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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Tonsprache mehr, denn daß er dieselbe klar zur Anschauung zu bringen
vermöchte. Sie betrachten ihn als den Johannes, der dem Messias
vorangeht und das Wort verkündet, das dieser bringen soll. An
Schmeichlern fehlt es Berlioz hier nicht, dafür sorgt die Furcht vor
seiner Journalistenfeder. Heute geben sie ihm zu Ehren ein großes
Festessen im Casino, dann eilt er nach Prag und Pesth, um diese bei¬
den Städte gleichfalls mit seinen räthselhaften Schöpfungen zu be¬
glücken. -- Einen grellen Gegensatz zu Berlicz bildet Fetialen David,
dessen "Wüste" im Theater an der Wien zur Aufführung gebracht
wurde und allgemein ansprach. Die Einhelligkeit in der Anerkennung
dieses fremden Tonmeisters bei aller Fremdartigkeit der Schilderung
ist wohl hauptsächlich daraus zu erklären, daß er durch Anlehnung an
den üblichen Styl dem Ohre des Zuhörers schmeichelt, welches Neues
hört, ohne das Alte vergessen zu müssen. -- Nikolai hat sich endlich
mit den verfeindeten Künstlern ausgesöhnt, indem er sich verpflichtete,
fortan seinen rothen Adlerorden blos zweimal im Jahre zu tragen.
Das Orchester des Hofopcrntheaters beginnt in dieser Saison wie frü¬
her unter seiner Leitung den Cyclus der im besten Ansehen stehenden
philharmonischen Concerte, welche stets ein elegantes und kunstsinniges
Publicum zu versammeln pflegen. Auch hat Nikolai ein Concert ver¬
anstaltet, in welchem blos seine eigenen Eompositionen erecutirt wur¬
den. Diese sind zwar geschmackvoll, aber ohne allen Schwung. Der
witzige Componist D. nannte Berlioz und Nikolai gleich ohnmäch¬
tig, doch mit dem Unterschiede, daß Berlioz sich fortwährend be¬
müht, schöpferisch aufzutreten, indeß'Nikolai wenigstens so bescheiden
ist, seine Schwäche einzusehen und jedes geniale Gelüste aufzugeben.

Im Hofopcrntheater, wo die peinlichste Verödung herrscht, haben
die französischen Schauspieler unter der Direktion des Herrn Sainval
ihr Wesen begonnen, und dieser Umstand dürfte dem jämmerlichen
Kunsttempel, auf dessen Schwelle das Gras wachst, wieder einige Be¬
achtung zuwenden, wenigstens in jenen Schichten der Gesellschaft, in
denen die Theilnahme an Allem, was französisch heißt, mit Ausnahme
der französischen Preßfreiheit, der französischen Gleichheit vor dem Ge¬
setz und einiger anderen französischen Verwerflichkeiten, zum guten Tone
gehört, dessen sich Niemand einschlagen darf. Ich habe noch keine
Vorstellung derselben besucht und kann darum nichts aus eigener An¬
schauung über sie sagen, als daß das Repertoir sehr schlecht ist, nichts
als Abhub der Pariser Vorstadtbühncn und altes Rumpelzeug.

Unsere Journalistik erleidet wenig Veränderungen. Bei Wallis-
hausser erscheint im künftigen Jahre eine neue ökonomische Zeitschrift,
welche der im Fache der Laniwirthschaft vielerfahrene Rath Andre re-
digiren wird. Die "Gegenwart", welche unter Schuhmacher's Re¬
daction ihren Lauf begann und bei ihrem monatlichen Abonnement
seit ihrem zweimonatlichen Bestehen bereits I2V0 Abonnenten zählt,


Gr-nzbotcn, I"4S. IV.

Tonsprache mehr, denn daß er dieselbe klar zur Anschauung zu bringen
vermöchte. Sie betrachten ihn als den Johannes, der dem Messias
vorangeht und das Wort verkündet, das dieser bringen soll. An
Schmeichlern fehlt es Berlioz hier nicht, dafür sorgt die Furcht vor
seiner Journalistenfeder. Heute geben sie ihm zu Ehren ein großes
Festessen im Casino, dann eilt er nach Prag und Pesth, um diese bei¬
den Städte gleichfalls mit seinen räthselhaften Schöpfungen zu be¬
glücken. — Einen grellen Gegensatz zu Berlicz bildet Fetialen David,
dessen „Wüste" im Theater an der Wien zur Aufführung gebracht
wurde und allgemein ansprach. Die Einhelligkeit in der Anerkennung
dieses fremden Tonmeisters bei aller Fremdartigkeit der Schilderung
ist wohl hauptsächlich daraus zu erklären, daß er durch Anlehnung an
den üblichen Styl dem Ohre des Zuhörers schmeichelt, welches Neues
hört, ohne das Alte vergessen zu müssen. — Nikolai hat sich endlich
mit den verfeindeten Künstlern ausgesöhnt, indem er sich verpflichtete,
fortan seinen rothen Adlerorden blos zweimal im Jahre zu tragen.
Das Orchester des Hofopcrntheaters beginnt in dieser Saison wie frü¬
her unter seiner Leitung den Cyclus der im besten Ansehen stehenden
philharmonischen Concerte, welche stets ein elegantes und kunstsinniges
Publicum zu versammeln pflegen. Auch hat Nikolai ein Concert ver¬
anstaltet, in welchem blos seine eigenen Eompositionen erecutirt wur¬
den. Diese sind zwar geschmackvoll, aber ohne allen Schwung. Der
witzige Componist D. nannte Berlioz und Nikolai gleich ohnmäch¬
tig, doch mit dem Unterschiede, daß Berlioz sich fortwährend be¬
müht, schöpferisch aufzutreten, indeß'Nikolai wenigstens so bescheiden
ist, seine Schwäche einzusehen und jedes geniale Gelüste aufzugeben.

Im Hofopcrntheater, wo die peinlichste Verödung herrscht, haben
die französischen Schauspieler unter der Direktion des Herrn Sainval
ihr Wesen begonnen, und dieser Umstand dürfte dem jämmerlichen
Kunsttempel, auf dessen Schwelle das Gras wachst, wieder einige Be¬
achtung zuwenden, wenigstens in jenen Schichten der Gesellschaft, in
denen die Theilnahme an Allem, was französisch heißt, mit Ausnahme
der französischen Preßfreiheit, der französischen Gleichheit vor dem Ge¬
setz und einiger anderen französischen Verwerflichkeiten, zum guten Tone
gehört, dessen sich Niemand einschlagen darf. Ich habe noch keine
Vorstellung derselben besucht und kann darum nichts aus eigener An¬
schauung über sie sagen, als daß das Repertoir sehr schlecht ist, nichts
als Abhub der Pariser Vorstadtbühncn und altes Rumpelzeug.

Unsere Journalistik erleidet wenig Veränderungen. Bei Wallis-
hausser erscheint im künftigen Jahre eine neue ökonomische Zeitschrift,
welche der im Fache der Laniwirthschaft vielerfahrene Rath Andre re-
digiren wird. Die „Gegenwart", welche unter Schuhmacher's Re¬
daction ihren Lauf begann und bei ihrem monatlichen Abonnement
seit ihrem zweimonatlichen Bestehen bereits I2V0 Abonnenten zählt,


Gr-nzbotcn, I»4S. IV.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/513>, abgerufen am 05.02.2025.