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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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weil ich meine, man wird mich fragen: aber wie? geht denn sonst
nichts in Berlin vor? -- Nun sitze ich da, und bin in der selt¬
samsten Lage von der Welt. Wohin ich den Blick richte, springen
mir diese religiösen Interessen entgegen; es ist, als ob sie
in allen Winkeln kauerten und lauerten- Ist das meine Schuld?
die Schuld meines Auges, das aus Idiosynkrasie alles grün und gelb
sieht? Wahrhaftig nicht. Gehen Sie in Gesellschaft! wovon spricht
man? Von der neuesten Aeußerung des Schulcaths Schultz in je¬
ner unglückseligen Protestangelegenheit. Sie eilen fort, durch die Ja¬
gerstraße, ins Schauspielhaus, nehmen ohne zu fragen ein Billet,
dree.n ins Parterre; das erste Wort das Sie hören ist: Consistorial-
rath Schultz in Breslau. Der Vorhang geht auf. "Gottselige
Frauen --" hebt ein schwarzer Herr aus der Bühne im Kanzelton an.
O Hölle! ein Tenoenzstück! man giebt: "Er muß aufs Land." Sie
retten sich auf die Scraße hinaus, und an der Einfahrt des Hauses
lehnen zwei Eck.nsteher, welche sich darüber unterhalten, daß nächstens
die große Landessynode stattfinden wird, in welcher alle Provinzial-
synoden zusammensitzen w.roer, und -- "dann wert es erscht Dag
weren in ve Königliche evangelische Kirche, und se weren die Licht-
freinde eene Laterne anstechen." Sie flüchten in eine Condiivrei,
greisen nach einem Zeitungsblatte; das erste was Ihnen in die Au¬
gen fällt, ist: "M'n erfahrt aus sicherer Quelle, daß Herr Pastor
Wislicenus -- "; Sie schlagen das Blatt um: "Heute Morgen ist
der gefeierte Reformator des 19. Jahrhunderts, Herr Johannes
Norge --". Erschöpft suchen sie ihr friedliches Stäbchen auf; daS
Maochen bringt Licht, Schlaftoek und Panross.in. Wissen Sie schon
die neuste Neuigkeit, sängt sie an, daß der Pabst mit uns Friede
machen will, und der Pabst wir" auch mit seiner Frau Gemahlin
nach Berlin kommen und unserem König eine Visite machen! --
Sollten Sie es glauben, daß es in Berlin Leute giebt und Leute die
etwas vorstellen, die aber alles Ernstes daran glauben, daß der Pabst
im Begriff stehe, zum allerwenigstens den Westfälischen Frieden nach¬
träglich zu sanctionicen? Gehen >Sie wohin Sie wollen, fangen anwo-
von Sie wollen, es dauert nicht fünf Minuten, so hat man irgend
etwas Religiöses auf dem Tapete, und wär's auch nur der Aufbau
der Petrikirche, über welchen jetzt hier ein hitziger Streit durchgefoch¬
ten wird. Die einst abgebrannte Kirche soll auf dem jetzt leeren,
baumbepflanzten Platze, wo sie stand, wieder erbaut werden. Da
schreien nun die Gegner: die Kirche wird uns die Lust entziehen, die
Aussicht vermauern, die Miethen unserer Hauser verschlechtern, den
Topsmarkt der Jahrmarkts hier gehalten wird, und in gewöhnlichen
Zeilen unseren Kindern den Spielplatz rauben. Umsonst, ihr guten
Seelen! die Kirche wird gebaut werden; was wird man eine Kirche
die gebaut werden kann, umgebaut lassen in Berlin!


Grenzboten, 1"-is. IV.

weil ich meine, man wird mich fragen: aber wie? geht denn sonst
nichts in Berlin vor? — Nun sitze ich da, und bin in der selt¬
samsten Lage von der Welt. Wohin ich den Blick richte, springen
mir diese religiösen Interessen entgegen; es ist, als ob sie
in allen Winkeln kauerten und lauerten- Ist das meine Schuld?
die Schuld meines Auges, das aus Idiosynkrasie alles grün und gelb
sieht? Wahrhaftig nicht. Gehen Sie in Gesellschaft! wovon spricht
man? Von der neuesten Aeußerung des Schulcaths Schultz in je¬
ner unglückseligen Protestangelegenheit. Sie eilen fort, durch die Ja¬
gerstraße, ins Schauspielhaus, nehmen ohne zu fragen ein Billet,
dree.n ins Parterre; das erste Wort das Sie hören ist: Consistorial-
rath Schultz in Breslau. Der Vorhang geht auf. „Gottselige
Frauen —" hebt ein schwarzer Herr aus der Bühne im Kanzelton an.
O Hölle! ein Tenoenzstück! man giebt: „Er muß aufs Land." Sie
retten sich auf die Scraße hinaus, und an der Einfahrt des Hauses
lehnen zwei Eck.nsteher, welche sich darüber unterhalten, daß nächstens
die große Landessynode stattfinden wird, in welcher alle Provinzial-
synoden zusammensitzen w.roer, und — „dann wert es erscht Dag
weren in ve Königliche evangelische Kirche, und se weren die Licht-
freinde eene Laterne anstechen." Sie flüchten in eine Condiivrei,
greisen nach einem Zeitungsblatte; das erste was Ihnen in die Au¬
gen fällt, ist: „M'n erfahrt aus sicherer Quelle, daß Herr Pastor
Wislicenus — "; Sie schlagen das Blatt um: „Heute Morgen ist
der gefeierte Reformator des 19. Jahrhunderts, Herr Johannes
Norge —". Erschöpft suchen sie ihr friedliches Stäbchen auf; daS
Maochen bringt Licht, Schlaftoek und Panross.in. Wissen Sie schon
die neuste Neuigkeit, sängt sie an, daß der Pabst mit uns Friede
machen will, und der Pabst wir» auch mit seiner Frau Gemahlin
nach Berlin kommen und unserem König eine Visite machen! —
Sollten Sie es glauben, daß es in Berlin Leute giebt und Leute die
etwas vorstellen, die aber alles Ernstes daran glauben, daß der Pabst
im Begriff stehe, zum allerwenigstens den Westfälischen Frieden nach¬
träglich zu sanctionicen? Gehen >Sie wohin Sie wollen, fangen anwo-
von Sie wollen, es dauert nicht fünf Minuten, so hat man irgend
etwas Religiöses auf dem Tapete, und wär's auch nur der Aufbau
der Petrikirche, über welchen jetzt hier ein hitziger Streit durchgefoch¬
ten wird. Die einst abgebrannte Kirche soll auf dem jetzt leeren,
baumbepflanzten Platze, wo sie stand, wieder erbaut werden. Da
schreien nun die Gegner: die Kirche wird uns die Lust entziehen, die
Aussicht vermauern, die Miethen unserer Hauser verschlechtern, den
Topsmarkt der Jahrmarkts hier gehalten wird, und in gewöhnlichen
Zeilen unseren Kindern den Spielplatz rauben. Umsonst, ihr guten
Seelen! die Kirche wird gebaut werden; was wird man eine Kirche
die gebaut werden kann, umgebaut lassen in Berlin!


Grenzboten, 1«-is. IV.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/473>, abgerufen am 05.02.2025.