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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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drangt? Jedes Sternlein ist el" goldnes Dorf, wo die guten Kinder
wohnen. Hoch oben aber, unsichtbar von hier, ist die geheimnißvolle
goldne Himmelsstadt. Und wenn Du auf der Milchstraße nach die¬
ser Stadt wandern wirst und herabsehen auf die Erde, die todten-
stille, ausgebrannte Wüste, dann wirst Du sagen: Dort hab' ich einst
gelebt und gearbeitet, dort weidete ich meine Kühe und sammelte mein
Neißigholz, dort hab' ich manches Spiel getrieben bis an den Tod.
Jetzt aber möchte ich nicht mehr dahin zurückkehren."

Was Hebel bewogen hat, in der Mundart des Volkes zu schrei¬
ben, war wohl nicht blos die Absicht, unmittelbarer und sicherer auf
das Volk zu wirken, sondern auch der Zauber, der für sein eigenes
Gemüth in der Mundart seiner Heimath lag. Die Sprache der
Allcmannen, die so reich ist an liebkosenden Verkleinerungsworten,
herzigen Epitheten, kindlichen Wendungen und kräftigen Verkürzun¬
gen, versetzte den Dichter lebhafter in seine Jugendzeit, frischte schnel¬
ler die tiefen Eindrücke der Kindheit in ihm auf und vergegenwär¬
tigte ihm getreuer die Denkweise des Volkes. Seine Gedichte ver¬
lieren wenig von ihrem Werthe, wenn man sie in's Hochdeutsche über¬
setzt, aber den Neiz der Naivetät muß die Übertragung nothwendig
verwischen. Seit dem Jahre 18V3, wo die allemannischen Gedichte
zum ersten Male erschienen und von Kunstrichtern, wie Göthe und
Jean Paul, die begeistertste Anerkennung erfuhren, sind vier Versuche
gemacht worden, die Hebel'sche Muse zu verhochdeutschen. Den
Nutzen solcher Arbeit sehen wir nicht recht ein; für den deutschen Le¬
ser war sie wenigstens überflüssig. Wenn man hübschen Bauernkin¬
dern städtische Kleider anzieht, so werden sie dadurch nicht hübscher,
sondern nur feiner und artiger; eine saubere Bauerntracht kleidet sie
dafür malerischer und paßt besser zu den gesunden rothen Wangen,
zu dem Glanz der blauen Aeuglein und der ungeordneten Fülle der
blonden Ringellocken.


Prof. A. Lebermuth.


Grenzboten, 1845. IV.K8

drangt? Jedes Sternlein ist el» goldnes Dorf, wo die guten Kinder
wohnen. Hoch oben aber, unsichtbar von hier, ist die geheimnißvolle
goldne Himmelsstadt. Und wenn Du auf der Milchstraße nach die¬
ser Stadt wandern wirst und herabsehen auf die Erde, die todten-
stille, ausgebrannte Wüste, dann wirst Du sagen: Dort hab' ich einst
gelebt und gearbeitet, dort weidete ich meine Kühe und sammelte mein
Neißigholz, dort hab' ich manches Spiel getrieben bis an den Tod.
Jetzt aber möchte ich nicht mehr dahin zurückkehren."

Was Hebel bewogen hat, in der Mundart des Volkes zu schrei¬
ben, war wohl nicht blos die Absicht, unmittelbarer und sicherer auf
das Volk zu wirken, sondern auch der Zauber, der für sein eigenes
Gemüth in der Mundart seiner Heimath lag. Die Sprache der
Allcmannen, die so reich ist an liebkosenden Verkleinerungsworten,
herzigen Epitheten, kindlichen Wendungen und kräftigen Verkürzun¬
gen, versetzte den Dichter lebhafter in seine Jugendzeit, frischte schnel¬
ler die tiefen Eindrücke der Kindheit in ihm auf und vergegenwär¬
tigte ihm getreuer die Denkweise des Volkes. Seine Gedichte ver¬
lieren wenig von ihrem Werthe, wenn man sie in's Hochdeutsche über¬
setzt, aber den Neiz der Naivetät muß die Übertragung nothwendig
verwischen. Seit dem Jahre 18V3, wo die allemannischen Gedichte
zum ersten Male erschienen und von Kunstrichtern, wie Göthe und
Jean Paul, die begeistertste Anerkennung erfuhren, sind vier Versuche
gemacht worden, die Hebel'sche Muse zu verhochdeutschen. Den
Nutzen solcher Arbeit sehen wir nicht recht ein; für den deutschen Le¬
ser war sie wenigstens überflüssig. Wenn man hübschen Bauernkin¬
dern städtische Kleider anzieht, so werden sie dadurch nicht hübscher,
sondern nur feiner und artiger; eine saubere Bauerntracht kleidet sie
dafür malerischer und paßt besser zu den gesunden rothen Wangen,
zu dem Glanz der blauen Aeuglein und der ungeordneten Fülle der
blonden Ringellocken.


Prof. A. Lebermuth.


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[0537] drangt? Jedes Sternlein ist el» goldnes Dorf, wo die guten Kinder wohnen. Hoch oben aber, unsichtbar von hier, ist die geheimnißvolle goldne Himmelsstadt. Und wenn Du auf der Milchstraße nach die¬ ser Stadt wandern wirst und herabsehen auf die Erde, die todten- stille, ausgebrannte Wüste, dann wirst Du sagen: Dort hab' ich einst gelebt und gearbeitet, dort weidete ich meine Kühe und sammelte mein Neißigholz, dort hab' ich manches Spiel getrieben bis an den Tod. Jetzt aber möchte ich nicht mehr dahin zurückkehren." Was Hebel bewogen hat, in der Mundart des Volkes zu schrei¬ ben, war wohl nicht blos die Absicht, unmittelbarer und sicherer auf das Volk zu wirken, sondern auch der Zauber, der für sein eigenes Gemüth in der Mundart seiner Heimath lag. Die Sprache der Allcmannen, die so reich ist an liebkosenden Verkleinerungsworten, herzigen Epitheten, kindlichen Wendungen und kräftigen Verkürzun¬ gen, versetzte den Dichter lebhafter in seine Jugendzeit, frischte schnel¬ ler die tiefen Eindrücke der Kindheit in ihm auf und vergegenwär¬ tigte ihm getreuer die Denkweise des Volkes. Seine Gedichte ver¬ lieren wenig von ihrem Werthe, wenn man sie in's Hochdeutsche über¬ setzt, aber den Neiz der Naivetät muß die Übertragung nothwendig verwischen. Seit dem Jahre 18V3, wo die allemannischen Gedichte zum ersten Male erschienen und von Kunstrichtern, wie Göthe und Jean Paul, die begeistertste Anerkennung erfuhren, sind vier Versuche gemacht worden, die Hebel'sche Muse zu verhochdeutschen. Den Nutzen solcher Arbeit sehen wir nicht recht ein; für den deutschen Le¬ ser war sie wenigstens überflüssig. Wenn man hübschen Bauernkin¬ dern städtische Kleider anzieht, so werden sie dadurch nicht hübscher, sondern nur feiner und artiger; eine saubere Bauerntracht kleidet sie dafür malerischer und paßt besser zu den gesunden rothen Wangen, zu dem Glanz der blauen Aeuglein und der ungeordneten Fülle der blonden Ringellocken. Prof. A. Lebermuth. Grenzboten, 1845. IV.K8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/537>, abgerufen am 05.02.2025.