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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Schulen Moses stammt aus dem Hannöverschen und war einige Zelt
im Holsteinischen mit seinen Eltern, nach deren Tode er zurückkam
und mit einem inländischen Paß mehrere Jahre als Hausirer herum¬
zog; plötzlich wird er als Heimathloser ausgetrieben, denn sein Ein¬
wohnerrecht war nicht gehörig verbrieft und eingetragen. Gut, dies
kann bei unserer Heimathscheinpcdanterie auch einem gut christlichen
Deutschen begegnen. Aber mit dem Juden Schulen macht man we¬
niger Umstände. Mit Prügeln, wie ein Verbrecher, wird er im Han¬
növerschen entlassen, und zu neuen Prügeln ist er im Voraus verur-
theilt, wenn er die Grenze wieder überschreiten sollte. Aber die an¬
grenzenden Lander und Ländchen haben keine Lust, den Heimathlosen
bei sich aufzunehmen und treiben ihn immer wieder nach der hannö¬
verschen Grenze zurück, zu neuen Prügeln. Wie man sich einen
Spielball zuwirft, so prügeln sich drei oder vier deutsche Bundesstaa-
ten den armen Juden gegenseitig zu, und keiner will ihn behalten.
So irrt der verzweifelnde Schulen, im gräßlichsten Winterwetter, mit
Weib und Kindern von einem Gebiet zum andern. Man spreche noch
von deutscher Sentimentalität. Die liberalen Blätter aber glauben
sehr human zu sein, indem sie fragen: Giebt es denn kein Mittel,
den Schulen Mosis nach-- Amerika zu transportiren?

-- Die neuesten Duellgesetze in Preußen sind geeignet, den Bür¬
ger von jedem Aweikampf mit dem Militair abzuschrecken, nicht aber
umgekehrt; denn wahrend jener nach dem strengen Landrecht gerichtet
wird, kommt dieser mit sehr leichten Strafen davon. Setzen wir bete
FM, ein Referendar wird von einem Offizier beleidigt, so ruinirt er
sich oder Andere, wenn er den Schimpf nicht auf sich sitzen läßt. For¬
dert er z. V. den Beleidiger und wird von diesem glücklich erschossen,
so kann sein bürgerlicher Secundant, nach dem Landrecht, zu zehn
Jahren Festung verurtheilt werden, der siegreiche Offizier dagegen ist
nach höchstens zwei Jahren wieder frei. Ist der Civilist so unglück¬
lich, seinen Gegner zu erschießen, so kann er als Todtschläger lebens¬
länglich sitzen. Die Chancen sind also etwas ungleich und werden
nicht verfehlen, dem Militär ein gehöriges Bewußtsein und Ueberge¬
wicht vor dem wehrlosen Civilstand zu geben.

-- Ein neues Volksblatt, das sich in Leipzig ankündigt, macht
durch seinen närrischen Titel in ganz Deutschland Aufsehen. "Bayard,
der Kämpe für Gott, König und Vaterland" nennt sich dieser Ritter
ohne Furcht (vor der Censur) und Tadel (in den Augen der Polizei'".
Seit wann ist es erhört, daß in konstitutionellen Ländern Gott und
König einer besonderen Leibwache bedürfen ? Von jeher waren es nur
Inquisitoren, Fanatiker und alberne Obscuranten, die sich einbildeten,
Gott bedürfe ihres kämpfenden Armes; und nur die Marquis von
Carabas und Consorten haben sich in modernen Verfassungsstaaten
einfallen lassen, unter einer besondern Rubrik für den König und
extra für's Vaterland zu kämpfen. Der Leipziger Bayard weiß g"-


Schulen Moses stammt aus dem Hannöverschen und war einige Zelt
im Holsteinischen mit seinen Eltern, nach deren Tode er zurückkam
und mit einem inländischen Paß mehrere Jahre als Hausirer herum¬
zog; plötzlich wird er als Heimathloser ausgetrieben, denn sein Ein¬
wohnerrecht war nicht gehörig verbrieft und eingetragen. Gut, dies
kann bei unserer Heimathscheinpcdanterie auch einem gut christlichen
Deutschen begegnen. Aber mit dem Juden Schulen macht man we¬
niger Umstände. Mit Prügeln, wie ein Verbrecher, wird er im Han¬
növerschen entlassen, und zu neuen Prügeln ist er im Voraus verur-
theilt, wenn er die Grenze wieder überschreiten sollte. Aber die an¬
grenzenden Lander und Ländchen haben keine Lust, den Heimathlosen
bei sich aufzunehmen und treiben ihn immer wieder nach der hannö¬
verschen Grenze zurück, zu neuen Prügeln. Wie man sich einen
Spielball zuwirft, so prügeln sich drei oder vier deutsche Bundesstaa-
ten den armen Juden gegenseitig zu, und keiner will ihn behalten.
So irrt der verzweifelnde Schulen, im gräßlichsten Winterwetter, mit
Weib und Kindern von einem Gebiet zum andern. Man spreche noch
von deutscher Sentimentalität. Die liberalen Blätter aber glauben
sehr human zu sein, indem sie fragen: Giebt es denn kein Mittel,
den Schulen Mosis nach— Amerika zu transportiren?

— Die neuesten Duellgesetze in Preußen sind geeignet, den Bür¬
ger von jedem Aweikampf mit dem Militair abzuschrecken, nicht aber
umgekehrt; denn wahrend jener nach dem strengen Landrecht gerichtet
wird, kommt dieser mit sehr leichten Strafen davon. Setzen wir bete
FM, ein Referendar wird von einem Offizier beleidigt, so ruinirt er
sich oder Andere, wenn er den Schimpf nicht auf sich sitzen läßt. For¬
dert er z. V. den Beleidiger und wird von diesem glücklich erschossen,
so kann sein bürgerlicher Secundant, nach dem Landrecht, zu zehn
Jahren Festung verurtheilt werden, der siegreiche Offizier dagegen ist
nach höchstens zwei Jahren wieder frei. Ist der Civilist so unglück¬
lich, seinen Gegner zu erschießen, so kann er als Todtschläger lebens¬
länglich sitzen. Die Chancen sind also etwas ungleich und werden
nicht verfehlen, dem Militär ein gehöriges Bewußtsein und Ueberge¬
wicht vor dem wehrlosen Civilstand zu geben.

— Ein neues Volksblatt, das sich in Leipzig ankündigt, macht
durch seinen närrischen Titel in ganz Deutschland Aufsehen. „Bayard,
der Kämpe für Gott, König und Vaterland" nennt sich dieser Ritter
ohne Furcht (vor der Censur) und Tadel (in den Augen der Polizei'».
Seit wann ist es erhört, daß in konstitutionellen Ländern Gott und
König einer besonderen Leibwache bedürfen ? Von jeher waren es nur
Inquisitoren, Fanatiker und alberne Obscuranten, die sich einbildeten,
Gott bedürfe ihres kämpfenden Armes; und nur die Marquis von
Carabas und Consorten haben sich in modernen Verfassungsstaaten
einfallen lassen, unter einer besondern Rubrik für den König und
extra für's Vaterland zu kämpfen. Der Leipziger Bayard weiß g«-


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[0526] Schulen Moses stammt aus dem Hannöverschen und war einige Zelt im Holsteinischen mit seinen Eltern, nach deren Tode er zurückkam und mit einem inländischen Paß mehrere Jahre als Hausirer herum¬ zog; plötzlich wird er als Heimathloser ausgetrieben, denn sein Ein¬ wohnerrecht war nicht gehörig verbrieft und eingetragen. Gut, dies kann bei unserer Heimathscheinpcdanterie auch einem gut christlichen Deutschen begegnen. Aber mit dem Juden Schulen macht man we¬ niger Umstände. Mit Prügeln, wie ein Verbrecher, wird er im Han¬ növerschen entlassen, und zu neuen Prügeln ist er im Voraus verur- theilt, wenn er die Grenze wieder überschreiten sollte. Aber die an¬ grenzenden Lander und Ländchen haben keine Lust, den Heimathlosen bei sich aufzunehmen und treiben ihn immer wieder nach der hannö¬ verschen Grenze zurück, zu neuen Prügeln. Wie man sich einen Spielball zuwirft, so prügeln sich drei oder vier deutsche Bundesstaa- ten den armen Juden gegenseitig zu, und keiner will ihn behalten. So irrt der verzweifelnde Schulen, im gräßlichsten Winterwetter, mit Weib und Kindern von einem Gebiet zum andern. Man spreche noch von deutscher Sentimentalität. Die liberalen Blätter aber glauben sehr human zu sein, indem sie fragen: Giebt es denn kein Mittel, den Schulen Mosis nach— Amerika zu transportiren? — Die neuesten Duellgesetze in Preußen sind geeignet, den Bür¬ ger von jedem Aweikampf mit dem Militair abzuschrecken, nicht aber umgekehrt; denn wahrend jener nach dem strengen Landrecht gerichtet wird, kommt dieser mit sehr leichten Strafen davon. Setzen wir bete FM, ein Referendar wird von einem Offizier beleidigt, so ruinirt er sich oder Andere, wenn er den Schimpf nicht auf sich sitzen läßt. For¬ dert er z. V. den Beleidiger und wird von diesem glücklich erschossen, so kann sein bürgerlicher Secundant, nach dem Landrecht, zu zehn Jahren Festung verurtheilt werden, der siegreiche Offizier dagegen ist nach höchstens zwei Jahren wieder frei. Ist der Civilist so unglück¬ lich, seinen Gegner zu erschießen, so kann er als Todtschläger lebens¬ länglich sitzen. Die Chancen sind also etwas ungleich und werden nicht verfehlen, dem Militär ein gehöriges Bewußtsein und Ueberge¬ wicht vor dem wehrlosen Civilstand zu geben. — Ein neues Volksblatt, das sich in Leipzig ankündigt, macht durch seinen närrischen Titel in ganz Deutschland Aufsehen. „Bayard, der Kämpe für Gott, König und Vaterland" nennt sich dieser Ritter ohne Furcht (vor der Censur) und Tadel (in den Augen der Polizei'». Seit wann ist es erhört, daß in konstitutionellen Ländern Gott und König einer besonderen Leibwache bedürfen ? Von jeher waren es nur Inquisitoren, Fanatiker und alberne Obscuranten, die sich einbildeten, Gott bedürfe ihres kämpfenden Armes; und nur die Marquis von Carabas und Consorten haben sich in modernen Verfassungsstaaten einfallen lassen, unter einer besondern Rubrik für den König und extra für's Vaterland zu kämpfen. Der Leipziger Bayard weiß g«-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/526>, abgerufen am 05.02.2025.