Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

derben der Mitglieder mit dem Kunstwerthe der erworbenen Gemälde,
seine vollkommene Richtigkeit haben, so entstand doch noch die Frage,
ob dieser niedere Kunstwerth der angekauften Bilder nicht mehr dem
Geschmacke des Wahlcomitvs als dem Kunstvermögen der österreichi¬
schen Maler überhaupt zum Vorwurfe gereiche. Es scheint wenigstens
nicht dem mindesten Zweifel unterworfen, daß die Wahl der angekauf¬
ten Bilder nicht die beste gewesen; schon lange gilt der an ein Ge¬
mälde im Saale der Ausstellung angeheftete Kunstzettcl des Kunstver¬
eins als ein schlechter Empfehlungsbrief in den Kreisen der Künstler
und Kenner. Unter solchen Umständen wäre es ohne Zweifel besser
gethan, das eitle Protectionssystem versuchsweise aufzugeben und dafür
ein Wahlverfahren zu beobachten, bei welchem nicht untergeordnete
und persönliche Rücksichtsnahmen thätig sind, und erst wenn dieses
Verfahren ebenfalls ein ungünstiges Resultat darböte, konnte vernünf¬
tigerweise von der Aenderung des herrschenden Systems bezüglich der
patriotischen Beschränkung im Ankaufe der Bilder die Sprache sein.
In diesem Sinne hat sich auch ein Mitglied des Ausschusses, der
Bildhauer Preleuthner, gegen den Vorschlag des Vorstandes ausge¬
sprochen, welcher durch diese wohlbegründete Gegenrede dergestalt erbit¬
tert ward, daß er sich zur Niederlegung seiner Stelle bereit erklärte;
ein Entschluß, der indeß schwerlich zur Ausführung kommen wird,
denn die Mehrzahl der hiesigen KünsU.r hegt einen zu tiefen Respect
vor dem Einflüsse dieses Mannes, der ihren Vermittler abgiebt mit
der Sphäre der hohen Aristokratie, von welcher sie doch vorzugsweise
leben müssen.

Nicht geringes Aufsehen erregt gegenwärtig die Aufstellung eines
vom kaiserlichen Hofe in früheren Jahren um den enormen Preis von
einer Million Franken erworbenes Mosaikbild von Raffaelli, welches
das Abendmahl des Leonardo da Vinci darstellt und sich durch Far¬
benpracht und feine Zeichnung hervorthun soll. Bis jetzt war es in
den Kisten verpackt, in welchen es aus Italien Hieher befördert worden.
Der Sohn des Meisters, der junge Raffaelli, wird nächstens aus Rom
hier eintreffen, um die Arbeiten bei der Einfügung der Tafeln in eine
der Seitenwände des Minoritenklosters zu leiten, wozu Se. Majestät
abermals die Summe von 15,000 Gulden C.-M. angewiesen hat.--
Bei den Nachgrabungen im Boden der Kirche gelangte man zu deren
Katakomben und fand eine große Anzahl von Särgen mit Leichen aus
verflossenen Jahrhunderten, darunter auch manche historisch bekannte
Person, in gänzlich unvcrwes'tem Zustande.

An musikalischen Genüssen leiden wir gewiß keinen Mangel, denn
Berlioz, David und Nikolai haben uns hintereinander ihre Productio-
nen vorgeführt. Ueber den Ersteren hat sich endlich ein bestimmteres
Urtheil gebildet; Niemand spricht ihm Talent ab. Manche sind der
Ansicht, als ahne Berlioz die von ihm gewünschte Erweiterung der


derben der Mitglieder mit dem Kunstwerthe der erworbenen Gemälde,
seine vollkommene Richtigkeit haben, so entstand doch noch die Frage,
ob dieser niedere Kunstwerth der angekauften Bilder nicht mehr dem
Geschmacke des Wahlcomitvs als dem Kunstvermögen der österreichi¬
schen Maler überhaupt zum Vorwurfe gereiche. Es scheint wenigstens
nicht dem mindesten Zweifel unterworfen, daß die Wahl der angekauf¬
ten Bilder nicht die beste gewesen; schon lange gilt der an ein Ge¬
mälde im Saale der Ausstellung angeheftete Kunstzettcl des Kunstver¬
eins als ein schlechter Empfehlungsbrief in den Kreisen der Künstler
und Kenner. Unter solchen Umständen wäre es ohne Zweifel besser
gethan, das eitle Protectionssystem versuchsweise aufzugeben und dafür
ein Wahlverfahren zu beobachten, bei welchem nicht untergeordnete
und persönliche Rücksichtsnahmen thätig sind, und erst wenn dieses
Verfahren ebenfalls ein ungünstiges Resultat darböte, konnte vernünf¬
tigerweise von der Aenderung des herrschenden Systems bezüglich der
patriotischen Beschränkung im Ankaufe der Bilder die Sprache sein.
In diesem Sinne hat sich auch ein Mitglied des Ausschusses, der
Bildhauer Preleuthner, gegen den Vorschlag des Vorstandes ausge¬
sprochen, welcher durch diese wohlbegründete Gegenrede dergestalt erbit¬
tert ward, daß er sich zur Niederlegung seiner Stelle bereit erklärte;
ein Entschluß, der indeß schwerlich zur Ausführung kommen wird,
denn die Mehrzahl der hiesigen KünsU.r hegt einen zu tiefen Respect
vor dem Einflüsse dieses Mannes, der ihren Vermittler abgiebt mit
der Sphäre der hohen Aristokratie, von welcher sie doch vorzugsweise
leben müssen.

Nicht geringes Aufsehen erregt gegenwärtig die Aufstellung eines
vom kaiserlichen Hofe in früheren Jahren um den enormen Preis von
einer Million Franken erworbenes Mosaikbild von Raffaelli, welches
das Abendmahl des Leonardo da Vinci darstellt und sich durch Far¬
benpracht und feine Zeichnung hervorthun soll. Bis jetzt war es in
den Kisten verpackt, in welchen es aus Italien Hieher befördert worden.
Der Sohn des Meisters, der junge Raffaelli, wird nächstens aus Rom
hier eintreffen, um die Arbeiten bei der Einfügung der Tafeln in eine
der Seitenwände des Minoritenklosters zu leiten, wozu Se. Majestät
abermals die Summe von 15,000 Gulden C.-M. angewiesen hat.—
Bei den Nachgrabungen im Boden der Kirche gelangte man zu deren
Katakomben und fand eine große Anzahl von Särgen mit Leichen aus
verflossenen Jahrhunderten, darunter auch manche historisch bekannte
Person, in gänzlich unvcrwes'tem Zustande.

An musikalischen Genüssen leiden wir gewiß keinen Mangel, denn
Berlioz, David und Nikolai haben uns hintereinander ihre Productio-
nen vorgeführt. Ueber den Ersteren hat sich endlich ein bestimmteres
Urtheil gebildet; Niemand spricht ihm Talent ab. Manche sind der
Ansicht, als ahne Berlioz die von ihm gewünschte Erweiterung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271773"/>
            <p xml:id="ID_1381" prev="#ID_1380"> derben der Mitglieder mit dem Kunstwerthe der erworbenen Gemälde,<lb/>
seine vollkommene Richtigkeit haben, so entstand doch noch die Frage,<lb/>
ob dieser niedere Kunstwerth der angekauften Bilder nicht mehr dem<lb/>
Geschmacke des Wahlcomitvs als dem Kunstvermögen der österreichi¬<lb/>
schen Maler überhaupt zum Vorwurfe gereiche. Es scheint wenigstens<lb/>
nicht dem mindesten Zweifel unterworfen, daß die Wahl der angekauf¬<lb/>
ten Bilder nicht die beste gewesen; schon lange gilt der an ein Ge¬<lb/>
mälde im Saale der Ausstellung angeheftete Kunstzettcl des Kunstver¬<lb/>
eins als ein schlechter Empfehlungsbrief in den Kreisen der Künstler<lb/>
und Kenner. Unter solchen Umständen wäre es ohne Zweifel besser<lb/>
gethan, das eitle Protectionssystem versuchsweise aufzugeben und dafür<lb/>
ein Wahlverfahren zu beobachten, bei welchem nicht untergeordnete<lb/>
und persönliche Rücksichtsnahmen thätig sind, und erst wenn dieses<lb/>
Verfahren ebenfalls ein ungünstiges Resultat darböte, konnte vernünf¬<lb/>
tigerweise von der Aenderung des herrschenden Systems bezüglich der<lb/>
patriotischen Beschränkung im Ankaufe der Bilder die Sprache sein.<lb/>
In diesem Sinne hat sich auch ein Mitglied des Ausschusses, der<lb/>
Bildhauer Preleuthner, gegen den Vorschlag des Vorstandes ausge¬<lb/>
sprochen, welcher durch diese wohlbegründete Gegenrede dergestalt erbit¬<lb/>
tert ward, daß er sich zur Niederlegung seiner Stelle bereit erklärte;<lb/>
ein Entschluß, der indeß schwerlich zur Ausführung kommen wird,<lb/>
denn die Mehrzahl der hiesigen KünsU.r hegt einen zu tiefen Respect<lb/>
vor dem Einflüsse dieses Mannes, der ihren Vermittler abgiebt mit<lb/>
der Sphäre der hohen Aristokratie, von welcher sie doch vorzugsweise<lb/>
leben müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1382"> Nicht geringes Aufsehen erregt gegenwärtig die Aufstellung eines<lb/>
vom kaiserlichen Hofe in früheren Jahren um den enormen Preis von<lb/>
einer Million Franken erworbenes Mosaikbild von Raffaelli, welches<lb/>
das Abendmahl des Leonardo da Vinci darstellt und sich durch Far¬<lb/>
benpracht und feine Zeichnung hervorthun soll. Bis jetzt war es in<lb/>
den Kisten verpackt, in welchen es aus Italien Hieher befördert worden.<lb/>
Der Sohn des Meisters, der junge Raffaelli, wird nächstens aus Rom<lb/>
hier eintreffen, um die Arbeiten bei der Einfügung der Tafeln in eine<lb/>
der Seitenwände des Minoritenklosters zu leiten, wozu Se. Majestät<lb/>
abermals die Summe von 15,000 Gulden C.-M. angewiesen hat.&#x2014;<lb/>
Bei den Nachgrabungen im Boden der Kirche gelangte man zu deren<lb/>
Katakomben und fand eine große Anzahl von Särgen mit Leichen aus<lb/>
verflossenen Jahrhunderten, darunter auch manche historisch bekannte<lb/>
Person, in gänzlich unvcrwes'tem Zustande.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1383" next="#ID_1384"> An musikalischen Genüssen leiden wir gewiß keinen Mangel, denn<lb/>
Berlioz, David und Nikolai haben uns hintereinander ihre Productio-<lb/>
nen vorgeführt. Ueber den Ersteren hat sich endlich ein bestimmteres<lb/>
Urtheil gebildet; Niemand spricht ihm Talent ab. Manche sind der<lb/>
Ansicht, als ahne Berlioz die von ihm gewünschte Erweiterung der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0512] derben der Mitglieder mit dem Kunstwerthe der erworbenen Gemälde, seine vollkommene Richtigkeit haben, so entstand doch noch die Frage, ob dieser niedere Kunstwerth der angekauften Bilder nicht mehr dem Geschmacke des Wahlcomitvs als dem Kunstvermögen der österreichi¬ schen Maler überhaupt zum Vorwurfe gereiche. Es scheint wenigstens nicht dem mindesten Zweifel unterworfen, daß die Wahl der angekauf¬ ten Bilder nicht die beste gewesen; schon lange gilt der an ein Ge¬ mälde im Saale der Ausstellung angeheftete Kunstzettcl des Kunstver¬ eins als ein schlechter Empfehlungsbrief in den Kreisen der Künstler und Kenner. Unter solchen Umständen wäre es ohne Zweifel besser gethan, das eitle Protectionssystem versuchsweise aufzugeben und dafür ein Wahlverfahren zu beobachten, bei welchem nicht untergeordnete und persönliche Rücksichtsnahmen thätig sind, und erst wenn dieses Verfahren ebenfalls ein ungünstiges Resultat darböte, konnte vernünf¬ tigerweise von der Aenderung des herrschenden Systems bezüglich der patriotischen Beschränkung im Ankaufe der Bilder die Sprache sein. In diesem Sinne hat sich auch ein Mitglied des Ausschusses, der Bildhauer Preleuthner, gegen den Vorschlag des Vorstandes ausge¬ sprochen, welcher durch diese wohlbegründete Gegenrede dergestalt erbit¬ tert ward, daß er sich zur Niederlegung seiner Stelle bereit erklärte; ein Entschluß, der indeß schwerlich zur Ausführung kommen wird, denn die Mehrzahl der hiesigen KünsU.r hegt einen zu tiefen Respect vor dem Einflüsse dieses Mannes, der ihren Vermittler abgiebt mit der Sphäre der hohen Aristokratie, von welcher sie doch vorzugsweise leben müssen. Nicht geringes Aufsehen erregt gegenwärtig die Aufstellung eines vom kaiserlichen Hofe in früheren Jahren um den enormen Preis von einer Million Franken erworbenes Mosaikbild von Raffaelli, welches das Abendmahl des Leonardo da Vinci darstellt und sich durch Far¬ benpracht und feine Zeichnung hervorthun soll. Bis jetzt war es in den Kisten verpackt, in welchen es aus Italien Hieher befördert worden. Der Sohn des Meisters, der junge Raffaelli, wird nächstens aus Rom hier eintreffen, um die Arbeiten bei der Einfügung der Tafeln in eine der Seitenwände des Minoritenklosters zu leiten, wozu Se. Majestät abermals die Summe von 15,000 Gulden C.-M. angewiesen hat.— Bei den Nachgrabungen im Boden der Kirche gelangte man zu deren Katakomben und fand eine große Anzahl von Särgen mit Leichen aus verflossenen Jahrhunderten, darunter auch manche historisch bekannte Person, in gänzlich unvcrwes'tem Zustande. An musikalischen Genüssen leiden wir gewiß keinen Mangel, denn Berlioz, David und Nikolai haben uns hintereinander ihre Productio- nen vorgeführt. Ueber den Ersteren hat sich endlich ein bestimmteres Urtheil gebildet; Niemand spricht ihm Talent ab. Manche sind der Ansicht, als ahne Berlioz die von ihm gewünschte Erweiterung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/512
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/512>, abgerufen am 05.02.2025.