Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.ihm zu groß, nichts ist ihm zu klein. Kein Rießer, der dem Czaren ihm zu groß, nichts ist ihm zu klein. Kein Rießer, der dem Czaren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271740"/> <p xml:id="ID_1307" prev="#ID_1306" next="#ID_1308"> ihm zu groß, nichts ist ihm zu klein. Kein Rießer, der dem Czaren<lb/> entfährt, keine Migräne, die die Czarewna befällt, kein Frühstück, kein<lb/> Abendessen, keine Pomeranze, keine Macaroni-Nudel, welche die russi¬<lb/> schen und stcilianischen Majestäten einnahmen, über die er nicht sorg¬<lb/> sam wie ein Koch oder Krankenwärter Buch führt. Die kluge Augs-<lb/> burgerin lacht ins Fäustchen; für >!> oder W Franken per Brief lie¬<lb/> fert ihr dieser deutsche Arbeiter Gerichte, die an den Tafeln der hohen<lb/> und höchsten Herrschaften mit Gierde verschlungen werven, und über¬<lb/> setzt und unübersetzt, die Wanderungen durch alle europäischen Zeitun¬<lb/> gen von der Times bis tief herab zum Rheinischen Beobachter ma¬<lb/> chen. Für uns Deutsche aber ist in diesen Korrespondenzen eine Klei¬<lb/> nigkeit, die andern Augen vielleicht entschlüpft, besonders wichtig; wir<lb/> haben nämlich alle Ursache zu glauben, daß Sicilien heimlich zum<lb/> deutschen Bunde gehört. Auf eine feine Weise giebt unser Lands¬<lb/> mann in Palermo uns dies zu verstehen; so oft er nämlich des Kö¬<lb/> nigs von Neapel erwähnt, schreibt er nicht schlechtweg der König, son¬<lb/> dern sagt immer unser König. Man wende nicht el», daß wir das<lb/> in deutschen Blättern gewohnt sind, daß auch viele Correspondenten<lb/> aus Frankreich, Holland, Belgien u. s. w- immer von „unserer"<lb/> Kammer, von „unserer" Presse sprechen. Jene Correspondenten sind<lb/> wahrscheinlich Elsasser, Lothringer, Luxemburger, Deutsche die dem<lb/> französischen Staatenverbande angehören und bei denen dies „unser"<lb/> motivirt ist. Allerdings schleicht sich oft auch in deutschen Correspon-<lb/> denzen aus England das Wörtchen unfer ein, aber diesen Correspon¬<lb/> denten muß man die kleine Schwäche verzeihen. England ist ein freies<lb/> Land, und der Deutsche überläßt sich vielleicht gern einen Augenblick<lb/> der Illusion, ein englischer Bürger zu sein, over glaubt sich, indem er<lb/> diesen Charakter annimmt, ein Relief zu geben. Anders aber ist es<lb/> wenn ein Deutscher aus Sicilien das Wort „unser König" hören<lb/> läßt. Da es gerade kein besonders süßes Glück ist, Unterthan Sr.<lb/> Majestät von Neapel zu sein, und auch unseres Wissens keine deut¬<lb/> schen Provinzen im Giron der beiden Sicilien liegen, was könnte die¬<lb/> sem guten deutschen Correspondenten den Ehrgeiz einflößen, sich durch¬<lb/> aus als Sicilier zu geriren, durchaus von unserem König zu spre¬<lb/> chen, wenn er nicht die stille Absicht hätte, uns unter dem Fuß zu<lb/> verstehen zu geben, daß einem geheimen Tractat zu Folge der deutsche<lb/> Bund auch über den Golf von Neapel sich ausdehnt? O Gott! wir<lb/> wiss-n gar nicht, wie groß Deutschland ist! Alle unsere Karten und<lb/> geographischen Handbücher lügen; sogar Arndt's bekanntes Lied, das<lb/> doch so viele Vaterlande aufzählt, verschweigt die Hälfte der Wahr¬<lb/> heit. Man lese nur die Correspondenzen deutscher Zeitungen und<lb/> man wird finden, daß des Deutschen Vaterland auch in Madrid, in<lb/> Lissabon, in Stockholm, in Gallatz, in Bukarest u. s. w. ist, Wir<lb/> haben überall unsere Könige, unsere Cortes, unsere Storthings, unser</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
ihm zu groß, nichts ist ihm zu klein. Kein Rießer, der dem Czaren
entfährt, keine Migräne, die die Czarewna befällt, kein Frühstück, kein
Abendessen, keine Pomeranze, keine Macaroni-Nudel, welche die russi¬
schen und stcilianischen Majestäten einnahmen, über die er nicht sorg¬
sam wie ein Koch oder Krankenwärter Buch führt. Die kluge Augs-
burgerin lacht ins Fäustchen; für >!> oder W Franken per Brief lie¬
fert ihr dieser deutsche Arbeiter Gerichte, die an den Tafeln der hohen
und höchsten Herrschaften mit Gierde verschlungen werven, und über¬
setzt und unübersetzt, die Wanderungen durch alle europäischen Zeitun¬
gen von der Times bis tief herab zum Rheinischen Beobachter ma¬
chen. Für uns Deutsche aber ist in diesen Korrespondenzen eine Klei¬
nigkeit, die andern Augen vielleicht entschlüpft, besonders wichtig; wir
haben nämlich alle Ursache zu glauben, daß Sicilien heimlich zum
deutschen Bunde gehört. Auf eine feine Weise giebt unser Lands¬
mann in Palermo uns dies zu verstehen; so oft er nämlich des Kö¬
nigs von Neapel erwähnt, schreibt er nicht schlechtweg der König, son¬
dern sagt immer unser König. Man wende nicht el», daß wir das
in deutschen Blättern gewohnt sind, daß auch viele Correspondenten
aus Frankreich, Holland, Belgien u. s. w- immer von „unserer"
Kammer, von „unserer" Presse sprechen. Jene Correspondenten sind
wahrscheinlich Elsasser, Lothringer, Luxemburger, Deutsche die dem
französischen Staatenverbande angehören und bei denen dies „unser"
motivirt ist. Allerdings schleicht sich oft auch in deutschen Correspon-
denzen aus England das Wörtchen unfer ein, aber diesen Correspon¬
denten muß man die kleine Schwäche verzeihen. England ist ein freies
Land, und der Deutsche überläßt sich vielleicht gern einen Augenblick
der Illusion, ein englischer Bürger zu sein, over glaubt sich, indem er
diesen Charakter annimmt, ein Relief zu geben. Anders aber ist es
wenn ein Deutscher aus Sicilien das Wort „unser König" hören
läßt. Da es gerade kein besonders süßes Glück ist, Unterthan Sr.
Majestät von Neapel zu sein, und auch unseres Wissens keine deut¬
schen Provinzen im Giron der beiden Sicilien liegen, was könnte die¬
sem guten deutschen Correspondenten den Ehrgeiz einflößen, sich durch¬
aus als Sicilier zu geriren, durchaus von unserem König zu spre¬
chen, wenn er nicht die stille Absicht hätte, uns unter dem Fuß zu
verstehen zu geben, daß einem geheimen Tractat zu Folge der deutsche
Bund auch über den Golf von Neapel sich ausdehnt? O Gott! wir
wiss-n gar nicht, wie groß Deutschland ist! Alle unsere Karten und
geographischen Handbücher lügen; sogar Arndt's bekanntes Lied, das
doch so viele Vaterlande aufzählt, verschweigt die Hälfte der Wahr¬
heit. Man lese nur die Correspondenzen deutscher Zeitungen und
man wird finden, daß des Deutschen Vaterland auch in Madrid, in
Lissabon, in Stockholm, in Gallatz, in Bukarest u. s. w. ist, Wir
haben überall unsere Könige, unsere Cortes, unsere Storthings, unser
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