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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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spräche bildet. Ehe wir jedoch ausführlicher von dem allemanischen
Dichter sprechen, müssen wir einige Bemerkungen über die nieder-
und oberdeutschen Dialekte und über ihr Verhältniß zur hochdeut¬
schen Sprache vorausschicken.

Die niederdeutschen Mundarten, die im ganzen alten Sassen¬
lande vom Harz bis an die Eid- und Wesermündung, in Holstein
und in Pommern, in Mecklenburg und in Westphalen vom Volke
gesprochen werden, haben den allgemeinen Namen Plattdeutsch. Die¬
ses Platt wechselt von Meile zu Meile, von einem Dorfe zum an¬
dern; es gibt keine feste Regel dafür und keine Sprachlehre. Die
alten Städtechroniken sind platt geschrieben, aber seit dein Auf¬
schwünge der hochdeutschen Literatur im vorigen Jahrhunderte denkt
Niemand mehr daran, das Plattdeutsche zur Schriftsprache zu erhe¬
ben. Wenige denken ernstlich daran, etwas für seine Erhaltung zu
thun; aufrichtige Volksfreunde und geistvolle Schriftsteller, wie Lu-
dolf Wienbarg, der Holsteiner, haben sogar offen ausgesprochen, daß
sie es für ein Glück ansehen würden, wenn das Platt ganz vom
Hochdeutschen verdrängt würde; denn eS hindere in manchen Ge¬
genden die Verbreitung größerer Cultur und Aufklärung.

Warum hört man nicht ähnliche Wünsche in Bezug auf die
oberdeutschen Dialekte, die im Süden gesprochen werden? -- Die
oberdeutschen Dialekte, aus denen sich das Hochdeutsche gebildet
hat, wie ein mächtiger Strom aus dem Zuflüsse frischer Alpenquel¬
len, stehen noch jetzt in einem lebendigen Zusammenhange mit dem¬
selben. Hört man im Süden die Sprechweise der verschiedenen
Stände, so kann man den allmäligen und stufenweisen Uebergang
aus der Sprache des Volksstammes in die Sprache der Nation be¬
obachten; fortwährend gehen noch jetzt in das Hochdeutsche einzelne


D. Red-
Göthe als Dichter und Volksbildner über Vorbei und Bilderdyk zu setzen
gewagt hat. Unter solchen Auspicien brachte die erwähnte Zeitschrift der
deutsch-belgischen Partei einen kleinen Aufsatz über Hebel. Es kommt uns
natürlich nicht in den Sinn, das deutsche Lesepublicum über unsern "llemani-
schen Volksdichter aus flamändischen Quellen belehren zu wollen, denn der
Aufsatz ist keine kritische, keine literarhistorische Arbeit, auch zeichnet er sich
nicht durch eine besonders tiefe Auffassung Hebels aus, wie man sie etwa van
Berthold Auerbach, dem .wahlverwandten Dichter und innigen Kenner des
schwabischen Volkes, zu erwarten hat; Hebel selbst ist eigentlich Nebensache,
und dient dem Verfasser (der Professor der deutschen Literatur am Athenäum
ist) offenbar nur als eine Folie für die deutsche Tendenz seines Artikels. --

spräche bildet. Ehe wir jedoch ausführlicher von dem allemanischen
Dichter sprechen, müssen wir einige Bemerkungen über die nieder-
und oberdeutschen Dialekte und über ihr Verhältniß zur hochdeut¬
schen Sprache vorausschicken.

Die niederdeutschen Mundarten, die im ganzen alten Sassen¬
lande vom Harz bis an die Eid- und Wesermündung, in Holstein
und in Pommern, in Mecklenburg und in Westphalen vom Volke
gesprochen werden, haben den allgemeinen Namen Plattdeutsch. Die¬
ses Platt wechselt von Meile zu Meile, von einem Dorfe zum an¬
dern; es gibt keine feste Regel dafür und keine Sprachlehre. Die
alten Städtechroniken sind platt geschrieben, aber seit dein Auf¬
schwünge der hochdeutschen Literatur im vorigen Jahrhunderte denkt
Niemand mehr daran, das Plattdeutsche zur Schriftsprache zu erhe¬
ben. Wenige denken ernstlich daran, etwas für seine Erhaltung zu
thun; aufrichtige Volksfreunde und geistvolle Schriftsteller, wie Lu-
dolf Wienbarg, der Holsteiner, haben sogar offen ausgesprochen, daß
sie es für ein Glück ansehen würden, wenn das Platt ganz vom
Hochdeutschen verdrängt würde; denn eS hindere in manchen Ge¬
genden die Verbreitung größerer Cultur und Aufklärung.

Warum hört man nicht ähnliche Wünsche in Bezug auf die
oberdeutschen Dialekte, die im Süden gesprochen werden? — Die
oberdeutschen Dialekte, aus denen sich das Hochdeutsche gebildet
hat, wie ein mächtiger Strom aus dem Zuflüsse frischer Alpenquel¬
len, stehen noch jetzt in einem lebendigen Zusammenhange mit dem¬
selben. Hört man im Süden die Sprechweise der verschiedenen
Stände, so kann man den allmäligen und stufenweisen Uebergang
aus der Sprache des Volksstammes in die Sprache der Nation be¬
obachten; fortwährend gehen noch jetzt in das Hochdeutsche einzelne


D. Red-
Göthe als Dichter und Volksbildner über Vorbei und Bilderdyk zu setzen
gewagt hat. Unter solchen Auspicien brachte die erwähnte Zeitschrift der
deutsch-belgischen Partei einen kleinen Aufsatz über Hebel. Es kommt uns
natürlich nicht in den Sinn, das deutsche Lesepublicum über unsern «llemani-
schen Volksdichter aus flamändischen Quellen belehren zu wollen, denn der
Aufsatz ist keine kritische, keine literarhistorische Arbeit, auch zeichnet er sich
nicht durch eine besonders tiefe Auffassung Hebels aus, wie man sie etwa van
Berthold Auerbach, dem .wahlverwandten Dichter und innigen Kenner des
schwabischen Volkes, zu erwarten hat; Hebel selbst ist eigentlich Nebensache,
und dient dem Verfasser (der Professor der deutschen Literatur am Athenäum
ist) offenbar nur als eine Folie für die deutsche Tendenz seines Artikels. —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/530>, abgerufen am 05.02.2025.