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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Haupt kein seltnes Ereigniß, dieser Widerspruch zwischen der beurtheil
landen und der genießenden Partei der Lesewelt. Allein angenehm
bleibt's immerhin, wenn die Kritik nach solchen Spaltungen dein Pu¬
blicum Versöhnung bieten kann, weil sie mit ihm übereinzustimmen vermag.
Dies kann sie bei dem vorliegenden Aufsatze "Lady Hestor Stanhope".
Eine Bemerkung sagt uns, daß wir darin ein Stück eines später
erscheinenden Werkes über Syrien und Kleinasien begrüßen und die¬
ser Vordruck berechtigt zu den reichsten Erwartungen. Im Gegebe¬
nen lernen wir zunächst die so viel besprochene und so mannigfach
verschieden beurtheilte, weil nur schwer nahbare Lady Stanhope bis
in das kleinste Detail ihres Lebens und ihrer Eigenthümlichkeiten
kennen. Der größte Reiz der Mittheilung beruht jedoch in einem
orientalischen Mährchen, dessen Erzählung der Verstorbene ihr in den
Mund legt. Wäre es auch nicht wirklich ächt, so bliebe es trotzdem
das Schönste, was unsere, an naiver Mährchendarstellung so arme
Neuzeit aufzuweisen hat. -- So oft auch die ästhetische Kritik der
"teueren Zeit in den Fall kommt, dem Publicum und seinem Ge¬
schmacke entgegenzutreten, so doch gewiß höchst selten in den, das
Werk eines Dichters gegen ihn selber in Schutz zu nehmen. Bei¬
nahe mag es aber scheinen, als befinde sie sich in dieser Nothwen¬
digkeit der Verfasserin von Godwie-Castle gegenüber bei ihrem dra>
matischen Beitrage zu den Perlen. Diese hat nämlich nach deren
Erscheinen er manchen Tagesblättern eifrigst erklärt, "Maria Na-
dasti", Schauspiel in 4 Aufzügen, sei ein Erzeugniß aus früherer
Zeit. Wohl! wenn sie es nicht ihrer jetzigen literarischen Stellung
würdig erachtete, durfte sie'ö nicht für das Publicum 1846 veröffent¬
lichen. Im Drama selbst findet sich aber auch wirklich kein Grund
für die Nothwendigkeit einer solchen Otntutio doiivvttll-meint:. Wir
sind bei Frau von Paalzow nirgends gewohnt, mächtige und über¬
wältigende Eindrücke zu empfangen, oder eine gigantische und mas¬
senhafte poetische Offenbarung anzustaunen. Es ist vielmehr einer
der glücklichsten kritischen Ausdrücke, welchen einst eine Charakteristik
ihrer literarischen Leistungen gebrauchte, wenn dort gesagt wurde,
Frau v. P. "stickt" ihre Romane. Auch dieses Drama ist gestickt;
es ist aber auch sorgfältigst und fein gearbeitet, obschon nicht ohne
Breite, nicht ohne zu miniaturmalerischen Mitteltinten zwischen den
einzelnen Höhepunkten, und ohne eigentliche Bühnenkenntniß, was


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Haupt kein seltnes Ereigniß, dieser Widerspruch zwischen der beurtheil
landen und der genießenden Partei der Lesewelt. Allein angenehm
bleibt's immerhin, wenn die Kritik nach solchen Spaltungen dein Pu¬
blicum Versöhnung bieten kann, weil sie mit ihm übereinzustimmen vermag.
Dies kann sie bei dem vorliegenden Aufsatze „Lady Hestor Stanhope".
Eine Bemerkung sagt uns, daß wir darin ein Stück eines später
erscheinenden Werkes über Syrien und Kleinasien begrüßen und die¬
ser Vordruck berechtigt zu den reichsten Erwartungen. Im Gegebe¬
nen lernen wir zunächst die so viel besprochene und so mannigfach
verschieden beurtheilte, weil nur schwer nahbare Lady Stanhope bis
in das kleinste Detail ihres Lebens und ihrer Eigenthümlichkeiten
kennen. Der größte Reiz der Mittheilung beruht jedoch in einem
orientalischen Mährchen, dessen Erzählung der Verstorbene ihr in den
Mund legt. Wäre es auch nicht wirklich ächt, so bliebe es trotzdem
das Schönste, was unsere, an naiver Mährchendarstellung so arme
Neuzeit aufzuweisen hat. — So oft auch die ästhetische Kritik der
»teueren Zeit in den Fall kommt, dem Publicum und seinem Ge¬
schmacke entgegenzutreten, so doch gewiß höchst selten in den, das
Werk eines Dichters gegen ihn selber in Schutz zu nehmen. Bei¬
nahe mag es aber scheinen, als befinde sie sich in dieser Nothwen¬
digkeit der Verfasserin von Godwie-Castle gegenüber bei ihrem dra>
matischen Beitrage zu den Perlen. Diese hat nämlich nach deren
Erscheinen er manchen Tagesblättern eifrigst erklärt, „Maria Na-
dasti", Schauspiel in 4 Aufzügen, sei ein Erzeugniß aus früherer
Zeit. Wohl! wenn sie es nicht ihrer jetzigen literarischen Stellung
würdig erachtete, durfte sie'ö nicht für das Publicum 1846 veröffent¬
lichen. Im Drama selbst findet sich aber auch wirklich kein Grund
für die Nothwendigkeit einer solchen Otntutio doiivvttll-meint:. Wir
sind bei Frau von Paalzow nirgends gewohnt, mächtige und über¬
wältigende Eindrücke zu empfangen, oder eine gigantische und mas¬
senhafte poetische Offenbarung anzustaunen. Es ist vielmehr einer
der glücklichsten kritischen Ausdrücke, welchen einst eine Charakteristik
ihrer literarischen Leistungen gebrauchte, wenn dort gesagt wurde,
Frau v. P. „stickt" ihre Romane. Auch dieses Drama ist gestickt;
es ist aber auch sorgfältigst und fein gearbeitet, obschon nicht ohne
Breite, nicht ohne zu miniaturmalerischen Mitteltinten zwischen den
einzelnen Höhepunkten, und ohne eigentliche Bühnenkenntniß, was


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[0547] Haupt kein seltnes Ereigniß, dieser Widerspruch zwischen der beurtheil landen und der genießenden Partei der Lesewelt. Allein angenehm bleibt's immerhin, wenn die Kritik nach solchen Spaltungen dein Pu¬ blicum Versöhnung bieten kann, weil sie mit ihm übereinzustimmen vermag. Dies kann sie bei dem vorliegenden Aufsatze „Lady Hestor Stanhope". Eine Bemerkung sagt uns, daß wir darin ein Stück eines später erscheinenden Werkes über Syrien und Kleinasien begrüßen und die¬ ser Vordruck berechtigt zu den reichsten Erwartungen. Im Gegebe¬ nen lernen wir zunächst die so viel besprochene und so mannigfach verschieden beurtheilte, weil nur schwer nahbare Lady Stanhope bis in das kleinste Detail ihres Lebens und ihrer Eigenthümlichkeiten kennen. Der größte Reiz der Mittheilung beruht jedoch in einem orientalischen Mährchen, dessen Erzählung der Verstorbene ihr in den Mund legt. Wäre es auch nicht wirklich ächt, so bliebe es trotzdem das Schönste, was unsere, an naiver Mährchendarstellung so arme Neuzeit aufzuweisen hat. — So oft auch die ästhetische Kritik der »teueren Zeit in den Fall kommt, dem Publicum und seinem Ge¬ schmacke entgegenzutreten, so doch gewiß höchst selten in den, das Werk eines Dichters gegen ihn selber in Schutz zu nehmen. Bei¬ nahe mag es aber scheinen, als befinde sie sich in dieser Nothwen¬ digkeit der Verfasserin von Godwie-Castle gegenüber bei ihrem dra> matischen Beitrage zu den Perlen. Diese hat nämlich nach deren Erscheinen er manchen Tagesblättern eifrigst erklärt, „Maria Na- dasti", Schauspiel in 4 Aufzügen, sei ein Erzeugniß aus früherer Zeit. Wohl! wenn sie es nicht ihrer jetzigen literarischen Stellung würdig erachtete, durfte sie'ö nicht für das Publicum 1846 veröffent¬ lichen. Im Drama selbst findet sich aber auch wirklich kein Grund für die Nothwendigkeit einer solchen Otntutio doiivvttll-meint:. Wir sind bei Frau von Paalzow nirgends gewohnt, mächtige und über¬ wältigende Eindrücke zu empfangen, oder eine gigantische und mas¬ senhafte poetische Offenbarung anzustaunen. Es ist vielmehr einer der glücklichsten kritischen Ausdrücke, welchen einst eine Charakteristik ihrer literarischen Leistungen gebrauchte, wenn dort gesagt wurde, Frau v. P. „stickt" ihre Romane. Auch dieses Drama ist gestickt; es ist aber auch sorgfältigst und fein gearbeitet, obschon nicht ohne Breite, nicht ohne zu miniaturmalerischen Mitteltinten zwischen den einzelnen Höhepunkten, und ohne eigentliche Bühnenkenntniß, was 69-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/547>, abgerufen am 05.02.2025.