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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Ädene Taschenbücher.



l.

Lebensgenuß und Kritik des Genusses- -- Verluste ohne Ersatz. -- Die belle¬
tristischen Taschenbücher vor und nach 1832. -- "Urania" in ihrer neuen
Nolqc und ihr neuester Jahrgang. -- "Penelope", deren Altersschwester,
im Jahre 1846.

Wir Deutschen besitzen das Talent, uns die unbefangene Freude
und Lust an dem, was uns eben nur über den Augenblick hinaus-
helfen soll, durch die Grübeleien und Bedenken einer transscendenta¬
len Aesthetik häufig zu zerstören. Oft wächst dann zwar aus der
höher gestellten Anforderung ein wirklicher Fortschritt hervor, oft aber
entsteht auch nur eine ersatzlose Einbuße; das Leben ist vielleicht
äußerlich ästhetischer worden, aber der Lebensgenuß geringer. Die
Theorie des Lebens hat gewonnen, die PranS an Lebensfrische ver¬
loren. Wir haben durch dieses vornehme Suchen nach höheren An¬
schauungen und durch diese immer höher geschraubten Anforderungen
in der plastischen, dramatischen und literarischen Welt manche anfri-
schende Erscheinung in einen unverdienten Hintergrund gedrängt.
Wir sind zu einer Halbheit des Genusses in allen diesen Dingen
gekommen und fühlen dabei doch das Bedürfniß nach unbefangenem
und vollem Genusse nur um so mehr. Das Genrebild ist bei den
Kunstkennern in Mißcredit gelangt, die Empfänglichkeit für das
in rein komischen Situationen sich bewegende Lustspiel ist großentheils
verloren gegangen, die leichte, nur amüsirende literarische Production


Grenzboten, IV. ßZ
Ädene Taschenbücher.



l.

Lebensgenuß und Kritik des Genusses- — Verluste ohne Ersatz. — Die belle¬
tristischen Taschenbücher vor und nach 1832. — „Urania" in ihrer neuen
Nolqc und ihr neuester Jahrgang. — „Penelope", deren Altersschwester,
im Jahre 1846.

Wir Deutschen besitzen das Talent, uns die unbefangene Freude
und Lust an dem, was uns eben nur über den Augenblick hinaus-
helfen soll, durch die Grübeleien und Bedenken einer transscendenta¬
len Aesthetik häufig zu zerstören. Oft wächst dann zwar aus der
höher gestellten Anforderung ein wirklicher Fortschritt hervor, oft aber
entsteht auch nur eine ersatzlose Einbuße; das Leben ist vielleicht
äußerlich ästhetischer worden, aber der Lebensgenuß geringer. Die
Theorie des Lebens hat gewonnen, die PranS an Lebensfrische ver¬
loren. Wir haben durch dieses vornehme Suchen nach höheren An¬
schauungen und durch diese immer höher geschraubten Anforderungen
in der plastischen, dramatischen und literarischen Welt manche anfri-
schende Erscheinung in einen unverdienten Hintergrund gedrängt.
Wir sind zu einer Halbheit des Genusses in allen diesen Dingen
gekommen und fühlen dabei doch das Bedürfniß nach unbefangenem
und vollem Genusse nur um so mehr. Das Genrebild ist bei den
Kunstkennern in Mißcredit gelangt, die Empfänglichkeit für das
in rein komischen Situationen sich bewegende Lustspiel ist großentheils
verloren gegangen, die leichte, nur amüsirende literarische Production


Grenzboten, IV. ßZ
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[0497] Ädene Taschenbücher. l. Lebensgenuß und Kritik des Genusses- — Verluste ohne Ersatz. — Die belle¬ tristischen Taschenbücher vor und nach 1832. — „Urania" in ihrer neuen Nolqc und ihr neuester Jahrgang. — „Penelope", deren Altersschwester, im Jahre 1846. Wir Deutschen besitzen das Talent, uns die unbefangene Freude und Lust an dem, was uns eben nur über den Augenblick hinaus- helfen soll, durch die Grübeleien und Bedenken einer transscendenta¬ len Aesthetik häufig zu zerstören. Oft wächst dann zwar aus der höher gestellten Anforderung ein wirklicher Fortschritt hervor, oft aber entsteht auch nur eine ersatzlose Einbuße; das Leben ist vielleicht äußerlich ästhetischer worden, aber der Lebensgenuß geringer. Die Theorie des Lebens hat gewonnen, die PranS an Lebensfrische ver¬ loren. Wir haben durch dieses vornehme Suchen nach höheren An¬ schauungen und durch diese immer höher geschraubten Anforderungen in der plastischen, dramatischen und literarischen Welt manche anfri- schende Erscheinung in einen unverdienten Hintergrund gedrängt. Wir sind zu einer Halbheit des Genusses in allen diesen Dingen gekommen und fühlen dabei doch das Bedürfniß nach unbefangenem und vollem Genusse nur um so mehr. Das Genrebild ist bei den Kunstkennern in Mißcredit gelangt, die Empfänglichkeit für das in rein komischen Situationen sich bewegende Lustspiel ist großentheils verloren gegangen, die leichte, nur amüsirende literarische Production Grenzboten, IV. ßZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/497>, abgerufen am 05.02.2025.