter den übrigen erzählenden Beiträgen erscheint die Novelle
"Leidenschaft und Liebe" von Theodor Stamm noch am Bedeutend¬
sten; nächstdem folgt eine Sagennovelle des Herausgebers: "die
graue Frau von Plassenstein". Betty Paoli gab im "Mädchen von
San Giorgio" eine erzählende Skizze, deren erster Theil in der Dar"
stellungsweise auffallend an A. Stifter's Auffassungsart erinnert. Un¬
ter den poetischen Beiträgen ist "der Wettstreit" von G. Seidl her¬
vorzuheben. -- Unter den artistischen Beiträgen ist das Portrait der
"Erzherzogin Hildegard", "Adele" zu Stamm's Novelle und ein "Un¬
garisches Haidebild" als gelungen zu nennen; die übrigen Stahl¬
stiche leiden an einer unschönen Lichtkoketterie und an manierirter
Gelecktheit der Zeichnung.

"Gedenke mein" wird gleichfalls in Oesterreich, und zwar in
Wien herausgegeben.. Es ist ein Taschenbuch, wie es eben dort noch
heute sehr viele giebt und früher noch mehrere gab. Die Novelle
"ein kurzes Glück" voll A. Lewald skizzirt in leichter Weise ein Stück
Misere des Familienlebens der sogenannten mittlern Stände. In¬
teressanter erscheint Castelli's "daS Haus der Todten", worin eine


mit einer Dame der englischen Aristokratie, welcher derselbe nach
Edinburg nachreisen will, wobei er aber in verliebter Zerstreutheit
auf ein falsches Dampfboot geräth und erst mitten auf dem Meer
erfährt, er sei auf dem Wege nach Hamburg. Nach wenigen Jah¬
ren sieht er die Dame zufällig in einem Pariser Salon wieder; sie
ist durchaus nicht liebesehnsüchtig-blaß, sondern schöner als je und
stützt sich auf den Arm eines jungen Vicomte, um diesem beim Ein¬
steigen in ihren Wagen ein paar leise Worte zuzuflüstern. — „Der
braucht auch nicht nach Hamburg zu fahren, sondern weiß guten
Bescheid," brummte ich in den Bart, und ich war und bleibe ein
Esel, noch dümmer als der Professor auf der tüouotess ot I^-tiisäitle.
O Arabella, o Lady, o Rose! — Ihr seid sämmtlich im Potpourri
meiner Erinnerungen!" schließt selbstironisch der Lanzknecht. „Eine
lange Zeit später, da die Bilder bleichten, da ich in Rom gewesen
war, Italien gesehn hatte, daS einst so reiche Sicilien, Malta, und
nun auf Ischia wohnte, da Alles, Alles anders war: stand oft ein
braunes, gesundes, heiteres, großmüthiges Mädchen vor mir auf und
ich dachte: Wenn ich je eine Gattin wähle, so ist's Maria, wenn
sie mich will — oder keine andere auf der Welt" — schloß Stifter.
— Unter den übrigen erzählenden Beiträgen erscheint die Novelle
„Leidenschaft und Liebe" von Theodor Stamm noch am Bedeutend¬
sten; nächstdem folgt eine Sagennovelle des Herausgebers: „die
graue Frau von Plassenstein". Betty Paoli gab im „Mädchen von
San Giorgio" eine erzählende Skizze, deren erster Theil in der Dar»
stellungsweise auffallend an A. Stifter's Auffassungsart erinnert. Un¬
ter den poetischen Beiträgen ist „der Wettstreit" von G. Seidl her¬
vorzuheben. — Unter den artistischen Beiträgen ist das Portrait der
„Erzherzogin Hildegard", „Adele" zu Stamm's Novelle und ein „Un¬
garisches Haidebild" als gelungen zu nennen; die übrigen Stahl¬
stiche leiden an einer unschönen Lichtkoketterie und an manierirter
Gelecktheit der Zeichnung.

„Gedenke mein" wird gleichfalls in Oesterreich, und zwar in
Wien herausgegeben.. Es ist ein Taschenbuch, wie es eben dort noch
heute sehr viele giebt und früher noch mehrere gab. Die Novelle
„ein kurzes Glück" voll A. Lewald skizzirt in leichter Weise ein Stück
Misere des Familienlebens der sogenannten mittlern Stände. In¬
teressanter erscheint Castelli's „daS Haus der Todten", worin eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/550>, abgerufen am 05.02.2025.